Gespräche in Ägypten eine Farce?"Militär hat wirtschaftliche Interessen"

Die Armee möchte den Aufstand in Ägypten schnell beenden, weil die Proteste die Geldquellen der Militärs bedrohen, erklärt Politologin Harders. Und Vizepräsident Suleiman sei ein "Mann des Militärs", von dem kein grundlegender Wandel zu erwarten sei.
Die ägyptische Regierung versucht sich durch den Dialog mit der Opposition nur an der Macht zu halten, befürchtet Politikwissenschaftlerin Harders. Vizepräsident Suleiman sei "ein Statthalter des alten Regimes", sagt sie im Interview mit n-tv.de. Auch die Armee habe großes Interesse an einer Rückkehr zur Normalität. "Sie hat vom bestehendem System maßgeblich profitiert." Die Geldquellen der Militärs seien durch die Proteste bedroht, erklärt die Professorin von der Freien Universität Berlin.
n-tv.de: Ägyptens Präsident Husni Mubarak ist noch immer im Amt und sein Vize Suleiman hat die Opposition in Gespräche eingebunden. Geht die Revolution in Ägypten ihrem Ende entgegen?
Cilja Harders: Nein. Zum einen, weil die Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo weder weichen noch verhandeln wollen. Zum anderen sind die Angebote, die das Regime bislang gemacht hat, relativ dünn und müssen erst einmal praktisch umgesetzt werden. Es ist natürlich gut, wenn wie jetzt in einer solch angespannten Situation überhaupt Gespräche beginnen. Wenn diese aber mit dem Ziel geführt werden, die Opposition zu spalten – in die, mit denen Gespräche geführt werden, und die anderen, die kriminalisiert und unterdrückt werden – ist das höchst problematisch.
Vizepräsident Omar Suleiman hat eine Verfassungsänderung, die Aufhebung des Ausnahmezustands und freie Wahlen angekündigt. Sind diese Versprechen glaubwürdig oder versucht sich die alte Elite nur, an der Macht zu halten?
Ich bleibe solange skeptisch, bis die Reformen umgesetzt sind. Auch Präsident Mubarak hatte schon versprochen, den Ausnahmezustand zu beenden oder Reformen einzuleiten, die dann nie oder nur halbherzig umgesetzt wurden. Als Mann des Militärs hat auch Suleiman kein Interesse, die bestehenden Strukturen grundlegend zu verändern, von denen die Armee schließlich wesentlich profitiert.
Was muss denn passieren, damit die Ankündigungen von Reformen glaubwürdig werden?
Die Menschen auf dem Tahrir-Platz wollen Mubaraks Rücktritt – das wäre der wichtigste Schritt, auch symbolisch. Dann fordern sie die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Ein neues, demokratisch gewähltes Parlament könnte die Verfassung so ändern, dass das gesamte System demokratisch und fair werden könnte. Das ist die eine Variante. Damit das gelingt, müsste Mubarak vor seinem Rückzug aber noch einiges tun, damit sich das System tatsächlich ändern kann. Laut Verfassung tritt zunächst der Vizepräsident an die Stelle des Präsidenten, wenn dieser zurücktritt. Der Vizepräsident darf jedoch weder die Verfassung ändern, noch das Parlament und die zweite Kammer auflösen. Neuwahlen müssen innerhalb von 60 Tagen erfolgen. Damit wäre wenig gewonnen, denn die derzeitigen Regeln lassen ja keine wirklich demokratischen Präsidentschaftswahlen zu. Also müsste Mubarak vor seinem Rücktritt per Dekret noch die Verfassung ändern und den Ausnahmezustand aufheben. Oder, das ist die andere Variante: er überträgt vor einem Rücktritt seine Macht an einen oder mehrere Vizepräsidenten bis zum Ende seiner Amtszeit im September. Glaubwürdig wäre es, wenn neben Suleiman weitere Personen ernannt würden, die Zivilisten und eindeutig dem Oppositionslager zuzuordnen sind. Dies bildet die Basis für eine breite Übergangsregierung. Mit einer solchen Übergangsregierung könnten die Oppositionskräfte vielleicht sogar akzeptieren, dass Mubarak nicht offiziell zurücktritt und erst einmal im Ausland in Kur geht. Diese Übergangsregierung müsste eine Art "runden Tisch" organisieren, an dem die weiteren Reformschritte einschließlich Neuwahlen und Verfassungsänderungen mit der Opposition ausgehandelt werden. Zudem müssen Meinungs- und Medienfreiheit gewährleistet werden und Polizei und Sicherheitsdienste ziviler Kontrolle unterworfen werden.
Vizepräsident Suleiman gilt als enger Vertrauter des Präsidenten, in einem Zeitungskommentar wurde er gar als Mubaraks Klon bezeichnet. Wie ist Suleiman politisch einzuschätzen?
Klon mag etwas übertrieben sein, aber er ist ein absolut treuer Gefolgsmann Mubaraks. Er war vorher der einflussreiche Chef des militärischen Geheimdiensts, war als solcher für die Anti-Terrorbekämpfung zuständig und hat beste außenpolitische Kontakte. Er hat für Mubarak viele heikle Aufträge übernommen, wie etwa die Verhandlung innerhalb der verschiedenen palästinensischen Fraktionen oder die Kontaktpflege zu Israel. Im Westen gilt er zwar als Garant für Stabilität, insbesondere was die außenpolitischen Beziehungen betrifft. Aber mit ihm an der Spitze verwaltet ein Statthalter des alten Regimes das alte Regime.
