EU-Verkehrsminister einigen sich Flugverbot über Europa gelockert
19.04.2010, 20:30 Uhr
Eine Maschien der Air Berlin startet in München, um Reisende aus Mallorca zurückzuholen.
(Foto: dpa)
Nach der teilweisen Freigabe des Luftraums über Deutschlands scheinen alle Dämme gebrochen: Nachdem die Lufthansa zunächst ankündigt, am Dienstag 50 Langstreckenflüge durchzuführen, meldet Air Berlin am Abend, man habe bereits mehr als 100 Flüge durchgeführt und 15.000 Passagiere nach Deutschland geholt – und zwar im Sichtflugverfahren. Die europäische Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol erwartet eine Normalisierung des Flugbetriebs bis Donnerstag.
Nach tagelanger Luftraum-Sperrung dürfen Flugzeuge in Europa zumindest eingeschränkt wieder abheben. Der Luftraum soll nur noch dort geschlossen bleiben, wo eine bestimmte Konzentration an Asche überschritten wird. Darauf einigten sich die Verkehrsminister der 27 EU-Staaten und Luftfahrtexperten, sagte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas in Brüssel: "Von Dienstagfrüh an werden mehr Flugzeuge in der Luft sein." Das Gebiet, in dem geflogen werden dürfe, sei deutlich größer als bisher. Am Sonntag waren rund 80 Prozent aller Flüge in Europa ausgefallen, was den Fluggesellschaften Millionenverluste beschert hatte.
Die Deutsche Flugsicherung hatte am Abend die Sperrungen des deutschen Flugraums bis Dienstag 14.00 Uhr verlängert. Dies sagte Pressesprecher Kristina Kelek in Langen bei Frankfurt. Flüge nach Sichtflug seien aber von diesem Flugverbot ausgenommen. Ebenso seien auch Nachtflüge möglich, wenn es die regionalen Bestimmungen zuließen.
Drei Zonen für den Luftraum
Der Luftraum über Europa wird jetzt in drei Zonen eingeteilt: In der ersten gilt ein absolutes Flugverbot, im zweiten können die Mitgliedsstaaten entscheiden, ob sie Flugzeugen das Abheben erlauben, und im dritten Bereich ohne Asche-Gefahr ist das Fliegen unbegrenzt erlaubt. Entscheidendes Kriterium werden Satellitenbilder und Daten der Aschewolke sein. In Zone zwei werden die Staaten mit laufenden Testflügen ohne Passagiere das Sicherheitsrisiko ermitteln. "Der Verlauf der Zone wird alle sechs Stunden angepasst", sagte der Eurocontrol-Direktor.
Kallas kündigte an, dass die europäische Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol bis Dienstag früh entscheiden wird, wo die Zonen verlaufen und welche Daten für die Festlegung der Gebiete ausschlaggebend sind. Auch in den Bereichen, wo die Sperre aufgehoben wird, werde es noch drei bis vier Tage dauern, bis sich der Verkehr normalisiert.
Spanien bietet sich als Drehkreuz an
Spanien bot den EU-Staaten seine Flughäfen als Ausweichstellen für Fernflüge zu anderen Kontinenten an. Nach einem Vorschlag von Spaniens Verkehrsminister José Blanco könnten Flüge in die USA oder nach Lateinamerika von spanischen Flughäfen aus abgewickelt werden - Spanien würde als "Plattform" für Interkontinentalflüge dienen. So könnten zum Beispiel die in den USA festsitzenden Deutschen und Briten nach Spanien fliegen und von dort auf dem Landweg oder per Schiff in ihre Heimat zurückkehren.
Tausende Urlauber bereits daheim
Schon jetzt ist der Luftraum über Deutschland nicht mehr komplett gesperrt. Die Deutsche Flugsicherung und das Luftfahrtbundesamt erlauben Passagierflüge im kontrollierten Sichtflugverfahren. Sowohl die Lufthansa wie auch die Fluggesellschaften Air Berlin, TUIfly und Condor haben den Flugbetrieb eingeschränkt wieder aufgenommen. Die Lufthansa hatte zuvor gemeldet, sie werde ab sofort rund 15.000 Passagiere zumeist aus Übersee wieder zurück nach Deutschland holen. Insgesamt warten etwa 20.000 Condor-Kunden auf einen Rückflug nach Deutschland. Air Berlin hatte bis zum Abend bereits mehr als 100 Flüge durchgeführt und 15.000 Passagiere nach Deutschland zurückgeholt. Germanwings und Thomas Cook kündigten erste Flüge für Dienstag an. Insgesamt hatten zehn Fluggesellschaften Sonderflüge beantragt.
Auch in Skandinavien nahmen erste Flughäfen wieder den Betrieb auf. Auf dem Balkan, in Österreich, Tschechien und Rumänien starteten und landeten ebenfalls wieder Maschinen. Großbritannien, Frankreich und Belgien kündigten eine schrittweise Öffnung ihres Luftraumes ab Dienstagmorgen an. Unterdessen mussten allerdings erstmals in Nordamerika Flüge wegen der Aschewolke gestrichen werden: In der ostkanadischen Provinz Neufundland vielen neun Inlandsflüge aus.
