Politik

Die etwas andere Asylpolitik Roma abschieben leichtgemacht

Roma sind seit Jahrhunderten in ganz Europa Ausgrenzung ausgesetzt.

Roma sind seit Jahrhunderten in ganz Europa Ausgrenzung ausgesetzt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Zahl der Asylanträge von Flüchtlingen aus Balkanstaaten steigt rasant. Bis jetzt. Die Bundesregierung hat einen ungewöhnlichen Weg gefunden, diesen Trend zu stoppen.

Lidija Uskokovic stand nur ein paar Minuten in der Filiale der Unicredit-Bank in der serbischen Großstadt Nis. Dann schmiss der Filialleiter die 40-jährige Straßenreinigerin raus. In ihrer Arbeitskleidung könne sie hier nicht einfach rumstehen, sagte er. Dabei gibt es nichts Alltäglicheres als eine Arbeiterin, die eine Bankfiliale betritt. Lidija Uskokovic ist in den Augen des Filialleiters aber keine gewöhnliche Arbeiterin, weil er sie für eine Roma hält.

Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sah sich angesichts steigender Asylbewerberzahlen dazu veranlasst, von Serbien und Mazedonien als "sichere Herkunftsländer" zu sprechen.

Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sah sich angesichts steigender Asylbewerberzahlen dazu veranlasst, von Serbien und Mazedonien als "sichere Herkunftsländer" zu sprechen.

(Foto: REUTERS)

Mitglieder der Minderheit sind in Serbien immer wieder Diskriminierung ausgesetzt. Mal offenbart sich diese in kleinen Episoden wie der Geschichte von Lidija Uskokovic, die nur an die Öffentlichkeit drang, weil sie sich an die Presse wandte. Oft nimmt sie aber viel größere Ausmaße an. Der Zugang von Roma zum Arbeitsmarkt, zu medizinischer Versorgung und zu Bildungsangeboten ist erschwert, das zeigen Berichte der EU-Kommission und eine ganzen Reihe anderer Institutionen. Gleiches gilt für Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Menschenrechtsorganisationen beklagen angesichts dieser geballten Diskriminierung, dass Roma in den drei Balkanstaaten einer Verfolgung ausgesetzt sind, die eine Grundlage für Asyl darstellt.

Die deutsche Bundesregierung sieht das anders. Sie geht künftig grundsätzlich davon aus, dass es in den Staaten keine politische Verfolgung gibt. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den das Kabinett an diesem Mittwoch gebilligt hat. Die Bundesregierung erklärt darin Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu "sicheren Herkunftsländern". Künftig kann Deutschland Asylanträge aus diesen Staaten deshalb schneller ablehnen und die Menschen schneller abschieben. Ein vielversprechendes Mittel, um die steigende Zahl der Anträge aus den Balkanländern wieder zu drücken. Allerdings auch ein Mittel, das Gefahren birgt - für einzelne Menschen und die Zukunft der Europäischen Union.

"Ich nenne das Missbrauch"

Der Plan, den Balkanländern einen neuen Status zu verleihen, geht noch auf den früheren Innenminister Hans-Peter Friedrich zurück. Vor zwei Jahren warf der CSU-Politiker den Menschen aus diesen Staaten vor, das deutsche Asylsystem auszunutzen. "Ich nenne das Missbrauch", sagte Friedrich damals. Und das Mittel der "sicheren Herkunftsländer" war seine Antwort darauf.

Ohne Grundlage ist Friedrichs Vorwurf nicht. Die Zahl der Anträge aus den Balkanstaaten stieg in den vergangenen Jahren stetig. Allein 2013 baten in Deutschland mehr als 20.000 Menschen aus den drei Ländern um Asyl. Sie stellten fast ein Fünftel aller Anträge. Und tatsächlich gab es bei vielen der Antragsteller keinen Grund für Asyl. Oft handelt es sich bei ihnen um Wirtschaftsflüchtlinge. Doch für alle gilt das nicht. Besonders für Roma nicht.

Auch eine Trotzreaktion: Roma in Bosnien-Herzegowina haben ihre Unterkünfte in Brand gesteckt. Sie wurden zwangsumgesiedelt.

Auch eine Trotzreaktion: Roma in Bosnien-Herzegowina haben ihre Unterkünfte in Brand gesteckt. Sie wurden zwangsumgesiedelt.

