Politik

Die Mission von Kapitän Schultze So bekämpfen deutsche Soldaten Schlepper

Kapitän Schultze auf seinem "großen grauen Schiff".

Kapitän Schultze auf seinem "großen grauen Schiff".

(Foto: Udo Gümpel)

Seit Monaten ist die deutsche Fregatte Mecklenburg-Vorpommern vor Libyens Küste im Einsatz. Sie soll den Waffenhandel stoppen und gegen Schlepper vorgehen. Schlepper, die ausgerechnet die pro-westliche libysche Regierung duldet.

Es ist eine Geschichte, wie sie so viele Migranten erzählen, die in Süditaliens Häfen an Land gehen. Für 200 Dollar kaufte sich die junge Frau aus Nigeria einen Platz in einem Schlauchboot. Zusammen mit 150 anderen Menschen zwängte sie sich hinein, der libysche Schlepper sagte ihnen: "Wenn ihr dann die großen grauen Schiffe seht, dann ist das Europa. Nicht mehr als zwei, drei Stunden, dann seid ihr in Europa." Dort, wo die "grauen Schiffe" knapp hinter der Linie der libyschen Hoheitsgewässer die Flüchtlinge aufsammeln.

Insgesamt 181.000 Menschen wurden 2016 im Mittelmeer aus Seenot gerettet, praktisch alle unmittelbar vor der libyschen Küste. Schätzungsweise 5000 Menschen ertranken bei ihrem Versuch, die "grauen Schiffe" zu erreichen. Sie kamen nicht einmal die 12 Seemeilen weit, die die europäischen Kriegsschiffe in der Regel vor der Küste Libyens kreuzen. Der Wind mag aufgedreht, der Wellengang zugenommen haben, die wenigen Liter Sprit, die die Schlepper den Booten noch zuteilen, hatten nicht gereicht. Und die Boote sind vollgepackt bis zum letzten Platz. Auf einem Boot, auf dem normalerweise vielleicht 50 Leute Platz haben, werden 150 und mehr Personen aufs Meer geschickt.

"Mit was die auf See geschickt werden, das kann einen schon wundern. Seetauglich sind diese Riesenschlauchboote nicht", sagt Christian Schultze. Er ist der Kommandant der deutschen Fregatte Mecklenburg-Vorpommern, der F218. Diese ist im Einsatz für die EU-Mission EUNAVFOR MED. Ihre Kernaufgaben sind die Ermittlung von Schlepperaktivitäten und Unterbindung des Waffenhandels übers Meer - und nicht die Rettung von Schiffbrüchigen, wie Schultze betont. "Die gehört ja immer zu den Pflichten eines Seemannes." Die Frauen und Männer seiner Fregatte haben im Oktober auch einmal in den Gewässern vor Libyen 144 Migranten aus einem Schlauchboot in Seenot gerettet. Ein Schiff der italienischen Küstenwache übernahm diese dann und brachte sie nach Sizilien.

Schlepper agieren bei Tripolis

Udo Gümpel war 10 Tag an Bord der Fregatte Mecklenburg-Vorpommern.

Udo Gümpel war 10 Tag an Bord der Fregatte Mecklenburg-Vorpommern.

(Foto: Udo Gümpel)

Auf der deutschen Fregatte weiß man perfekt, wie und wann es losgeht mit den Schlepperbooten und von wo sie kommen. Bei Windstille oder schwach ablandigem Wind in den frühen Morgenstunden ist der goldene Augenblick der Schlepper, wenn sie ihre Boote füllen. Diese kommen dabei immer von denselben Strandabschnitten Libyens. In drei Monaten Einsatzzeit haben Kapitän Schultze und seine Leute das Revier kennengelernt. Eine Seekarte, erstellt aus den Erkenntnissen des Einsatzes der deutschen Fregatte und der anderen Nato-Kriegsschiffe, belegt es: Die Schlepper setzen die Schlauchboote unmittelbar westlich und östlich von Tripolis ins Meer - im direkten Herrschaftsbereich der Regierung Libyens, die Europa und die Uno als die einzig legitime derzeit anerkennen.

Im Bereich des Meerbusens der Syrte, wo die Reste der Islamischen Staates kämpfen, agieren die Schlepper dagegen nicht. Auch nicht in Ostlibyen, dem Herrschaftsbereich des ehemaligen Gadafi-Generals Chalifa Haftar. "Wenn wir über die Ostküste Libyens fliegen, dann sehen wir dort alle paar Kilometer eine Garnison. Die haben eine Art Küstenwacht, Militärs, die ihr Territorium nahezu perfekt kontrollieren. Von dort, nah der ägyptischen Grenze, geht kein Schlepperboot ins Mittelmeer", sagt ein britischer Marineflieger.