Cockpit gegen Sichtflüge
Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit meldete gegen die Sichtflüge Sicherheitsbedenken an. Sie seien "unverantwortlich". "Entweder ist der Luftraum sicher oder er ist es nicht. Dann ist es letztlich egal, nach welchen Regeln man da durchfliegt", sagte Cockpit-Sprecher Jörg Handwerg in Frankfurt. Es werde wegen des wirtschaftlichen Drucks nach juristischen Wegen gesucht, das Flugverbot zu umgehen. Die Verantwortung für die Sicherheit werde letztlich auf die Kapitäne abgewälzt.
Normalisierung bis Donnerstag
Die europäische Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol erwartet eine Normalisierung des Flugbetriebs bis Donnerstag, sollte die Aktivität des Asche speienden isländischen Vulkans weiter abnehmen. "Wenn sich die Lage weiter entwickelt wie bisher und der Vulkan keine Asche mehr in Richtung Europa schickt, können wir wahrscheinlich bis Donnerstag zum Normalbetrieb zurückkehren", sagte Eurocontrol-Direktor Bo Redeborn in Brüssel. Nachdem am Montag nur 30 Prozent der Flüge abgewickelt werden konnten, könnte sich dieser Anteil in den kommenden beiden Tagen um jeweils bis zu 15 Prozent erhöhen und am Donnerstag wieder den Normalbetrieb erreichen.
Forschungsflugzeug untersucht Aschewolke
Ein Forschungsflug zur Untersuchung der Aschewolke endete am Abend in Oberpfaffenhofen bei München. Das Flugzeug vom Typ Falcon 20 E war bis an die holländische Grenze geflogen, um die Dichte der Ascheteilchen in der Luft sowie ihre Größe zu messen. Ergebnisse sollen voraussichtlich in den nächsten Tagen vorliegen.
Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich bestätigten nach Messungen mit Wetterballons, Lasern und Messflugzeugen, dass die Aschewolke über Europa tatsächlich die für Flugzeuge gefährlichen Vulkanaerosole enthält. Sie gelten als gefährlich für Flugzeuge, da sie in der Hitze der Triebwerke schmelzen und zu Glasablagerungen führen können. Am Wochenende wurde ein NATO-Kampfjet bei einem Testflug über Europa von Vulkanasche beschädigt. Die Maschine landete mit Glas im Triebwerk, sagte ein hoher US-Beamter in Brüssel.
Hohe Feinstaubbelastung
Das Umweltbundesamt in Dessau registrierte am Montag an mehreren Messstationen im Land drastisch erhöhte Feinstaubwerte. Der Anstieg gehe wahrscheinlich auf die Aschewolke zurück. Eine Gefährdung für die Menschen bestehe aber nicht, heißt auf auf der Internetseite des Amtes. Auf der Zugspitze lag der Wert achtfach über dem Normalwert.
Hoffnung für gebeutelte Airlines

Maschinen von Lufthansa und Air Berlin auf dem Flughafen Frankfurt am Main.
(Foto: dpa)
Die wegen der Aschewolke gebeutelten Fluggesellschaften können auf staatliche Hilfe hoffen. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle sagte in Berlin, sollte das Flugverbot drastisch verlängert werden und es zu gravierenden Auswirkungen kommen, müsse über Hilfen gesprochen werden. Der Segen der EU wäre wohl gewiss: Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia kündigte an, die Kommission könnte entsprechende Maßnahmen genehmigen und ähnliche Schritte wie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ergreifen.
Vulkan beruhigt sich
Der Gletschervulkan auf Island stößt zunehmend weniger Asche und dafür mehr Lava aus. Ein Sprecher des Meteorologischen Institutes in Reykjavik hält es für "ziemlich unwahrscheinlich", dass diese Entwicklung jetzt erneut umschlage. Überwachungsflüge hatten bestätigt, dass die für den Flugverkehr in Europa gefährliche Aschewolke über dem Eyjafjalla-Gletscher nur noch eine Höhe zwischen 500 Metern und maximal drei Kilometern erreicht. Zudem zeigte auch die helle Färbung der Rauchsäule einen wesentlich verminderten Ascheanteil an. In den vergangenen Tagen war die Säule aus Rauch und Asche auf eine Höhe von bis zu elf Kilometern gelangt.
Falschmeldung über Vulkanausbruch
Eine Nachricht isländischer Medien, wonach ein weiterer Vulkanausbruch bevorstehe, hat sich als offensichtliche Falschmeldung entpuppt. Demnach sollte der nur wenige Kilometer vom Eyjafjalla-Gletscher entfernte und als äußerst aktiver Vulkan bekannte Hekla eine starke Rauchentwicklung aufweisen und sich kurz vor einem Ausbruch befinden. Die Falschmeldung geht anscheinend darauf zurück, dass eine Überwachungskamera auf Eyjafjalla statt sonst üblich auf Hekla gerichtet war.
Quelle: ntv.de, dsi/dpa/rts/AFP