(Foto: Reuters)

Erst vor wenigen Tagen hat das Verwaltungsgericht Stuttgart zwei Mitglieder dieser Minderheit aus Serbien als Flüchtlinge anerkannt. Im Urteil heißt es: "Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Serbien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Gefahr einer Verfolgung zu rechnen haben, die an ein asylrelevantes Merkmal, die Rasse, anknüpft." Weiter ist davon die Rede, dass Roma in Serbien "extrem benachteiligt werden" und gezwungen sind "am Rande der Gesellschaft zu leben".

Mit dem Siegel "sichere Herkunftsländer" übergeht die Bundesregierung weitgehend das Dilemma der Roma. Die Anträge von Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina werden grundsätzlich, weil "aussichtslos", per Eilverfahren abgelehnt. Roma aus diesen Staaten bleibt nur die Möglichkeit durch ein gesondertes Verfahren ihren Anspruch auf Asyl zu erstreiten. Das schreckt ab. Die Last der Asylanträge dürfte sinken - allerdings auf Kosten der Rechte des Individuums.

Flüchtlinge vom Balkan lösen alte Reflexe aus

Menschenrechtsorganisationen sind deshalb empört. "Die Balkanstaaten sind keine sicheren Herkunftsländer", sagt Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt n-tv.de. "Die Bundesregierung blendet aus, dass der Staat in diesen Ländern seine Schutzfunktion nicht wahrnimmt und es sogar Hetzjagden auf Roma gibt."

Warum die Bundesregierung diesen Kurs trotzdem einschlägt, versteht Burkhardt nicht so richtig. "Die Stimmung in Deutschland ist heute positiv. Es gibt eine große Hilfsbereitschaft für Asylsuchende", sagt er. "Die Bundesregierung lässt sich leiten von Motiven, die für mich nicht erklärbar sind." Gut möglich, dass es sich bei diesen Motiven um alte Reflexe handelt, die die steigenden Zahlen an Asylanträgen jetzt auslösen. Schon Anfang der 1990 war angesichts der Kriege auf dem Balkan von einer "Asylbewerberflut" die Rede, die Deutschlands Wohlstand bedrohe. So war es letztlich nicht, aber die Rhetorik kam bei vielen Menschen an.

Abgesehen von den Folgen für einzelne Roma, die tatsächlich Asyl brauchen, birgt die Deklaration der Länder zu "sicheren Herkunftsstaaten" eine Gefahr für Europa. Serbien und Mazedonien sind bereits offizielle Beitrittskandidaten zur EU. Bosnien-Herzegowina gilt als potenzieller Kandidat. Diese Staaten zu "sicheren Herkunftsländern" zu machen, könnte Anreize vernichten, die Situation der Roma in diesen Ländern zu verbessern. Letztlich könnte es dann dazu führen, dass Staaten mit fraglicher Menschenrechtslage Mitglieder der EU werden. Dass dies nicht nur eine theoretische Gefahr ist, zeigt das Beispiel Ungarns.

In dem Land, das seit 2004 Mitglied der EU ist, feiert die rassistische Jobbik-Partei mit Hetze gegen Roma derzeit nicht nur gewaltige politische Erfolge. Es kommt auch immer wieder zu Gewalt gegen Mitglieder der Minderheit. Vor dem Beitritt Ungarns nahm die EU die Diskriminierung von Roma nicht ernst genug. Jetzt, da Ungarn Mitglied ist, gibt es für Budapest keinen Anreiz mehr, etwas zu verändern. Anfang des Jahres sorgten Meldungen für Aufsehen, dass das zentrale Wahlbüro in Ungarn Minderheiten dazu aufgefordert habe, ihre ethnische Zugehörigkeit anzugeben - um dann ihr Wahlrecht einzuschränken. Einige Organisationen sprechen deshalb schon jetzt von menschenrechtswidrigen Zuständen in der EU.

Statt möglichst große Anreize für Beitrittskandidaten wie Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu schaffen, die Lage der Roma zu verbessern, denken Politiker der Großen Koalition jetzt aber schon darüber nach, weitere Staaten zu "sicheren Herkunftsländern" zu erklären. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer, nannte im Gespräch mit der "Welt" Montenegro und Albanien. Montenegro ist ein offizieller EU-Beitrittskandidat. Albanien ein möglicher Anwärter für ein Assoziierungsabkommen.

Quelle: ntv.de

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