Politik

Teufelsaustreibung und Kreuzzüge Polen außer Rand und Band

Kaczynski-Anhänger schwenken bei einer Demonstration am Sonntag die polnische Fahne.

Kaczynski-Anhänger schwenken bei einer Demonstration am Sonntag die polnische Fahne.

(Foto: AP)

Es sind die Tage des Jaroslaw Kaczynski. Seine nationalkonservative Partei regiert wieder in Polen und sichert sich in Windeseile die Schaltstellen der Macht - mit teils dubiosen Mitteln. Die Opposition rebelliert, die EU ist alarmiert.

Es ist eine bizarre Szene, die sich an diesem Wochenende in Polens Hauptstadt Warschau ereignet. Umringt von Mitgliedern nationalkonservativer Gruppen, spricht ein Priester vor dem Gebäude der linksliberalen polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza" ein Exzorzismusgebet. Die Teufelsaustreibung ist der krönende Abschluss eines Protestmarsches gegen die "Lügen der Medien", die Teilnehmer verschanzen sich hinter einer Ikone der Jungfrau Maria und einem Transparent mit der Aufschrift "Kreuzzug für das Vaterland".

Sie sind nicht die einzigen Kreuzzügler dieser Tage in Polen. Am Wochenende demonstrierten Zehntausende erbittert für und gegen die neue konservative Regierung der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS). PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski verhöhnte vor rund 20.000 Anhängern seine Gegner: "Ganz Polen lacht über euch, ihr Kommunisten und Diebe." 50.000 Anhänger der Opposition waren zuvor durch Warschau gezogen und hatten gegen die "Schleifung der Demokratie" protestiert. Ein sogenanntes Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) hatte dazu aufgerufen."Mehrheit bedeutet nicht Diktatur", empört sich KOD-Gründer Mateusz Kijowski.

Die Kritiker der neuen Regierung wissen dabei die EU auf ihrer Seite. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte im Deutschlandfunk: "Was sich da in Polen abspielt, hat Staatsstreichcharakter und ist dramatisch." Er nehme an, dass man noch in dieser Woche, spätestens in der Januar-Sitzung im Europaparlament darüber umfassend diskutieren werde. Ähnlich besorgt klingt der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. Er sieht durch den Kurs der neuen polnischen Regierung die Unabhängigkeit von Justiz und Medien in dem Land bedroht. "Wir dürfen nicht davor zurückscheuen, mit dem Finger auf diejenigen Länder zu zeigen, in denen Grundrechte und Verfassung mit Füßen getreten werden", sagte er "Spiegel Online".

EU-Fahnen abgehängt

Innerhalb nur weniger Wochen hat es die neue polnische Regierung von Ministerpräsidentin Beata Szydlo geschafft, den Zorn in Polen zu schüren und die EU extrem zu beunruhigen. Schon in der ersten Pressekonferenz nach ihrem Amtsantritt Mitte November schickte Szydlo ein klares Signal nach Brüssel, indem sie die EU-Fahnen durch die polnische Nationalfahne austauschte. Diese seien schöner, so ihre Begründung. Zugleich kritisierte ihre Regierung massiv die EU-Flüchtlingspolitik und die "politische Korrektheit" linker und liberaler Europäer, die zu viel Verständnis für Muslime zeigten. Inzwischen erwägt sie eine Neuverhandlung der EU-Flüchtlingsverteilung, die Polen 7000 Flüchtlinge zuspricht.

Kaczynski wirft dem Verfassungsgericht "gigantischen Machtmissbrauch" vor und droht damit, "diese Bande von Kumpanen zu zerschlagen".

Kaczynski wirft dem Verfassungsgericht "gigantischen Machtmissbrauch" vor und droht damit, "diese Bande von Kumpanen zu zerschlagen".

(Foto: REUTERS)

Überhaupt wartete die PiS-Regierung, hinter der als treibende Kraft im Hintergrund noch immer der ehemalige Ministerpräsident Kaczynski agiert, nicht lange, um nach ihrem triumphalen Wahlsieg im Oktober die Schaltstellen der Macht neu zu besetzen. Vier von fünf Chefs der Geheimdienste entließ sie, der fünfte trat wenig später selbst zurück. Neuer Geheimdienstkoordinator wurde ausgerechnet der einstige Chef des Anti-Korruptions-Büros CBA, Mariusz Kaminski, der allerdings wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt worden war. Damit er sein Amt antreten konnte, begnadigte ihn Präsident Andrzej Duda, ein Ziehsohn Kaczynskis, kurzerhand.

