Leben

Biyon Kattilathu im Interview "Ein Nein zu anderen ist oft ein Ja zu sich"

Selbstannahme ist die Grundlage für Zufriedenheit.

Selbstannahme ist die Grundlage für Zufriedenheit.

(Foto: imago/PhotoAlto)

Mangelnde Selbstliebe und fehlendes Selbstbewusstsein beeinflussen nahezu alle Lebensbereiche negativ. Dennoch hadern viele Menschen damit, sich so anzunehmen, wie sie sind. Biyon Kattilathu promovierte im Bereich Motivationspsychologie und ist ein erfolgreicher Buchautor. Besonders durch seine Videos in sozialen Netzwerken hat der Motivationstrainer eine große Follower-Zahl. Sein neuestes Buch "Weil ich es wert bin!: 101 Herzensgedanken für sie" ist eine Sammlung von Gedichten und Herzensgedanken, die zu mehr Selbstliebe ermutigen.

ntv.de: Warum fehlt es so vielen Menschen an Selbstliebe?

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Biyon Kattilathu: Ich denke wir sind eigentlich glücklich, aber haben es irgendwie vergessen. Bei dem Buch geht es ja ganz speziell um das innere Kind, weil wir alle ja wissen, wie es ist, wenn man sich komplett frei und leicht fühlt. Früher gingen wir noch sorgenfrei durch das Leben. Aber was ist in der Zwischenzeit passiert? Da haben sich Schleier gebildet. Das kann verschiedene Gründe haben: Die Erziehung, schlechte Erfahrungen und andere Dinge spielen da eine Rolle. Beispielsweise haben wir als Kinder die Erfahrung gemacht, dass wir gut und wertvoll sind, wenn wir eine gute Note schreiben. Dabei darf mein Verhalten niemals meinen Wert definieren. Die schlechten Erfahrungen wie Liebeskummer oder ausgelacht worden zu sein, können dazu führen, dass wir so eine Art Selbstschutz aufbauen. Wir wurden zum Beispiel schüchtern oder vertrauen der Liebe nicht mehr. Wir wollen diesen Schmerz nicht mehr spüren. Im Endeffekt geht es aber darum, das Leben nicht so ernst zu nehmen, weil es ein Spiel ist. Wir können es nicht gewinnen aber bestmöglich spielen.

Welche Auswirkungen hat ein negatives Selbstbild auf das eigene Leben?

Fehlende Selbstliebe spüren wir an allen Ecken und Enden. Das kann zum Beispiel sein, dass wir anfangen, nur noch für andere Menschen zu funktionieren. Wir vergessen die wichtigste Beziehung: Die Beziehung zu uns selbst, weil wir denken, dass wir erst einmal für andere da sein müssen. Selbstbewusstsein bedeutet, sich seiner selbst bewusst zu sein. Das heißt zu wissen, was man gut kann und was nicht. Dann sollte man auch zu seinen Stärken und Schwächen Ja sagen. Das gibt einem so ein schönes Gefühl, wenn man sagt "Ich bin okay, so wie ich bin".

Wieso binden so viele Frauen ihren Selbstwert an ihr Äußeres und Männer ihren an Status und Geld?

Wenn man mal mit Männern spricht, die viel Geld verdienen, oder mit Frauen, die optisch die Schönheitsideale erfüllen, fehlt denen oft etwas. Ganz viele Menschen, die mir folgen, sind Menschen, wo wir sagen würden: "Wow, er oder sie hat doch alles. Warum brauchen die das?" Diese Menschen haben das Glück immer im Außen gesucht. Wenn der Selbstwert aber nur von der Bestätigung anderer Menschen abhängt, bin ich immer abhängig von denen. Wenn ich zum Beispiel das Auto oder das Geld brauche, um Anerkennung zu bekommen, brauche ich immer wieder Anerkennung. Wenn ich als Frau die Blicke und Komplimente benötige, dann versuche ich daraus meinen Selbstwert zu definieren. Aber das ist dann kein Selbstwert, sondern ein Fremdwert.

Wie kommt man darüber hinweg?

Wenn wir morgens aufstehen und in den Spiegel schauen, erkennen wir, wer wir wirklich sind. Es spielt keine Rolle, wie wir aussehen oder was wir haben. Es ist ein Geburtsrecht von uns Menschen, unendlich wertvoll zu sein. Die Grundlage liegt ganz tief in unserem Inneren. Wenn wir uns wertvoll fühlen, dann machen wir den Sport auch für uns. Dann machen wir uns hübsch für uns. Wir machen einen Beruf, weil es unsere Berufung ist und nicht um die Komplimente anderer Menschen zu kriegen.

Wie kann man denn nun seine Selbstzweifel überwinden und sich mehr lieben lernen?

Biyon Kattilathu und sein "Coronabuch".

Biyon Kattilathu und sein "Coronabuch".

(Foto: privat)

Da gibt es verschiedene Wege. Die Frage ist natürlich auch, warum man sich gerade nicht so gut fühlt. Wir können jeden Tag einen Weg einschlagen und an uns und der Beziehung zu uns selbst arbeiten. Wenn ich morgens beim Zähneputzen an drei Dinge denke, für die ich dankbar bin, gehe ich mit einem anderen Gefühl aus dem Haus, als wenn ich daran denke, was alles für Termine anstehen. Wenn ich abends überlege, was gut lief am Tag, schlafe ich anders ein, als wenn ich überlege, was nicht so gut gelaufen ist oder was ich hätte besser machen können. Das sind Kleinigkeiten, die man in seinen Alltag einbauen kann. Diesen kleinen Gute-Laune-Muskel kann man jeden Tag trainieren - egal wo man ist.

