Politik

Aufstand in der katholischen Kirche Theologen fordern Zölibatsende

2010 war das Jahr der Skandale - 2011 wollte die katholische Kirche eigentlich nur noch positive Schlagzeilen machen. Schließlich kommt bald der Papst. Nur die Basis spielt nicht mit: der Ruf nach Reformen wird immer lauter.

In die Zölibatsdebatte kommt wieder Dynamik.

In die Zölibatsdebatte kommt wieder Dynamik.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die katholische Kirche kommt nicht zur Ruhe. Oder besser gesagt: Katholiken lassen ihre Kirche nicht zur Ruhe kommen. Seit vor einem Jahr der Missbrauchsskandal um katholische Geistliche öffentlich geworden ist, rumort es an der Basis, und der Ruf nach Reformen wird immer lauter. Jetzt gibt es einen Protest, der schlagkräftiger sein könnte als alle anderen: 144 katholische Theologieprofessoren fordern in einer Erklärung weitreichende Veränderungen, unter anderem das Ende der erzwungenen Ehelosigkeit für Priester und die Stärkung der Laien. Die Hoffnung vieler Bischöfe, dass 2011 wieder Ruhe in der Kirche einkehren könnte, ist damit endgültig dahin.

2011 sollte das Jahr der positiven Schlagzeilen werden - gekrönt vom glamourösen Besuch des Papstes, der in acht Monaten durch Deutschland reist. Für Debatten über tiefgreifende Reformen wie die Abschaffung des Zölibats werde es in den "kommenden Jahren" Gelegenheit geben, hatten die Bischöfe vor zwei Wochen beschieden. Aber so lange will die Basis nicht warten. Der Priestermangel wird in immer mehr Gemeinden deutlich spürbar: Pfarreien werden zusammengelegt, Ansprechpartner für die Seelsorge fehlen, zur Messe müssen Katholiken gerade auf dem Land weite Strecken zurücklegen.

Zeichen der Zeit erkennen

Prominente Politiker, darunter Bundestagspräsident Lammert, haben in einem Brief an die deutschen Bischöfe die Aufhebung des Zölibats gefordert.

Prominente Politiker, darunter Bundestagspräsident Lammert, haben in einem Brief an die deutschen Bischöfe die Aufhebung des Zölibats gefordert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Dass die Kirchenführung trotzdem bei Priestern auf dem Zwang zur Ehelosigkeit beharrt und damit junge Männer abschreckt, oder dass sie Frauen generell vom Priesteramt ausschließt, wollen viele an der Basis deshalb nicht mehr hinnehmen. "Die Kirche muss diese Zeichen verstehen und selbst aus verknöcherten Strukturen ausziehen, um neue Lebenskraft und Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen", schreiben die 144 Professoren in ihrem Memorandum. Auch wenn sich viele Bischöfe nach dem Missbrauchsskandal noch so sehr nach Ruhe sehnen, dürfe sich die Kirche im Moment einfach keine Ruhe gönnen. "In der gegenwärtigen Lage könnte das nur Grabesruhe sein."

Es ist ein unüberhörbares Zeichen, dass trotz zu erwartender Konflikte mit den kirchlichen Würdenträgern jeder dritte katholische Theologie-Professor im deutschsprachigen Raum den Aufruf unterzeichnet hat. Spätestens seit dem Missbrauchsskandal sind viele Katholiken nicht mehr bereit, in der hierarchisch organisierten Kirche einfach die Entscheidung "von oben" hinzunehmen.

Laienverbände und eine ganze Reihe prominenter Katholiken haben ihrem Unmut in den vergangenen Wochen immer deutlicher Luft gemacht. Bundestagspräsident Norbert Lammert und Bildungsministerin Annette Schavan (beide CDU) warnten, der Zölibat führe die Gemeinden in einen "seelsorgerischen Notstand". Vor einer Woche machte die Nachricht Schlagzeilen, dass selbst Papst Benedikt XVI. vor 40 Jahren eine Überprüfung des Zölibats gefordert hatte. Heute hält er ihn für einen "heiligen" Wert der Kirche, die an dieser Besonderheit des Priesteramtes festhalten müsse.

Vielleicht letzte Chance

Der Tübinger Theologe und Kirchenkritiker Küng hält nach dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche eine zweite Reformation für notwendig.

Der Tübinger Theologe und Kirchenkritiker Küng hält nach dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche eine zweite Reformation für notwendig.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein weiteres Kapitel in diesem Streit zeichnet sich schon ab: In einem Monat veröffentlicht der prominente Tübinger Theologe Hans Küng seine Streitschrift "Ist die Kirche noch zu retten?". Küng glaubt, dass zur Ehelosigkeit gezwungene Priester eher zu sexuellen Übergriffen auf Kinder neigen.

Der Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, Pater Bernd Hagenkord, sieht die Zölibatsdebatte nicht zuletzt von den Medien gesteuert. Die Theologen nutzten mit ihrer Erklärung "eine besondere Form der Aufmerksamkeit", die der bevorstehende Papstbesuch in Deutschland schaffe. "Es ist klar, dass die Kirche sich schadet, wenn sie den Dialog verweigert, sowohl innerkirchlich als auch mit Kultur und Gesellschaft." Es müsse aber ebenso deutlich gesagt werden, "dass die Medienkultur nicht die einzige Instanz sein kann, die entscheidet, wann ein Dialog wirklich stattfindet und wozu er geführt werden darf."

Wie dem auch sei, mit der Ruhe, die sich die Kirchenführung so sehr herbeisehnt, wird es so bald nichts werden. Die Erwartungen, dass nun tiefgreifende Reformen möglich sind, seien groß, schreiben die 144 Professoren. Die Kirche dürfe diese Chance nicht verspielen. Schon jetzt gebe es Befürchtungen, dass die Kirche einfach nicht reformfähig sein könnte. Mahnend schreiben sie: "Wird die vielleicht letzte Chance zu einem Aufbruch aus Lähmung und Resignation durch Aussitzen und Kleinreden der Kirche verspielt?"

Quelle: ntv.de, Marc Herwig, dpa

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