Auch sonst rechnet die nationalkonservative Regierung mit ihren diversen Lieblingsgegnern ab: So kündigte sie Anfang Dezember die "Repolonisierung polnischer Medien" an. Mit anderen Worten: Sie will bei den privaten Medien die ausländischen Verlage zurückdrängen, indem der Staat ihre Anteile aufgekauft. Die staatlichen Medien wie die Nachrichtenagentur PAP und der öffentliche Rundfunk sollen laut Kulturminister Piotr Glinski "wirklich staatlich" werden, "mit einer Mission".

Einen ersten Vorgeschmack, was das heißt, bekam die Journalistin Karolina Lewicka zu spüren, als sie im öffentlichen Fernsehen TVP mit Glinski über eine vermeintlich pornographische Theaterinszenierung stritt. Nachdem sie mehrfach nachgehakt hatte, warum Glinski Elfriede Jelineks Stück "Der Tod und das Mädchen" verbieten lassen wolle, erklärte dieser: "Das ist eine Propagandasendung, so wie euer Sender seit einigen Jahren Propaganda verbreitet und manipuliert. Und das hat ein Ende, denn das öffentliche Fernsehen sollte so nicht arbeiten." Kurz nach der Sendung wurde die Journalistin suspendiert. Sie ist nicht die Einzige, die bereits für ihre Berichterstattung abgestraft wurde.

"Tusk hat viel auf dem Gewissen"

Im Visier der PiS-Abgeordneten steht auch der ehemalige Ministerpräsident und derzeitige EU-Ratspräsidenten Donald Tusk von der liberal-konservativen Bürgerplattform PO. Er solle vor das Staatstribunal, so ihre Forderung. Die Begründung: Bei den Ermittlungen zum Absturz der Präsidentenmaschine in Smolensk, bei dem auch der damalige Staatschef Lech Kaczynski und 95 weitere Menschen starben, habe es schwere Versäumnisse gegeben. "Tusk hat viel auf dem Gewissen", so etwa der PiS-Politiker Adam Lipinski. Der offizielle Bericht der Vorgängerregierung zum Absturz, in dem den polnischen Piloten Versagen vorgeworfen wurde, wurde inzwischen im Internet gesperrt, das Verteidigungsministerium kündigte einen neuen Untersuchungsausschuss an. Viele PiS-Anhänger sind der Überzeugung, dass ein Attentat den Absturz der Maschine verursacht hat.

Ein besonderer Dorn im Auge ist der neuen Regierung das Verfassungsgericht. Dieses hatte, als die PiS vor zehn Jahren schon einmal regierte, mehrere ihrer Vorhaben zu Fall gebracht. Anfang Dezember besetzte die Szydlo-Regierung nun das Gericht mit Gefolgsleuten, drei noch unter der Vorgängerregierung rechtmäßig gewählte Verfassungsrichter ließ sie bis heute unvereidigt - was einen Sturm der Entrüstung hervorrief. Das Tricksen mit dem Verfassungsgericht hat allerdings eine gewisse Tradition: Schon im Juni hatte die damals regierende PO im Parlament die Gesetzgebung zum Verfassungsgericht geändert, um vor ihrer absehbaren Niederlage bei der Parlamentswahl noch fünf neue Verfassungsrichter wählen zu lassen. Drei Ernennungen waren regulär, zwei Verfassungsrichter wurden jedoch vor Ablauf ihrer vorgesehenen Amtszeit ersetzt.

Der ehemalige Vorsitzende des polnischen Verfassungsgerichts, Andrzej Zoll, ist allerdings vor allem durch die Initiativen der neuen PiS-Regierung alarmiert: "Bald leben wir in einem totalitären System", warnte er. Stanislaw Mocek von der polnischen Wissenschaftsakademie sieht im Vorgehen der neuen Regierung ein "Beispiel für eine totalitäre Demokratie, in der immer derjenige Recht hat, der die Mehrheit hat." Andere sprechen bereits von einer "Orbanisierung" Polens in Anspielung auf den rechten ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der einen rigiden autoritär-nationalistischen Kurs fährt.

Dass der ungarische Staatspräsident Kaczynskis Vorbild ist, hatte dieser schon nach seiner Wahlniederlage im November 2011 klargemacht: "Der Tag wird kommen, an dem wir es schaffen, wir werden Budapest in Warschau haben." Nun, da die PiS alleine die Regierung stellt und mit absoluter Mehrheit beide Parlamentskammern kontrolliert, scheint er diesem Ziel schon einmal näher gekommen zu sein.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen