"Historisch fast einmalig"Dopingstudie belastet Ex-Olympiaarzt schwer

Joseph Keul war die prägende Figur der westdeutschen Sportmedizin, über Jahrzehnte betreute er als Chefarzt die Olympia-Athleten. Eine Studie belegt nun: Keul war auch zentral beim Fördern und Vertuschen von massivem Doping in der Bundesrepublik.
Der frühere Olympia-Chefarzt Joseph Keul sei einer der "am meisten dopingbelasteten Sportmediziner in Westdeutschland" gewesen. Zu diesem Urteil kommt eine 401 Seiten umfassende Studie des Wissenschaftlers Andreas Singler. Keul, der 2000 gestorbene langjährige Leiter der Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg, sei in seiner Karriere zum "zentralen Garanten" der Doppel-Moral und der Vereinbarkeitsfiktion "des eigentlich Unvereinbaren gewesen: von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und vom manipulationsfreiem Spitzensport als Normalfall".
Laut Singler und Co-Autor Gerhard Treutlein hat Keul, der als Doyen der deutschen Sportmedizin bezeichnet wurde und seit 1960 die Olympia-Mannschaften ärztlich betreute, selbst nicht viele Sportler gedopt. Dafür habe er "mit jahrzehntelangen Marginalisierungen, Verharmlosungen und Täuschungen über die wahren Verhältnisse" Wirkungen erzeugt, wozu im bundesdeutschen Sport vor allem nach der Manipulationsdebatte von 1976/77 geschwiegen werden sollte: Doping.
Die frühere Leichtathletin und Doping-Aufklärerin Brigitte Berendonk hatte es einst ähnlich formuliert: "Professor Keul hat sich über Jahre hinweg durch seine wissentliche Duldung ums Doping verdient gemacht."
Auch Belege für Einzeldoping
Allerdings liefern die Gutachter auch Belege dafür, dass Keul nachweislich vereinzelte Athleten dopte. Als sicher gilt dies im Zusammenhang mit dem Doping zweier Hammerwerfer, die vor dem offiziellen Verbot 1977, aber zumindest in einem dieser Fälle bereits zu Zeiten des Verbots durch den Leichtathletik-Weltverband IAAF seit 1970/71, mit Anabolika gedopt worden waren. Keul hatte aktives Doping stets bestritten.
"In den 1970er Jahren, bis zur großen Manipulationsdebatte 1976 und 1977 im Nachgang zu den Olympischen Spielen in Montreal, stand Keul zumindest vereinzelt nachweisbar auch für aktives Doping beziehungsweise die aktive medizinisch nicht indizierte Intervention zum Zweck der Leistungssteigerung", schreiben die Autoren in ihrer Studie, die der Deutschen Presse-Agentur vorab vorlag.
Dazu gehöre die "Kolbe-Spritze", die dem damaligen Ruder-Weltmeister Peter-Michael Kolbe vor dem Einer-Finale bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal gegen Ermüdung verabreicht worden war, und die Aktion "Luftklistier". Damit wurde bei bundesdeutschen Schwimmern zur Verbesserung der Wasserlage Luft oder ein Luft-Gas-Gemisch in den Darm gepresst. In beiden Fällen habe Keul laut Gutachten eine Rolle gespielt. Allerdings habe er Kolbe nicht selbst gespritzt. Hingegen setzte der Mediziner, so Singler, die Spritze beispielsweise bei Schwimmern.
Zentral beim Imagemanagement
Die "eigentliche Mittäterleistung" Keuls beim bundesdeutschen Doping habe im Imagemanagement für den Hochleistungssport bestanden, in einzelnen Fällen seien auch "handfestere Maßnahmen nachweisbar: die Vertuschung von vorliegenden Dopingfällen", stellten die Wissenschaftler fest. Darüber würden für die Zeit zwischen 1983 und 1996 neben Akten aus Archiven auch Zeitzeugen Aufschluss geben.
Geschildert wird in dem Gutachten das Management eines Testestoron-Dopingfalls 1983 und mutmaßliche anabolikagestützte Olympia-Vorbereitung für 1984 unter Aufsicht Keuls und des Doping-Analytikers Manfred Donike. Ein Leichtathlet sei bei der Doping-Kontrolle bei den deutschen Meisterschaften 1983 in Braunschweig der Einnahme von Testosteron überführt worden. Das Mittel war erst Anfang 1982 auf die Dopingliste gesetzt worden. Der Athlet bestritt die Einnahme, konnte aber wegen der von der IAAF noch nicht veröffentlichten Grenzwerte nicht offiziell gesperrt werden.
"Historisch fast einmaliges Ausmaß"
In der Folge sei von Keul und Donike bei dem Sportler über Jahre hinweg das Testosteron-Abbauverhalten überprüft worden. Dabei war laut Studie den obersten deutschen Dopingbekämpfern laut Akten auch bekannt, dass der Athlet über Testosteron hinaus synthetische Anabolika eingenommen hatte.
"Eingedenk dieser Tatsache ist es ein Skandal von historisch fast einmaligem Ausmaß, dass der Sportler von höchster Stelle wissenschaftlich begleitet 1983 bei der WM in Helsinki und 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles mit beträchtlichem Erfolg teilnehmen konnte", schreiben die Autoren.