Leben

Paare machen halbe-halbe Die mentale Last ist durch zwei teilbar

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Wenn eine/r immer wütender wird, könnte das am Mental Load liegen.

(Foto: imago images/Panthermedia)

Wenn Paare streiten, geht es häufig um Alltagskram. Um die vielen kleinen Dinge, die jeden Tag in einer Familie erledigt werden müssen. Und darum, wer diese Liste eigentlich immer auf dem Schirm hat. Inzwischen versuchen immer mehr Paare, diesen "Mental Load" zu teilen.

Vor Kurzem kannte kaum jemand den Begriff "Mental Load". Höchstens eingefleischte Comicleser, die schon vor Jahren "Du hättest bloß zu fragen brauchen" der Illustratorin Emma gelesen hatten. Inzwischen wird er sogar in Papieren des Bundesfamilienministeriums verwendet, und gerade sind zwei Bücher dazu erschienen. Das liegt auch daran, dass "Mental Load" - übersetzt in etwa "mentale Last" - etwas beschreibt, das alle Eltern und besonders Mütter kennen: jene ewig innerlich ratternden Listen mit den Tausend Dingen, die zu bedenken sind. Neue Schuhe für das Kind, der Termin für die Vorsorgeuntersuchung, Kindergeburtstag beim Schulfreund, das Fahrrad wird langsam zu klein, das Essen für morgen und übermorgen, Waschmittel ist alle - es könnte ewig so weitergehen.

In der Broschüre des Bundesfamilienministeriums wird der Begriff so erklärt: "Gemeint ist das gesamte Management der anstehenden Aufgaben und Tätigkeiten der unbezahlten Sorgearbeit, ob alltäglich, außeralltäglich, direkt oder unterstützend, für die gesamte Familie." Patricia Cammarata, Autorin des Buches "Raus aus der Mental Load-Falle" und beruflich lange als Projektleiterin in der IT-Branche unterwegs, nennt es im Gespräch mit ntv.de das "Projektmanagement einer Familie".

Ihr fiel die mentale Last erst auf, als sie nach dem dritten Kind in ihren Beruf zurückkehrte. Sie war dauererschöpft, "auch, nachdem meine Kinder schon relativ gut geschlafen haben". Dabei hatte sie eigentlich gute Rahmenbedingungen: eine zuverlässige Kinderbetreuung, einen kurzen Arbeitsweg, einen Job, der ihr Spaß machte. Trotzdem war alles viel zu viel. Cammarata hatte ihre persönliche Themenliste aus der Elternzeit einfach in den nächsten Lebensabschnitt mitgenommen. "Mir war zunächst gar nicht klar, dass ich das immer alles mitmanage."

Unsichtbar und nicht wertgeschätzt

Auch Laura Fröhlich nennt es in ihrem Buch "Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles!" die "unsichtbarste und am wenigsten wertgeschätzte Arbeit" innerhalb einer Familie. Fröhlich verweist auf eine Oxfam-Studie, der zufolge weltweit täglich 12,5 Milliarden Stunden Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit geleistet werden. Meist wird als selbstverständlich betrachtet, dass Frauen diese Arbeit machen. Doch nicht einmal sie selbst erkennen oft an, was sie da tagtäglich leisten.

Cammaratas damaliger Partner war durchaus ein engagierter Vater. Trotzdem kam das Paar über den Mental Load und die damit verbundene Überforderung nur schwer ins Gespräch. Heute denkt die studierte Psychologin, sie hätte viel früher Stoppzeichen setzen müssen. "Ich war immer sehr angespannt und auch dauerhaft verspannt. Ich fand dieses Wort 'bitterfotzig' dafür sehr passend, so wie in Maria Svelands Buch", erzählt sie. "Ich war auch so verkrampft, weil ich wusste: Wenn ein Element wegbricht, dann hat das eine ganze Kette von Konsequenzen." Wenn man das Gespräch aber erst sucht, wenn die Belastung schon hoch ist, dann ist ein sachlicher Austausch schwierig.

Wer gar nicht erst in die Mental-Load-Falle tappen oder ihr entkommen will, muss mit der zweiten erwachsenen Person im Haushalt ins Gespräch kommen. "Das ist ja die Person, die für Haushalt und Kinder genauso mitverantwortlich ist", sagt Cammarata heute ganz selbstverständlich. So hält sie es auch mit ihrem jetzigen Partner.

In ihren Workshops rät sie dazu, das Problem offen anzusprechen und sich nicht darauf zu verlassen, dass man in der Liebe nichts verhandeln muss. Man könne beispielsweise sagen: "Wir haben beide gedacht, dass wir das schon hinkriegen, aber ich merke, dass das nicht klappt. Deshalb würde ich gern über die unsichtbaren Anteile sprechen. Was ist das? Und wie wollen wir das ändern?"

