Raffaels Kultbild wird 500 "Die Sixtina lehrt Ehrfurcht"
26.05.2012, 12:24 UhrSie ist 5,4 Quadratmeter groß und gilt als schönste Frau der Welt. Vor 500 Jahren malte Raffael seine Sixtinische Madonna, eine Darstellung der Mutter Gottes und eine künstlerische Meisterleistung. Mit einer großen Sonderausstellung feiern die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden diesen besonderen Geburtstag. Mit der Geschichte des Bildes sind inzwischen spannende Geschichten verbunden, von Geheimverhandlungen, Vergessenheit, Ruhm und Kitsch. Auch der Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister, Bernhard Maaz, kann sich im Gespräch mit n-tv.de dem Zauber der Sixtina nicht entziehen.

"Die Sixtinische Madonna" von Raffael (Raffaelo Santi); Öl auf Leinwand 281 x 426 Zentimeter.
(Foto: picture alliance / dpa)
n-tv.de: Raffaels Sixtinische Madonna gehört zu den berühmtesten Bildern der Welt. Was weiß man zur Entstehungsgeschichte des Bildes?
Bernhard Maaz: Wir feiern ja, Raffaels Sixtinische Madonna wird 500. Man weiß, dass dieses Bild bei ihm 1512 in Auftrag gegeben wurde. 1513 war das Gemälde fertig. Das Bild hat kein geringerer als Papst Julius II. für die Klosterkirche San Pisto in Piacenza bestellt. Und wenn der Papst ein Bild beauftragt, dann steht da die höchste kirchliche Macht dahinter.
Nun war Raffael zu diesem Zeitpunkt noch keine 30 Jahre alt, warum hat der Papst ausgerechnet ihm diesen Auftrag erteilt?
Raffael war damals schon als großer und erfindungsmächtiger Künstler bekannt, der von allen Auftraggebern geschätzt wurde und wie Michelangelo die Renaissance verkörperte. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass ein Künstler zu dieser Zeit schon in seinen 20ern an einer ganz anderen Stelle in seiner Laufbahn war, als wir das heute für gewöhnlich sehen. Damals waren die Künstler schon um die 20 auf der Höhe ihrer innovativen und kreativen Kraft und auch nicht durch eine unendliche Phalanx von Mitstreitern in den Schatten gestellt. Der andere Grund ist, dass Raffaels Kompositionsgabe wirklich furios war.
Wodurch zeichnet sich diese Gabe aus?
Es war nicht so sehr, dass Raffael mit enormer Kraft, großem Schwung und vehementer Vitalität komponiert und so martialische und vehemente Kompositionen wie Michelangelo entwickelt hätte. Bei ihm ist es vielmehr eine geradezu klassisch beruhigte Ausgewogenheit, ein Menschenbild von Anmut, Geistigkeit und anrührender Intensität. Das hat die Zeitgenossen auch erreicht. Das hat sie fasziniert. Hinzu kommt, dass er als Maler mit seinem zarten lasierenden Farbauftrag den geistigen Inhalten sakraler Kunst auch eine adäquate Transzendenz gegeben hat.
Das Bild ist sehr gut erforscht, was haben denn diese Forschungen über den Entstehungsprozess zutage gebracht?
Eine große Gabe von Raffael war es offenbar, dass er seine Kompositionen aus der Phantasie heraus arrangieren konnte und auf die Leinwand brachte. Es gibt also nicht uferlos Vorzeichnungen, wie wir das von Künstlern des 19. Jahrhunderts kennen. Bei der Sixtina befindet sich die Unterzeichnung auf der Leinwand, da gibt es dann im Detail auch mal Abweichungen, aber im Großen und Ganzen wurde die Komposition auf der Leinwand entwickelt und festgelegt. Es hat Veränderungen im Malprozess gegeben, aber diese ebenso schlichte wie faszinierende Dreieckskomposition des Heiligen Sixtus, der Madonna mit dem Kinde und der Heiligen Barbara, ist gleich angelegt. Vielleicht gab es nicht erhaltene Skizzen, aber es gibt keine unmittelbaren Vorstudien oder Detailstudien. Es heißt, er habe ganz zuletzt die beiden Putten dazu gemalt.
Was zeigt das Bild?
Das Faszinosum des Bildes besteht darin, dass wir das nicht mit einem Satz beantworten können. Es zeigt den Ernst der Mutter Gottes, die weiß, dass dieses Kind den schmerzvollen Opfertod für die Menschen sterben wird. Es zeigt die Ernsthaftigkeit der Mutterschaft im göttlichen Gewand. Es zeigt aber auch mit Papst Sixtus auf der linken Seite die Frömmigkeit des frühen 16. Jahrhunderts, nämlich einen Papst, der zwischen der Mutter Gottes als dem Himmlischen und uns, den irdischen Menschen, vermittelt. Er blickt zu ihr auf, weist aber auf uns hin und empfiehlt uns damit dem göttlichen Schutz. Diese Regie wurzelt in den Glaubensinhalten jener Zeit und stellt damit einen Dialog her zur Lebenswirklichkeit der Menschen.
Sie haben jetzt noch nicht die heilige Barbara erwähnt.