Dass die "befreundete Regierung" in Tripolis unter dem Premier Fayez al-Sarrej den Schleppern freie Hand gewährt, ist auch das klare Ergebnis der monatelangen Beobachtung durch die Fregatte F218. Hier an Bord gibt es genug deutsche Offiziere, die muttersprachlich Arabisch sprechen, um das auch im kleinsten Detail zu begreifen. Diese Regierung, die der Westen auf einer großen "Friedenskonferenz" in Rom in den Sattel gehoben hat, schickt nun, wie viele Beobachter vermuten, die Schlepperbanden. Wenn nicht gar einzelne Vertreter der Banden selbst an der Regierung beteiligt sind und diese am Gewinn teilhaben lassen. Neben den Öleinnahmen ist das ein zweite Einnahmequelle, die dauerhaft sprudelt.

Die Migranten folgen der alten Wanderroute von Niger durch ganz Libyen an die Küste. In Tripolis warten sie dann solange auf die Weiterreise, bis das Wetter gut genug ist. Wenn die Schlepper ganz sicher sein wollen, rufen sie sogar bei der Marineleitung in Rom oder gleich beim Kapitän auf dem "grauen Schiff" an. Kapitän Schultze ist das zwar noch nicht passiert, aber italienischen Kapitänen Medienberichten zufolge schon einige Male.

Einsatz verkehrt sich in sein Gegenteil

Nach der Katastrophe vom 3. Oktober 2013, als 369 Menschen an Bord eines Schiffes direkt vor Lampedusa ertranken, wollte Europa gegensteuern: erst mit der italienischen Mission "Mare Nostrum", dann mit Frontex Plus und bis zum 27. Juli 2017 nun mit EUNAVFOR MED. Doch der europäische Einsatz zur Rettung von Menschenleben hat sich in sein Gegenteil verkehrt – in einen Anreiz, immer öfter immer weniger seetaugliche Boote aufs Meer zu schicken. 2016 gab es so viele Tote wie nie zuvor, weil die Schlepper bis an den Rand des maximal "verkaufbaren" Risikos gehen. Sie wissen, dass es gerade die NGOs sind, die im Notfall auch innerhalb der libyschen Hoheitsgewässer Migranten in Seenot retten.

Vor drei Jahren mussten die Schlepper noch ausreichend seetüchtige Kutter auftreiben für die 160 Seemeilen nach Lamepedusa, eine mehrere Tage dauernde Fahrt. Heute reicht ein Schlauchboot, das sich einige Stunden über Wasser hält. Entsprechend dem "unternehmerischen Schlepperrisiko" sind auch die Preise gesunken. Auf einem Fischkutter kostete die Überfahrt Afrika-Lampedusa im Jahr 2011 noch 2500 Dollar pro Person, heute ist der Preis auf 200 Dollar gesunken. Es fährt ja auch nicht mehr so weit, nur noch 12 Seemeilen.

Die Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern" soll kriminelle Schleusernetzwerke vor Libyens Küste bekämpfen.

Die Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern" soll kriminelle Schleusernetzwerke vor Libyens Küste bekämpfen.

(Foto: Udo Gümpel)

Die "grauen Schiffe" direkt vor der Küste haben den Schleppern auch ein anderes großes Problem gelöst: Es gibt nämlich gar nicht mehr genug Fischkutter, die sie noch für die Schlepperfahrten hätten einsetzen können, weil die Schiffe alle auf Lampedusa einkassiert und abgewrackt wurden. Schlauchboote aber gibt es ohne Ende, nur kann man mit ihnen nicht Lampedusa erreichen. Das wissen Schlepper, aber auch die Migranten, die sich von Europa ein besseres Leben erhoffen.

Boote sollen auch Waffenhandel unterbinden

Die EUNAVFOR-MED-Mission im Mittelmeer hat auch noch ein militärischen Aspekt. Die Mecklenburg-Vorpommern soll, wie ihre Schwesterschiffe der Mission, den Waffenhandel unterbinden. Dazu beobachtet die Besatzung mit allen an Bord befindlichen Mitteln andere Schiffe auf "verdächtige" Bewegungsmuster. Im Zweifelsfall wird dann ein Marineflieger das verdächtige Schiff überfliegen und einem sogenannten Nearby-Check unterziehen.

Sollte dieser positiv ausfallen, sollen die deutschen Marinesoldaten nach den Einsatzregeln das verdächtige Schiff durchsuchen - auch unter Zwang. Im Marinejargon heißt das "unfriendly boarding". Dafür ist die Genehmigung der Zentrale der Einsatzmission auf der italienischen "Garibaldi" erforderlich. In ihren ersten drei Einsatzmonaten unternahm die F218 bislang allerdings noch kein "unfriendly boarding". Der Kampf gegen den Waffenschmuggel fand nur auf "freiwilliger" Basis statt. Nur die Boote von Kapitänen, die die Marinesoldaten auch freiwillig an Bord ließen, wurden "untersucht".

Militärisch gesehen ist der Einsatz der 225 deutschen Marinesoldaten dennoch ein klarer Erfolg. Sie haben die wichtigste Aufgabe, die vollständige Aufklärung der Arbeit der Schlepperbanden, bestens geleistet. Wir wissen jetzt, wer die Schlepper schützt, an ihnen verdient. Wer sie zu uns schickt, die Migranten aus Afrika. Nun ist es an der Politik, dies abzustellen.

Quelle: ntv.de

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