Politik

Gehört Kroatien in die EU? "Ich bin begeistert und enttäuscht"

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(Foto: AP)

Das neueste EU-Mitglied hat große Probleme. Dennoch ist der Beitritt richtig, findet Johannes Züll, der seit Jahren den regionalen RTL-Ableger leitet. Nur sollte Kroatien nicht versuchen, das bessere Deutschland zu sein.

n-tv.de: Sie leben und arbeiten seit vier Jahren in Kroatien. Gehört das Land für Sie in die Europäische Union?

Johannes Züll: Natürlich. Kroatien ist nicht nur geographisch integraler Bestandteil des Kontinents. Auch historisch und kulturell hat Kroatien eine lange europäische Tradition: Die Römer waren hier vor über 2000 Jahren, die Venezianer waren hier, Kroatien gehörte zu Österreich-Ungarn. Man sieht dies nicht nur an der Architektur, sondern merkt es zum Beispiel auch an der Art der öffentlichen Verwaltung.

Woran merken Sie das beim Thema Verwaltung?

Das Land ist extrem bürokratisch. Ich habe oft den Eindruck, es will das bessere Österreich oder das bessere Deutschland sein. Sie versuchen, die extrem komplizierten Steuergesetze von Deutschland zu übernehmen, anstatt ein einfacheres System aufzubauen. Für alles braucht man Stempel oder Papiere. Das ist sehr, sehr bürokratisch. Da ist Kroatien sicherlich Weltklasse.

Bürokratie ist ja häufig notwendig, um Korruption wirksam zu bekämpfen.

Das Thema erlebe ich komplett anders, als es oft dargestellt wird. Korruption im Alltag habe ich noch nie erlebt. Ich bin ein paar Mal zu schnell gefahren, darum kann ich das beurteilen.

Sie sprechen von Strafzetteln, aber haben Sie diesen Eindruck auch im Wirtschaftsleben gewonnen?

Ja, sicher. Ich hatte auch noch nie das Gefühl, einen Auftrag nicht erhalten zu haben, weil wir uns an irgendeiner Form von Korruption nicht beteiligt hätten. Das Thema kam einfach nicht vor.

De Balkanstaaten bilden bisher eine Lücke in der Europäischen Union. In der Karte sind dunkelgelb die Beitrittskandidaten markiert. Den hellgelb markierten Staaten stellt die EU diesen Status offiziell in Aussicht.

De Balkanstaaten bilden bisher eine Lücke in der Europäischen Union. In der Karte sind dunkelgelb die Beitrittskandidaten markiert. Den hellgelb markierten Staaten stellt die EU diesen Status offiziell in Aussicht.

In der Politik sah das anders aus.

In der vor-vorletzten Regierung unter Premierminister Ivo Sanader gab es schwere Fälle. Aber der sitzt jetzt ja auch für zehn Jahre im Gefängnis, genauso wie der Ex-Wirtschaftsminister und der Ex-Militärchef. Kroatien ist gut damit umgegangen – anders als etwa Italien. Auch in Österreich und in Deutschland gab es Fälle von Korruption auf höchster Ebene, mit denen man anders hätte umgehen können. Außerdem sind die Privatisierungswelle und die vielen öffentlichen Projekte jetzt erst einmal abgeschlossen. Die Autobahnen stehen alle – und sind wahrscheinlich mit die besten, die es in Europa gibt. Man hat sicher daraus gelernt.

Sie haben also das Gefühl, das Land lernt dazu?

In dieser Beziehung auf jeden Fall.

In Deutschland wundert man sich darüber, dass die Europäische Union überhaupt noch anziehend ist. In Kroatien gab es vor einigen Jahren große Euphorie, die dann zurückgegangen ist. Wie sehen die Kroaten den Beitritt heute?

Die Beitrittsverhandlungen haben mit 12 Jahren extrem lange gedauert. Das Land wurde fast gegängelt, wenn man sieht, was es alles tun musste, um das 28. Mitglied zu werden. Was bei Rumänien und Bulgarien vielleicht zu schnell ging, ging hier in manchen Fragen aus meiner Sicht zu langsam. Darum hat es viel Frustration gegeben. Beim Referendum waren dann aber ja 66,25 Prozent für den Beitritt, was ein ganz guter Wert ist. Es ist nicht so, als wäre das ganze Land beflaggt, aber die Leute erhoffen sich viel, vielleicht sogar zu viel.

Was meinen Sie?

