Panorama

Bagatellvergehen in Frankreich Kritik an Polizeigewahrsam wächst

Bei Rot über die Ampel gehen kann für einen Franzosen ungemütlich werden. Die Polizei nimmt solche "Übeltäter" in Gewahrsam, weil sie damit ihre Arbeitsbeurteilung aufbessert.

Foto, Fingerabdrücke, DNA: Bürger im Visier der Polizei.

Foto, Fingerabdrücke, DNA: Bürger im Visier der Polizei.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Fußgängerampel in Versailles zeigte Rot, es war weit und breit kein Auto in Sicht. Jean-François de Lauzun wäre vermutlich nie bei Rot über die Straße gegangen, hätte er geahnt, was er damit auslöst. Am Ende befanden sich drei Menschen in Polizeigewahrsam. Sie mussten Leibesvisitationen über sich ergehen lassen und verbrachten eine Nacht in Zellen, die nach Urin stanken - dann wurden sie ohne Anklage wieder freigelassen. Einer von ihnen verlangt nun eine Million Euro Schadensersatz. Die französische Polizei steht einmal mehr in der Kritik, zu viele Menschen für Bagatellvergehen unter unwürdigen Bedingungen einzusperren.

Bernard Copin hatte beobachtet, wie die Polizisten dem Fußgänger und Rot-Sünder ein Knöllchen verpassen wollten und hat sich eingemischt. Prompt geriet er ebenfalls ins Visier der Beamten und musste sich ausweisen. Die Polizei warf den Männern Ruhestörung vor und nahm sie sie in Gewahrsam. "Ich wurde zu Boden gestoßen und habe das Bewusstsein verloren", berichtete der 59-Jährige dem Sender France-Info.

Vorschriften zum Polizeigewahrsam

"Bevor ich in die Zelle kam, haben sie geprüft, ob ich nicht eine Rasierklinge im After versteckt habe", sagte er. Auch seine Frau kam in Polizeigewahrsam, weil sie gegen die Festnahme ihres Mannes protestiert hatte. "Foto, Fingerabdrücke, DNA - alles wurde registriert. Dabei habe ich mir nichts zuschulden kommen lassen." Er verlange besonders hohen Schadensersatz, um auf das Problem aufmerksam zu machen, sagte Copin. "Die Leute sollen ruhig wissen, dass so etwas in Frankreich passiert, dem Land der Menschenrechte", schimpfte er.

Der Fall des straffälligen Fußgängers und seines Zeugen ist nur eines von zahlreichen Beispielen, in denen die Polizei sich möglicherweise nicht an die engen Vorschriften zum Polizeigewahrsam gehalten hat. Laut Gesetz darf sie nur Verdächtige festnehmen, wenn dies für die Ermittlungen nötig ist, wenn beispielsweise Fluchtgefahr besteht. Polizeigewahrsam darf höchstens 24 Stunden dauern, die Festgenommenen dürfen Kontakt zu ihrem Anwalt und ihrer Familie aufnehmen.

Indikator für Arbeitsbeurteilung

Eine Polizeigewerkschaft beklagte kürzlich, dass die Beamten unter Druck stünden, "Quote zu machen". Die Zahl der Verdächtigen in Polizeigewahrsam werde als einer der wichtigsten Indikatoren für die Beurteilung ihrer Arbeit genommen. Dies führe dazu, dass die Beamten auch Menschen einsperrten, bei denen die gesetzlichen Bedingungen nicht erfüllt seien. Im vergangenen Jahr kamen knapp 580.000 Menschen in Gewahrsam, das entspricht einem Prozent der Bevölkerung.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Frankreich bereits zwei Mal verurteilt, weil die Anwälte der Verdächtigen keinen Zugang zum Verhör und zu den Akten haben. Die französische Regierung bereitet derzeit eine umfassende Justizreform vor und will dann auch die Regeln zum Polizeigewahrsam neu fassen. Premierminister François Fillon räumte kürzlich ein, dass es "seltene, aber schockierende Fälle" gebe, beispielsweise überflüssige Festnahmen und unnötig lange Aufenthalte in der Zelle.

"Wenn es um schwere Fälle geht, habe ich keine Probleme, dass Verdächtige eingesperrt werden", sagte Fillon. "Aber dabei dürfen die Menschenrechte nicht missachtet werden." Polizeigewahrsam dürfe niemals zu einer Routinemaßnahme werden, forderte er. Nach Ansicht der Kritiker ist dies allerdings längst geschehen.

Quelle: ntv.de, Ulrike Koltermann, dpa

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