Interview mit Politikwissenschaftler Jun Merkel zerstört das linke Lager
23.09.2013, 14:44 Uhr
Die Raute hat ihn besiegt: Jürgen Trittin.
(Foto: imago stock&people)
Für die Union hat das Wahlergebnis einen positiven Nebeneffekt: Egal, ob SPD oder Grüne mit ihr koalieren, Rot-Rot-Grün wird damit noch unwahrscheinlicher. "Dieses sogenannte linke Bündnis kann doch nur dann zustande kommen, wenn es der Union nicht gelingt, einen Koalitionspartner zu gewinnen", sagt der Politologe Uwe Jun.
n-tv.de: Für die Union war die Bundestagswahl ein großer Erfolg, ihr fehlen nur fünf Sitze zur absoluten Mehrheit. Hätten Sie das erwartet?
Uwe Jun: Nach den Umfragen der vergangenen Wochen konnte man schon damit rechnen, dass die CDU/CSU mehr als 40 Prozent erreicht. Dass sie allerdings in die Nähe der absoluten Mehrheit kommt, weil AfD und FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, das war dann doch überraschend.

Uwe Jun ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Trier.
Geht der Wahlsieg allein auf das Konto von Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Es gibt mehrere Gründe. Es ist richtig, Frau Merkel genießt hohe Popularitätswerte, Sympathie, Glaubwürdigkeit. Das ist der eine Punkt. Der zweite ist: Insgesamt herrscht in Deutschland eine relativ große Zufriedenheit mit der ökonomischen Situation. Das kam der Kanzlerin und der großen Regierungspartei zugute. Drittens muss man sagen, dass die Schwäche der FDP den Erfolg der Union verstärkt hat: Viele Wähler, die vor vier Jahren noch die Liberalen gewählt hatten, sind zurück zur Union gewechselt.
Warum kann die FDP nicht profitieren von der Zufriedenheit in Deutschland?
Im Wesentlichen liegt das dran, dass die FDP im Wahlkampf 2009 viel mehr versprochen hat, als sie dann umgesetzt hat. Von einem einfacheren Steuerrecht sind wir noch immer weit entfernt, Steuersenkungen haben wir so gut wie nicht gesehen. Außerdem hat sich die FDP zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode sehr schwer getan, in die Regierungsverantwortung hineinzufinden, sie blieb noch lange im Oppositionsmodus. Das wurde begleitet von Personalquerelen; der Vorsitzende musste gehen, ein neuer kam. Dieser Wechsel hat bei der Bevölkerung relativ wenig Akzeptanz gefunden. Das konnte vom Spitzenkandidaten Rainer Brüderle nicht kompensiert werden.
Wie, glauben Sie, wird sich die FDP neu aufstellen?
Ihr bleibt ja nur die Möglichkeit, ihr Personal auszutauschen und inhaltlich einen neuen Weg zu finden. Sie muss jetzt den Liberalismus so definieren, dass er vom reinen Marktliberalismus auf andere Themen erweitert wird. Das wird nicht leicht werden: Die FDP war bisher durchgehend Parlamentspartei, jetzt muss sie sich außerparlamentarisch neu erfinden.
Brauchen wir denn wirklich noch eine Partei, die gesellschaftlichen Liberalismus vertritt?
Die FDP definiert Liberalismus schon anders als etwa die Grünen. Die Grünen stehen für libertäre Werte, kombiniert mit Verteilungsgerechtigkeit. Die FDP hätte durchaus die Möglichkeit, linksliberale Werte mit Leistungsgerechtigkeit zu verbinden. Ob das am Ende erfolgreich ist, wird sich zeigen. An der reinen Konzentration auf den Marktliberalismus festzuhalten, wäre jedoch sehr riskant für die Partei.
Die SPD hat zwar zugelegt, ist aber weit davon entfernt, den Kanzler stellen zu können. Müssen sich die Sozialdemokraten in den kommenden vier Jahren auf Rot-Rot-Grün vorbereiten?
Das ist eine interessante Diskussion, die jedoch vollkommen verkennt, dass wahrscheinlich entweder die Sozialdemokraten oder die Grünen in eine Regierung Merkel eintreten müssen. Wenn das der Fall ist, dann haben wir in den kommenden vier Jahren kein klares linkes Lager. Dieses sogenannte linke Bündnis kann doch nur dann zustande kommen, wenn es der Union nicht gelingt, einen Koalitionspartner zu gewinnen.
Wem würde eine Koalition mit der Union weniger schaden, der SPD oder den Grünen?
Das ist schwer zu beurteilen. Ich halte eine schwarz-grüne Koalition für unwahrscheinlicher, weil sie schwieriger zu realisieren ist. Jürgen Trittin hat ja schon angedeutet, dass er die Wahrscheinlichkeit nicht für sehr hoch hält. Union und Grüne haben sich stark voneinander entfernt, nicht erst in den letzten Wochen. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind die Grünen nach links gerückt, in gesellschaftspolitischen Fragen standen beide Parteien ohnehin immer weit auseinander. Die Spitze der Grünen müsste ihrer Basis schon sehr viel bieten, um die Zustimmung zu einem schwarz-grünen Koalitionsvertrag zu bekommen.
Wie ist es mit der SPD?
Dort wären die Verwerfungen nicht so stark. Bei der SPD sind es die Narben des schlechten Wahlergebnisses von 2009, die sie zögern lässt. Aber die Sozialdemokraten hätten auch Chancen, weil sie anders als 2005 nicht aus der Regierung in die Koalition gehen, sondern aus der Opposition. Sie könnten sich mit der sozialen Gerechtigkeit schon in den Koalitionsverhandlungen stärker profilieren. Wenn die Union der SPD ein Angebot macht, sehe ich die Risiken für sie geringer als im Fall einer schwarz-grünen Koalition für die Grünen.
Wäre es nicht problematisch, einen Bundestag zu haben, in dem die Opposition aus zwei sehr kleinen Fraktionen besteht?
Aus der Sicht der parlamentarischen Demokratie ist das ein Problem, die Regierungsmehrheit wäre dann tatsächlich überwältigend groß - sie läge nicht nur bei der Zweidrittelmehrheit, sondern noch deutlich darüber. Auf der anderen Seite braucht es mit Blick auf die anstehenden Aufgaben eine breite Mehrheit. Ich denke an die ausstehende Pflegereform, auch die Eurokrise ist noch lange nicht ausgestanden. Große parlamentarische Mehrheiten sind da sicher nicht von Nachteil.
Die AfD hat es nicht in den Bundestag geschafft, ist aber für eine so junge Partei sehr stark geworden. Warum?
Das konservativ-nationalliberale Element der Partei hat bei ihrem Erfolg sicher eine Rolle gespielt. Viele Wähler haben aber vermutlich eher aus Protest die AfD gewählt. Die AfD hat Zuspruch aus nahezu allen Richtungen bekommen: aus dem Lager der Nichtwähler, von früheren CDU-Wählern, selbst von Anhängern der Linken. Es wird eine schwierige Aufgabe sein, eine so heterogene Wählergruppe zusammenzuhalten. Das wäre der Partei sicherlich leichter gefallen mit der medialen Aufmerksamkeit, die eine Bundestagsfraktion mit sich bringt.
Mit Uwe Jun sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de