Die agiert in eine ähnliche Richtung, aber mit mehr Anmut, mehr Bescheidenheit. Sie steht als junge weibliche Heilige Sixtus, dem nachdenklichen, fast intellektuellen älteren Mann gegenüber. Damit werden verschiedene Generationen und Geschlechter berührt, verschiedene Heiligenikonographien bedient, und mit den beiden Putten wird auch noch das kindliche Publikum einer Heilsbotschaft angesprochen.
Die beiden Engel am unteren Bildrand führen ja inzwischen in der Popkultur ein Eigenleben, das beinahe losgelöst scheint von der Sixtina. Können sie das aushalten?
Die Isolation der Engel ist nicht rückgängig zu machen. Wir wollen jedoch sagen, dass die Engel, die ja auch den Bildwitz des Gemäldes ausmachen, Teil eines großen Ganzen sind. Und das heißt Sixtinische Madonna, und die ist wiederum Teil der Gemäldegalerie Alte Meister mit ihren unglaublichen Schätzen, die seit 250 Jahren eine der bedeutendsten europäischen Galerien ausmachen. Die Gemäldegalerie Alte Meister ist wiederum Teil der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, in denen man eine Ganzheit der Kunstgeschichte erleben kann, wie in nur wenigen Museumskomplexen der Welt. Wir wollen die Engel also nicht einholen, nur vernetzen. Sie sind sozusagen ein Zitat.
Die Putten sind in dem Bild aber klar der Antipart zur ernsthaften Mutter Gottes. Was hat Raffael da geritten, zwei solche Lausbuben hineinzumalen?
Vordergründig ist das ein Bildwitz, aber hintergründig haben diese irdischen Kinder als Kinder Gottes auch die Aufgabe, zwischen dem Betrachter und der Vision des Himmlischen zu vermitteln. Bei der Sixtinischen Madonna gibt es den berühmten zu beiden Seiten weggeschobenen Vorhang, der gewissermaßen das Visionäre unterstreicht. Wir schieben diesen Vorhang beiseite, hinter dem in der Engelsgloriole die Madonna als Vision aufscheint. Das himmlische Kind, der Jesusknabe auf dem Arm der Mutter, wird mit den beiden irdischen Kindern in Zusammenhang gebracht. Es ist ein wenig wie ein Bilderrahmen, der dem Bild eine ganz andere Tiefe verleiht.
Eigentlich ist das Bild eine Altartafel, die lange sehr versteckt in einer Kirche in Italien hing, bis August der III, das Bild nach Dresden holte. Woher wusste er von dem Bild?

Im Prestel-Verlag ist ein umfangreiches und spannendes Buch erschienen, in dem die Geschichten der Sixtina erzählt werden. Es kostet 39,95 Euro.
Bei Giorgio Vasari, dem großen biographischen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts, ist das Bild bereits erwähnt. Allerdings nur mit zwei Zeilen, weil schon Vasari das Bild vielleicht gar nicht im Original gesehen hatte. Es war in Piacenza in einer Kirche fernab der großen Kunstzentren. Es war eine Altartafel und im religiösen Gebrauch. Man betete hier bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zur Mutter Gottes. Also man wusste von dem Bild, aber es wurde nicht in erster Linie als Kunstwerk wahrgenommen. - Für den sächsischen Hof waren dann zahlreiche Kunstagenten unterwegs, die im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts die großen Sammlungen zusammentrugen. Man kaufte von Paris bis Prag und von den Niederlanden bis Italien. Man wusste, dass dieses Bild von Raffael noch nicht in einer Galerie, sondern noch in einer Kirche hing. Und man wollte unbedingt einen eigenen, bedeutenden Raffael in Dresden haben. Deshalb hat man sich zwei Jahre lang in zähen Verhandlungen um das Bild bemüht und den bis dahin höchsten je gezahlten Preis bezahlt.
Das Bild ist seit 1754 in Dresden und wurde dort im Lauf der Jahrhunderte in verschiedenen Räumen und Rahmen gezeigt. Für die aktuelle Ausstellung haben sie das Bild erneut umgehängt. Wie fühlt sich der neue Standort an?
Eine Ausstellung hat ja etwas Inszenatorisches. Bas Bild ist in einem anderen Raum, an einer anderen Stelle, in einem neuen Rahmen, auf einem neuen Sockel und mit einer neuen Glasscheibe versehen. Als wir ausprobiert haben, wie das Bild in diesem neuen Kontext wirkt, waren wir selbst überrascht, wie schön, wie edel, wie kostbar, wie neu es darin wirkt. Neu nicht wie neu gemalt, sondern wie neu gesehen. Das versprechen wir auch unserem Publikum, dass es die Sixtinische Madonna in unserer Ausstellung grundsätzlich neu wahrnehmen kann. Daneben stellen wir den Auftraggeber vor, wir zeigen Zeitgenössisches, um das Bild einzuordnen, aber wir erzählen auch die Geschichte, wie es immer wieder anders wahrgenommen wurde.
Was macht die Sixtinische Madonna noch immer so besonders?
Dieses Bild ist von einem abgrundtiefen Ernst über die menschliche Existenz. Es ist religiös, auch jenseits aller kirchlichen Bindung. Dieses Bild lehrt Ehrfurcht.
Mit Bernhard Maaz sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de