Wie ist sein Einfluss innerhalb des Regimes einzuschätzen: Wer bestimmt derzeit über das Schicksal Ägyptens?
Der Präsidentenpalast und die Armee, die aber in bestimmten Punkten durchaus unterschiedlicher Ansicht sein können. Das Militär ist eng verknüpft mit der Politik und verfolgt auch eigene wirtschaftliche Interessen. Es hat vom bestehenden System maßgeblich profitiert. Die Armee betreibt zum Beispiel viele Einkaufszentren und Tourismusanlagen in Ägypten. Deshalb hat sie ein großes Interesse an Stabilität und Rückkehr zur Normalität, weil von den Protesten vor allem Wirtschaftsbereiche betroffen sind, in denen sie ihr Geld verdient.
Zu Beginn der Proteste hatten Sie noch die Befürchtung, in Ägypten könnte ein "iranisches Szenario" eintreten und die Demonstrationen blutig niedergeschlagen werden. Ist diese Sorge vom Tisch, auch wenn es bei den jetzigen Gesprächen keine Einigung geben sollte?
Das muss man abwarten. Ich glaube schon, dass die Armee bei ihrem Wort bleibt: Wir schießen nicht auf die Zivilbevölkerung. Aber wir haben vergangene Woche auch gesehen, dass unter den Augen der Armee bewaffnete Schlägertrupps und Banden die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz angreifen konnten. Das Militär hat also Chaos und Gewalt in Kauf genommen, vielleicht auch in der naiven Hoffnung, damit die Proteste zu beenden. Das kann wieder geschehen. Wenn die Ungeduld der Ägypter zunimmt, und das wird sie, wenn es bei den Gesprächen keine Fortschritte gibt, kann es wieder zu solchen Konfrontationen kommen. Allerdings befürchte ich, dass es dann nicht wieder zu offener Gewalt unter den Augen der Medien kommt, sondern zu Aktionen fernab von jeder Öffentlichkeit: dass die Demonstranten sich alle irgendwann im Gefängnis wiederfinden.
Die Situation bleibt also unübersichtlich, die Entwicklung nicht vorhersehbar. Oder trauen Sie sich eine Prognose zu, wie es in Ägypten weitergeht?
Das ist wirklich schwierig zu sagen. Die Menschen auf dem Tahrir-Platz sind mit den derzeitigen Gesprächen, die man wirklich nicht Verhandlungen nennen darf, unzufrieden. Sie wollen Mubaraks Rücktritt und sind vorher nicht bereit, zu verhandeln. Bleibt eine Mehrheit bei dieser Position, kann es wieder zu einer Eskalation kommen. Deshalb wird es wesentlich davon abhängen, ob die Regierung verstanden hat, dass sie wirklich etwas verändern muss. Die Rede, die Vizepräsident Suleiman gehalten hat, zeichnete sich allerdings durch den alten Paternalismus aus.
Die Bundesregierung übt sich in demonstrativer Zurückhaltung, Außenminister Westerwelle bietet lediglich Unterstützung beim Aufbau unabhängiger Justiz und bei freien Wahlen an. Ist dieser Kurs richtig, oder sollte die Bundesregierung nicht offen Mubaraks Rücktritt fordern?
Ich halte diese Zurückhaltung für problematisch. Denn die Forderungen liegen klar auf der Hand und sind auch erfüllbar. Die Bundesregierung hat das sicherlich mit Blick auf die eigenen Stabilitätsinteressen getan, noch stärker, als die USA, die mittlerweile einen deutlichen Kursschwenk unternommen haben. Am Ende ist es den Ägyptern aber wichtiger, dass es ihre eigene Revolution ist und sie ihre Ziele erreichen. Die Bundesregierung sollte jetzt vor allem darauf dringen, dass die Sicherheit der Demonstranten garantiert ist. Der Ausnahmezustand gilt ja nach wie vor. Deshalb wäre es konkret vielleicht am wichtigsten zu fordern: Beendet den Ausnahmezustand und bildet eine breite Regierung unter Einbeziehung der Opposition. Ich wäre sehr beruhigt, wenn neben Suleiman weitere Vizepräsidenten ständen, die seine Macht beschränken.
Es gibt Gerüchte, dass Mubarak für einen Krankenhausaufenthalt nach Deutschland kommen könnte. Sollte sich die Bundesregierung diese Bürde auferlegen oder nicht lieber dafür sorgen, dass die Konten seiner Familie eingefroren werden?
Das eine muss das andere nicht ausschließen. Aber das Ausland könnte in dieser Frage wirklich hilfreich sein und einen Weg ebnen, wie Mubarak gesichtswahrend abgelöst werden kann. Wenn ein Kuraufenthalt der Sache dient, kann er ein kluger Kompromiss sein. Die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz werden davon vielleicht nicht begeistert sein, aber man muss die Sache vom Ende her denken: Vielleicht sollten wir lieber jemanden in der Kurklinik beherbergen, den wir nicht sympathisch finden, als dass die jungen Ägypter ihre Rücktrittsforderungen aufgeben müssen. Solange man sich nicht nur um den Potentaten kümmert. Der Westen hat jetzt eine sehr hohe Verantwortung darauf zu achten, dass all diejenigen, die mutig waren oder es noch immer sind, nicht für einen Pseudo-Übergang geopfert werden, der das alte Teile-und-Herrsche-System am Leben erhält. Das wäre wirklich dramatisch.
Mit Cilja Harders sprach Till Schwarze