Wo Holland Berge hatWinterberg wird oranje

Winterberg galt schon immer als Hausberg von Holland. Mittlerweile kommt jeder dritte Tourist von drüben. Im größten Hotel des Ortes werden Deutsche gar nicht mehr genommen.
Winterberg im Sauerland galt schon immer als Hausberg von Holland. Aber erst in den letzten zehn Jahren hat sich der Wintersportort in Nordrhein-Westfalen so richtig oranje gefärbt. Jede dritte Tourist kommt nun von drüben.
Mit großer Entschiedenheit leert Bernd Altenseuer, Platzwart des Campingparks Hochsauerland, seine Kaffeetasse. "Ich muss runter - da steht wieder ein Käskopp", sagt er. Sein holländischer Freund, der Dauercamper Nico Limburg, überhört die Beleidigung. Er und Altenseuer sind dicke Freunde. Häufig vertritt der 70-jährige Limburg den Platzwart sogar: "Dann habe ich die Leitung über den ganzen Platz. Ich liebe das Camping-Leben. Jeder hilft jedem, alle sind nett. Manchmal muss ich richtig weinen."
"Hier hat man heile Welt"
Limburg, zwei Herzinfarkte, sieben Bypässe, kommt ursprünglich aus Amsterdam, aber es gefällt ihm da nicht: "Amsterdam ist so eine schreckliche Stadt. Hektisch und viel Kriminalität. Hier hat man noch heile Welt. Und dann die Ruhe und die schöne Landschaft!" Keine Sehnsucht nach dem Meer? "Wir sind keine Strandmenschen", antwortet seine Frau Rietje. "Sand essen? Nee!"
Jetzt fährt der Ex-Manager nur noch drei Mal im Jahr kurz in die Heimat, um dort zum Arzt zu gehen. Sein geräumiges Haus in der Einflugschneise von Schiphol steht leer, dafür lebt er mit Frau und sprechendem Papagei in seinem Wohnwagen und einer winzigen Hütte 668 Meter über dem Meeresspiegel. Sein Sohn und seine Tochter verbringen mittlerweile ebenfalls jede freie Minute auf dem Platz. Die Tochter will im Mai in Winterberg heiraten: "Die sind besessen von Winterberg."
Die Wirtschaftskrise hat das Geschäft in Winterberg noch belebt - statt in die Alpen fährt nun mancher Holländer lieber ins Sauerland. 1,1 Millionen Übernachtungen zählt Winterberg im Jahr, und die Holländer sind besonders willkommen, denn sie geben mehr Geld aus als die Deutschen: "Die Zeiten, als die ihr Campingstühlchen aufklappten und die Kühltasche rausholten, sind lange vorbei", schildert Tourismusdirektor Michael Beckmann. Holland ist reich geworden, das merkt man auch hier. Die Gäste, deren Kennzeichen NL einst spöttisch mit "Niente Lire" übersetzt wurde, bestellen jetzt zu jedem Essen eine Flasche Wein und loben dann noch die niedrigen Preise, weil sie sie mit der Schweiz oder mit Österreich vergleichen.
Im größten Hotel des Ortes werden Deutsche gar nicht mehr genommen. Wenn ein Deutscher bei "De Brabander" anruft, wird er abgewimmelt. "Dann sagen wir: "Wir sind ausgebucht!"", erzählt Inhaber Rob Meurs. Nur ganz Hartnäckige bekommen die Wahrheit zu hören: Gut, es ist doch noch nicht alles ausgebucht, aber es ist ein holländisches Hotel mit holländischer Musik, holländischem Fernsehen und holländischem Essen (Hagelslag-Streusel, Frikandeln). Wenn einem das gefällt, bitte. Aber dann hinterher keine Beschwerden, dass das wie Ski-Freizeit in Holland war!
"Das ist hier eine niederländische Enklave", meint Jaap van der Werf, ein 41-jähriger Familienvater. Mit seinen kleinen Kindern war es ihm nach Österreich zu weit, deshalb hat er sich für Winterberg entschieden. Marinus Doldersun fand die Entfernung sogar für einen Tagesausflug nicht zu weit: Die Hinfahrt im Schneetreiben dauerte viereinhalb Stunden. Hat ihm aber nichts ausgemacht. Nun steht er zum ersten Mal in seinem Leben auf Skiern. Sogar jeder dritte Tagesgast kommt inzwischen aus Holland.
Im März will Nico Limburg endlich mal wieder drei Wochen am Stück in Holland verbringen. "Ach ja, ich lass ihn in dem Wahn", sagt seine Frau. "Spätestens nach einer Woche wird er doch wieder kribbelig. Und dann geht es wieder nach Winterberg."