Listen machen und verteilen

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Zuerst gehe es tatsächlich darum, den Mental Load überhaupt sichtbar zu machen: jede Arbeit, jede Verantwortung, die gegenseitig nicht gesehen wird. Cammaratas innere Projektmanagerin hat daraus lange Tabellen gemacht, in denen alles aufgelistet wurde. Tägliche Aufgaben wie das Füllen der Schulbrotdosen und das Ausräumen der Geschirrspülmaschine genauso wie der Wochenendeinkauf und die Wäsche oder seltenere Erledigungen wie Rasenmähen und Auto zum TÜV bringen. Dann wird alles verteilt - und zwar so, dass jeder die Hälfte der Verantwortung abbekommt, bei den täglichen ebenso wie bei den selteneren Aufgaben. Wer die Verantwortung für etwas trägt, erkennt man leicht, wenn man diese Fragen beantwortet: Wer initiiert es, wer denkt daran, wer setzt es um, wer verantwortet es und wer bügelt es aus, wenn es nicht klappt?

"Da kommen schon die ersten Aha-Erlebnisse", sagt Cammarata, denn häufig gebe es eine geschlechterrollenspezifische Verteilung der Aufgaben. "Weibliche Aufgaben kommen oft im Alltag vor, sind dröge und auch noch an bestimmte Zeiten gebunden. Kinder von der Kita abholen ist ein Klassiker." Männer sehen eher die langfristigeren und weniger zeitkritischen Aufgaben als ihre an.

Für die Verteilung gibt es kein Patentrezept, denn jedes Paar hat andere Baustellen. Wenn einer beispielsweise das Kochen liebt, aber Einkaufen hasst, könnte die Lösung in einer Aufteilung liegen. Mögen beide bestimmte Pflichten und würden andere lieber vermeiden, ist es vielleicht eine Idee, sich abzuwechseln. "Und dann braucht man eine wöchentliche Routine, um das konkret zu verteilen", sagt Cammarata.

Die Tücke liegt, wie immer, im Detail. "Das Gehirn arbeitet so, dass es sich nicht die Information selber merkt, sondern den Ort der Information." Dieser Ort sei sehr oft die Partnerin. Bei geteiltem Mental Load gebe es aber einen inneren Entschluss, selbst die Informationen haben zu wollen. Wie heißt der Kinderarzt, wo liegen die Impfausweise, welche Kleidergröße hat das Kind, wie heißt die beste Freundin und was wünscht sie sich zum Geburtstag? Das ist zunächst unbequem, aber nach und nach erarbeitet man sich neue Kompetenzen. In Cammaratas Buch erzählen Paare, wie sie auf ihren Handys Listen und Kalender teilen, damit jeder immer auf dem neuesten Stand ist.

Versorger und Kümmerer in einem

"Wenn man immer wieder über diese Verteilung spricht, wenn man zusammenzieht, wenn man einen neuen Job anfängt, wenn man sich ein Kind wünscht oder eines erwartet", dann werde das völlig normal. Allerdings kommen vermutlich weitere Fragen auf, warnt sie. "Wie lässt sich diese gerechte Teilung der Verantwortlichkeiten mit unseren Arbeitszeitmodellen vereinbaren? Welche Wirkungen hätte es darauf?" Viele gängige Modelle beruhen darauf, dass der Mann als Hauptverdiener das Geld heranschafft und die Frau Teilzeit arbeitet. Das wollen aber viele Paare inzwischen nicht mehr. Und selbst wenn sie es anstreben, wird immer mehr Vätern klar, dass sie wertvolle Zeit mit ihren Kindern verpassen, wenn sie nicht mit ihnen die neuen Hausschuhe kaufen gehen oder sie zum Fußballtraining bringen. "Und die Kinder lernen, dass sie genauso gut versorgt werden, wenn sie sich an den Vater wenden."

Inzwischen gibt Cammarata ihr Wissen weiter, sogar Hebammen in Geburtsvorbereitungskursen greifen darauf zurück. Denn die Geburt eines Kindes ist selbst bei Paaren mit den besten Absichten noch immer der Punkt, an dem sie in alte Rollenmuster zurückfallen. Sie selbst hat beispielsweise das ungeliebte Schuhekaufen als Verantwortung abgegeben und war bereit, dafür auch den Kauf "hässlicher" Schuhe zu akzeptieren. Auf ihrem Blog kann man nachlesen, dass sie es nicht bereut hat. Aber Kompromisse gehören eben dazu.

Die Hürde für geteilten Mental Load sind Männlichkeitsbilder und auch ein gewisses Besserwissertum bei Frauen. Der Gewinn ist jedoch auf der anderen Seite erheblich: Glücklichere Beziehungen, weil nicht ein Partner ständig überlastet ist. Beide Eltern haben eine gute Beziehung zum Kind und volles Mitspracherecht. Und nicht zuletzt kann sich jeder und jede unabhängig von starren Rollenmustern immer wieder weiterentwickeln. Wenn die Schwelle einmal überschritten ist, will kaum noch jemand zurück, ist Cammaratas Erfahrung. "Dann sind beide Versorger und Kümmerer und erleben auch beide sehr viel mehr."

Quelle: ntv.de

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