Kaputte Deiche und leidende Anwohner Flut spült Milliarden Euro weg
10.06.2013, 20:49 Uhr
Mit Hubschraubern warf die Bundeswehr aus der Luft Säcke auf die Bruchstellen im Deich.
(Foto: REUTERS)
Egal wo das Wasser hinsprudelt, immer wieder sind die Einsatzkräfte machtlos: Deiche kollabieren unter dem Druck der Fluten. Häuser versinken im Meer, das früher ein friedlicher Fluss namens Elbe war. Bahnstrecken sind unterbrochen, Straßen sowieso. Die Bundesregierung ist unter Druck, mehr Hilfsmittel freizugeben, denn Stunde um Stunde vernichtet das Wasser Millionenwerte.
Die Hochwasserkatastrophe in Ost- und Süddeutschland kostet Zehntausende Betroffene und den Staat mehrere Milliarden Euro - und ein Ende ist noch immer nicht abzusehen. Zum Wochenbeginn erwischte es Teile von Sachsen-Anhalt hart: Ganze Landstriche sehen nach Deichbrüchen und geplanten Flutungen wie eine Seenplatte aus. Abermals verließen Tausende Menschen ihre Häuser auf der Flucht vor den Wassermassen - unzählige andere Menschen mussten weite Umwege auch mit der Bahn in Kauf nehmen, weil vielbefahrene Fernverbindungen gesperrt wurden.
ICE-Verbindungen etwa von Frankfurt am Main nach Berlin und von Hannover nach Berlin beinahe lahmgelegt. Eine Brücke über die Elbe nahe Stendal musste für eine nicht absehbare Zeit gesperrt werden, viele Züge umfahren das Gebiet. Die Bahn spricht von stundenlangen Verspätungen und rät Reisenden, diese Verbindungen möglichst zu meiden.

Die Hochwasserlage entlang der Elbe bleibt kritisch: An zahlreichen Stellen fürchten Helfer um die Deiche.
Dramatischer Mittelpunkt des Flutgeschehens: Ein Deich bei Fischbeck im Landkreis Stendal in der Nacht zu Montag auf einer Länge von rund 50 Metern gebrochen. 1000 Kubikmeter Wasser schossen pro Sekunde durch die Lücke. Etwa 3000 Menschen in nahen Ortschaften mussten ihre Häuser sofort verlassen. Die Orte Fischbeck und Kabelitz stehen etwa einen Meter unter Wasser. Im Bereich um Fischbeck sind die Bundesstraßen 107 und 188 wegen Überschwemmungen gesperrt.
Stundenlanger Kampf am Deich
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht kündigte an, dass sich noch mehr Bundeswehrsoldaten auf den Weg machten. Hubschrauber der Bundeswehr warfen Säcke aus der Luft auf Bruchstellen im Deich ab. Doch nicht nur in Fischbeck war die Lage dramatisch. Auch bei der Ortschaft Hohengöhren brach ein Deich auf 30 Metern Länge. Zuvor hatten Hunderte Einsatzkräfte von Bundeswehr, THW und Feuerwehr stundenlang versucht, den Deichbruch zu verhindern. Nur wenige Kilometer nördlich von Hohengöhren bei Wulkau drohte lange Zeit die Krone eines Elbdeiches abzurutschen. Irgendwann gaben die Einsatzkräfte auch hier die Hoffnung auf.
Weite Teile der Altmark standen unter Wasser. Im Salzlandkreis bei Klein Rosenburg floss das Wasser durch einen gebrochenen Damm in die Stadt Aken, die schließlich komplett geräumt werden musste. Auch Einsatzkräfte hatten kaum noch Zugang. Im benachbarten Brandenburg errichteten die Einsatzkräfte derweil einen 3,5 Kilometer langen Notdeich, der das Havelland nach den Deichbrüchen gegen das vordringende Wasser schützen sollte.