Das Schengen-Abkommen gilt frühestens in zwei Jahren, der Euro kommt, wenn überhaupt, in fünf Jahren. Und das sind die Dinge, die gemeinhin mit Europa assoziiert werden. Auch die Freizügigkeit für Arbeitnehmer ist noch massiv eingeschränkt. Viele werden ernüchtert sein, wenn sie feststellen: Ich darf nicht arbeiten, wo ich möchte, wir haben nicht den Euro und an der Grenze muss ich noch meinen Ausweis zeigen.

Das heißt, es wird dauern, bis die Kroaten die Vorteile spüren.

Ein großes Thema werden die Preise sein, vieles wird billiger werden. Butter und Milch sind hier teurer als im EU-Durchschnitt, Autos oder Waschmaschinen sind teurer als in Österreich oder Deutschland. Darum wird es einen Druck auf die Preise geben, was erst einmal gut ist. Die Menschen werden sich mehr leisten können. Der Nachteil ist, dass die Margen für den Handel geringer sein werden. Das könnte zu einem Verdrängungswettbewerb und damit letztendlich zu höherer Arbeitslosigkeit führen.

Die Kroaten werden davor große Angst haben.

Die neuen Kuna-Münzen sehen schon fast aus wie Euros.

Die neuen Kuna-Münzen sehen schon fast aus wie Euros.

(Foto: REUTERS)

Ja, natürlich. Und man muss sagen: Die Qualität der Lebensmittel ist hier sehr hoch. Die Gefahr ist, dass bald die LKW einrollen. Industriell hergestellte Nahrungsmittel aus den Niederlanden und Spanien könnten die lokalen Produkte verdrängen. Die Leute schauen da auf jeden Kuna.

Vor 20 Jahren war Kroatien noch im Krieg. Kann man das noch spüren?

Ja. Man sieht auch an vielen Stellen noch die offenen Wunden. Verlassene Häuser etwa. Nicht alles ist repariert, oft gibt es ungeklärte Besitzansprüche. Gut 100 Kilometer östlich von Zagreb gibt es die Stadt Lipik, wo früher zum Beispiel Maria Theresia Urlaub gemacht hat und ein Gestüt angesiedelt gewesen sein soll. Da sieht man heute noch zerschossene Straßenlaternen und das Kurparkgebäude ist noch nicht restauriert. Das ist traurig anzusehen. Ich hoffe, dass dort auch EU-Gelder hinfließen.

Spürt man noch ethnische Spannungen?

Es gibt schon immer wieder Spannungen. Gerade sind Kroatien und Serbien in einer Qualifikationsgruppe für die Fußball-Weltmeisterschaft. Da gibt es bei den Spielen hohe Sicherheitsvorkehrungen. Wir haben auch schon Projekte mit serbischen Firmen gemacht bei denen einzelne von unseren kroatischen Angestellten sagten: "Nach Belgrad möchte ich eigentlich nicht fahren." Wenn sie dann doch fahren, werden viele Vorurteile abgebaut. Man muss da auch Verständnis haben. Die Meisten haben den Krieg in der ein oder anderen Form persönlich miterlebt.

Mit Serbien sollen bald die Beitrittsverhandlungen eröffnet werden. Montenegro ist auf dem Weg, Bosnien und das Kosovo träumen auch davon. Glauben Sie, dass die EU die Konflikte in der Region beseitigen kann?

Ich glaube schon. Der politische Wille in Brüssel ist da, das Interesse der Balkan-Staaten auch. Gleichzeitig ist Kroatien aber mit seiner Verwaltung, seiner Infrastruktur und seinem kulturellen Hintergrund der EU wesentlich näher als die anderen Staaten.

Muss man befürchten, dass eine neue Regierung weniger europafreundlich sein wird?

Nein, die Parlamentarier haben 2012 dem EU-Beitritt einstimmig zugestimmt. Vor knapp zwei Jahren gab es einen Regierungswechsel von konservativ zu sozialdemokratisch, das verlief völlig reibungslos. Wenn in den kommenden Jahren Verbesserungen ausbleiben, könnten natürlich auch Euroskeptiker stärkeren Zulauf finden. Aber das haben wir ja inzwischen in fast jedem Land der EU.

Sie persönlich scheinen sehr begeistert zu sein von Kroatien.

Ja, ich bin begeistert. Das Land ist wunderschön und die Menschen sind sehr sympathisch. Aber ich bin auch enttäuscht, dass sich nicht mehr entwickelt. Die Wirtschaft ist jetzt elf Quartale in Folge geschrumpft. Mir fehlt die Aufbruchsstimmung. Ich wünschte mir, Kroatien würde versuchen, ein Schnellboot zwischen den großen Tankern zu sein und nicht der bessere Tanker.

Mit Johannes Züll sprach Christoph Herwartz

Quelle: ntv.de

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