Viele Menschen sind auch im beruflichen Leben von Ängsten geplagt. Sie haben beispielsweise Angst, Vorträge zu halten, mit dem Chef zu reden oder Nein zu den Kollegen zu sagen. Was kann man dagegen tun?

Angst sehen wir nicht, und sie entsteht immer aus einem Gedanken heraus. Genauso wie alle Gefühle. Die meisten Menschen stellen sich vor, was schieflaufen könnte. Wir malen uns beispielsweise aus, wie der Chef böse wird. Im Umkehrschluss müssen wir uns daher gute Gedanken machen, um uns gut zu fühlen. Das heißt nicht, ins Gegenteil zu verfallen und alles durch die rosarote Brille zu sehen, sondern uns zu fragen, was wichtiger ist. Ist es wichtiger, zu handeln oder nicht zu handeln? Wenn ich einen wichtigen Termin oder ein wichtiges Projekt habe, stelle ich mir immer vor, wie es gut laufen könnte. Und es läuft nicht immer gut, aber zumindest hat der Weg dahin viel mehr Spaß gemacht und ich habe dadurch den Mut geschöpft, die Schritte zu machen. Man sollte auch mal den Mut haben, Nein zu sagen, und so für seine eigenen Werte einzustehen. Wir sollten uns um uns selbst kümmern. Ein Nein zu anderen ist oft ein Ja zu sich selbst.

Veränderungen fallen oft nicht leicht. Warum kommen wir nicht aus der Komfortzone heraus?

Das kann teilweise evolutionär begründet werden. Veränderung war für Menschen ja auch immer mit Gefahr verbunden. Auch heute noch sind viele Menschen unsicher, wenn sie Neues wagen. Wir haben Angst vor Veränderung. Aber Veränderung ist nicht aufzuhalten, und man kann nur Ja zu Veränderung sagen. Sie findet statt, egal ob wir es wollen oder nicht. Sie ist eigentlich so normal, aber wir haben Angst davor. Die Angst ist immer da, aber alles, was wir jetzt haben, war einmal eine Entscheidung. Wir müssen Entscheidungen treffen und dazu stehen und bereit sein, den Preis zu zahlen, der mit dem Weg verbunden ist. Die Lösung für Motivation steckt ja in dem Wort selbst: Das Motiv, das heißt, das Warum. Wenn wir unser Motiv kennen, also warum wir etwas machen, dann haben wir auch Motivation.

Nun haben viele Menschen aber Angst, die falsche Entscheidung zu treffen.

Eine falsche Entscheidung zu treffen bedeutet ja nur, dass man denkt, alle anderen Entscheidungen wären besser gewesen. Aber das stimmt gar nicht. Ob eine Entscheidung richtig oder falsch war, kann man erst nach einem gewissen Zeitraum beurteilen. Das Jahr 2020 hat uns gezeigt: Wenn das Leben einen anderen Plan hat, wird es eh anders kommen, als wir es für uns gedacht haben.

Nun stellen sich manche Entscheidungen im Nachhinein doch als falsch heraus. Dann ist man schnell dabei, sich als Versager zu fühlen. Wie kommt man über diese Schuldgefühle hinweg?

Viele Menschen haben Angst vor Fehlern, aber ein Mensch hat noch nie einen Fehler gemacht. Fehler sind einfach so passiert. Ein Fehler bedeutet, dass man etwas mit Vorsatz falsch macht - also man sich absichtlich in einen schlechten Menschen verliebt, oder den falschen Beruf wählt. Fehler sind uns aber passiert. Dann sollten wir das so annehmen. Manchmal gewinnt man und manchmal lernt man.

Viele Menschen belastet die Corona-Krise sehr. Sie haben Angst vor dem Virus, fühlen sich durch die Maßnahmen belastet oder plagen sich mit Zukunftsängsten herum. Haben Sie Tipps, wie man besser mit dieser Unsicherheit umgehen kann?

Je mehr wir uns negative Gedanken machen, desto schlechter fühlen wir uns. Ich zum Beispiel bin kein Freund davon, mich in den Nachrichten zu vertiefen. Ich informiere mich auch, aber schaue nicht jede freie Minute nach, was es Neues gibt. Die meisten Menschen fühlen sich ohnmächtig, weil sie merken, dass sie so wenig verändern können. Sie können die Politik, die Regeln nicht ändern oder den Lockdown nicht ändern beziehungsweise aufheben. Wenn ich aber im Außen schon nichts verändern kann, dann im Kleinen. Ich kann zum Beispiel neue Gewohnheiten in mein Leben integrieren. Vielleicht kann ich auch optisch etwas an mir oder an meinem Geist verändern. Ich kann auch mein Umfeld verändern. Das heißt: Wenn wir uns im Kleinen verändern, dann verändern wir die ganze Welt. Ich finde, Glück ist auch oftmals akzeptieren zu können, was ist. Ich kann mich zwar dagegen auflehnen, aber wenn ich akzeptiere, was gerade ist - wie den Lockdown - dann habe ich den inneren Frieden damit gefunden. Das Buch ist im Lockdown entstanden. Meine Tour ist ausgefallen, und meine ganze Jahresplanung war hinüber. Dann habe ich mich gefragt, was ich tun kann und was den Menschen im Moment guttun könnte.

Mit Biyon Kattilathu sprach Isabel Michael

Quelle: ntv.de

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