Es ist ein schwacher Trost für die Opfer, aber die Bundesregierung deutet inzwischen an, weitaus mehr Geld für den Wiederaufbau locker zu machen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte bei einem Besuch in Wittenberge: "Wir wissen natürlich, dass die Schäden in die Milliardenhöhe gehen werden." Bislang hatte der Bund 100 Millionen Euro Soforthilfe zugesagt. Der Bund werde die Menschen nicht im Stich lassen, betonte sie. Inzwischen gehen die deutschen Versicherer von mehr als 1,8 Milliarden Euro Flutschaden aus. Damit liegt die Schadenssumme höher als bei der "Jahrhundertflut" von 2002.
Erster Flutgipfel am Donnerstag

Wassermassen stürzen nach dem Deichbruch bei Fischbeck dorthin, wo es keiner haben will.
(Foto: dpa)
Am Donnerstag treffen sich die Ministerpräsidenten der Länder zu einer Konferenz mit Merkel - dieses reguläre Treffen soll um Tagesordnungspunkte ergänzt werden und so eine Art erster "Flutgipfel" sein.
Für Dienstagmittag wird der Höhepunkt der Flutwelle in Brandenburg erwartet. Auf der Elbe rund um Wittenberge verzeichneten die Behörden zwischenzeitlich einen sinkenden Wasserstand, nachdem an der Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg planmäßig Polder vollliefen, also speziell angelegte Überflutungsflächen. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck sagte beim Treffen mit Merkel in Wittenberge: "Ich denke, wir sind mit einem blauen Auge davongekommen."
Allein in der brandenburgischen Region Prignitz wurden schon bis zum Wochenanfang eine Million Sansäcke aufgeschichtet. Die Helfer stapelten in Wittenberge so schnell, dass ihnen zeitweise der Nachschub ausging, wie Landrat Hans Lange sagte. Daraufhin wurden 300.000 neue Säcke geordert.
Niedersachsen steht Höhepunkt bevor
Auch in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen laufen Evakuierungen. Teilweise gibt es schulfrei, weil Gebäude zu nah am Wasser liegen oder als Notquartiere nötig sind. Ein Beispiel ist Lauenburg in Schleswig-Holstein, wo die Altstadt evakuiert werden musste.
Niedersachsen erwartet den Hochwasser-Scheitel der Elbe erst noch. In Schnackenburg und Hitzacker wurden schon am Sonntag neue Rekordwerte erreicht. Die von Elbe und Jeetzel umflossene Altstadtinsel von Hitzacker wurde dann doch evakuiert - zwischendurch herrschte Unsicherheit, ob dies nötig sei.
In Magdeburg hat sich die Lage bei leicht sinkendem Pegel dagegen etwas entspannt. Das bedrohte Umspannwerk in Rothensee ist durch die Fluten nicht mehr in Gefahr. Bei einem Ausfall wären Tausende Haushalte in Magdeburg ohne Strom gewesen. Dennoch drückt das immer noch hoch stehende Wasser sehr massiv.
Bundespräsident Joachim Gauck, der sich am Sonntag bereits in Sachsen und Sachsen-Anhalt ein Bild von der Flutkatastrophe gemacht hat, will am Freitag in die bayerische Hochwasser-Region reisen. Derweil läuft die Diskussion um langfristige politische Folgen der Flutkatastrophe an - die oppositionellen Grünen etwa forderten Milliardenhilfen und ein langfristiges Schutzkonzept. Die Schäden seien größer als bei der Flut von 2002, doch die Mittel bislang weit kleiner als damals.
Bundesagrarministerin Ilse Aigner schloss nicht aus, dass einige Bauern künftig zwangsweise enteignet werden, wenn sie ihre Flächen nicht freiwillig dem Hochwasserschutz zur Verfügung stellen. Dies sei aber nur "in letzter Konsequenz in Erwägung zu ziehen", sagte. Besser seien einvernehmliche Lösungen.
In Deutschland gab es bislang mindestens sieben Tote durch die Flut. Bei mindestens zwei weiteren Toten blieb der Zusammenhang noch unklar. In Tschechien wurde ein elftes Flutopfer tot geborgen. Starkregen und Sturm erschwerten dort die Aufräumarbeiten.
Quelle: ntv.de, jtw/ppo/dpa/AFP