Panorama

Modellierer zur Omikron-Wand Lehr: "Das geht dann sehr schnell"

Thorsten Lehr - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Tamara Bilić - ist Professor für Klinische Pharmakologie an der Universität des Saarlands. Er hat gemeinsam mit Kollegen den Covid-19-Simulator entwickelt, um den Pandemie-Verlauf zu modellieren.

Thorsten Lehr - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Tamara Bilić - ist Professor für Klinische Pharmakologie an der Universität des Saarlands. Er hat gemeinsam mit Kollegen den Covid-19-Simulator entwickelt, um den Pandemie-Verlauf zu modellieren.

Die Fallzahlen steigen in manchen Gegenden schon sehr steil an. "Dieser Trend wird früher oder später jedes Bundesland erreichen", sagt Corona-Modellierer Thorsten Lehr bei ntv. Innerhalb kurzer Zeit rechnet er mit Inzidenzen von bis zu 2500. Lehr wünscht sich von der Regierung eine klarere Kommunikation.

Die Fallzahlen steigen in manchen Gegenden schon sehr steil an. "Dieser Trend wird früher oder später jedes Bundesland erreichen", sagt Corona-Modellierer Thorsten Lehr bei ntv. Innerhalb kurzer Zeit rechnet er mit Inzidenzen von bis zu 2500. Lehr wünscht sich von der Regierung eine klarere Kommunikation.

ntv: Was steht uns Ihren Modellierungen zufolge im Januar bevor?

Thorsten Lehr: Jetzt im Januar kommt das, was im Dezember schon viel diskutiert wurde. Wir werden jetzt überall weiter steigende Fallzahlen sehen durch die Omikron-Variante, aber wir sehen es teilweise - in Bremen etwa - schon recht massiv. Dort haben sich die Inzidenzen schon verfünffacht im letzten Monat und liegen schon über 1000, aber in den anderen Bundesländern wird das nachfolgen. Das heißt, wir sehen gewisse lokale Unterschiede. Dieser Trend wird früher oder später jedes Bundesland erreichen. Inzidenzen um die 1500 bis 2500 können wir hier erwarten. Das ist diese Wand, die wir alle befürchten. Und sie geht sehr steil nach oben. Das sehen wir. Das geht dann sehr schnell. Innerhalb von Tagen sind die Inzidenzen wirklich in sehr hohe Höhen geschossen.

Was bedeutet das für die Auslastung in den Krankenhäusern?

Das ist eine Frage, die man leider endgültig noch gar nicht beantworten kann. Wir haben zwar aus anderen Ländern Untersuchungen, wie viel leichter die Omikron-Variante im Vergleich zur Delta-Variante ist. Es wird oft von einem milderen Verlauf gesprochen, aber das heißt noch lange nicht, dass der mild ist. Wir sehen beispielsweise aus den USA noch keine wirkliche Entkopplung von den Fällen und den Intensiv-Einweisungen. Wir sehen aus England eine größere Entkopplung. Es ist sehr, sehr schwierig, das aus anderen Ländern eins zu eins auf uns zu übertragen, weil es überall eine andere Vorerkrankungssituation gibt, eine andere Impfsituation.

In Deutschland sind 42 Prozent der Bevölkerung geboostert. Reicht das aus?

Das wird nicht ausreichen. Die Boosterung hilft erstmal jedem Einzelnen, deswegen ist sie ganz wichtig. Sie hilft auch, die Übertragung zu reduzieren. Aber die Impfung ist nicht speziell für die Omikron-Variante gemacht. Deswegen brauchen wir die Boosterung, um diese Variante abzufangen. Das ist wirklich das wichtigste und beste Mittel, was wir momentan haben. Wenn wir nach Israel schauen, wo sehr viel geboostert wird, dort sehen wir auch, dass die Fallzahlen wieder massiv ansteigen. Das heißt, die Schutzwirkung wird irgendwann nachlassen. Ich gehe auch davon aus, dass wir im Frühjahr, wenn der angepasste Impfstoff da ist, möglicherweise alle noch mal eine vierte Dosis brauchen oder zumindest die Risikogruppen. Das heißt, das wird noch nicht das Ende sein.

Bund und Länder haben Maßnahmen beschlossen, beispielsweise 2G plus in der Gastronomie. Reicht das Ihrer Meinung nach aus?

In Gaststätten haben wir Situationen, wo wir uns in engen Räumen befinden, in denen wir die Maske abnehmen müssen zum Konsumieren von Speis und Trank. Und dort hat natürlich die Aerosol-Wolke eine relativ gute Angriffsfläche auf andere Gäste. Aber letztendlich ist die Gastronomie vermutlich kein Treiber. Wir haben wahrscheinlich viele einzelne Punkte, an denen Infektionen stattfinden, aber Gaststätten sind relativ leicht regulierbar, deswegen wird hier erst mal eingegriffen.

Gleichzeitig hat die Politik die Quarantäne-Zeit verkürzt. Ist das Ihrer Meinung nach sinnvoll?

Ja, ich glaube, das ist sinnvoll, weil wir wissen, dass die Omikron-Variante wahrscheinlich nicht so lange ansteckend ist. Es ist aber sicherlich auch eine politische Entscheidung, weil man dann vor allem zu Peak-Zeiten der Welle, die uns möglicherweise noch bevorsteht, im Februar nicht so viele Leute auf einmal infiziert haben möchte.

Haben Sie generell das Gefühl, dass die Politik momentan genug macht?

Ich habe schon die Hoffnung, dass die Politik im Hintergrund viel macht und auch durch den Expertenrat gut beraten ist. Das Problem, was ich sehe, ist, dass die Kommunikation an die Bevölkerung nicht ganz klar ist. Herr Lauterbach sagte ja zum Beispiel, auch wir brauchen weitere Maßnahmen. Beim letzten Bund-Länder-Treffen hieß es noch, wir schauen erst mal. Die Kommunikation ist nicht wirklich da. Man muss einfach sagen, die Strategie der Bundesregierung ist diejenige, dass man versucht, das System an seine Belastungsgrenzen zu bringen und dabei maximale Öffnungen zuzulassen. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung das versteht. Viele Menschen sind dagegen eher der Meinung, dass man die Infektionszahlen sehr niedrig halten sollte, um Dinge wie Long Covid vorzubeugen. Das halte ich eigentlich auch für den richtigen Weg. Und auch die Krankenhäuser an der Belastungsgrenze zu halten, geht immer auf Kosten des Gesundheitswesens und der Non-Covid-Patienten, die jetzt keine Behandlung bekommen. Deswegen glaube ich, wir brauchen mehr Kommunikation von der Regierung darüber, was eigentlich ihre Strategie ist. Daran mangelt es in meinen Augen sehr. Und deswegen folgt auch die Bevölkerung wahrscheinlich immer weniger, weil sie nicht genau weiß, warum sie das tun sollte.

Würden Sie sich für einen harten Lockdown aussprechen?

Ich glaube schon, dass wir weitere Maßnahmen in der Hinterhand haben sollten und die auch klar kommunizieren müssen. Ich halte in der Situation, in der wir wissen, dass große Wellen auf uns zukommen, ein Aussetzen der Präsenzpflicht sowie Hybrid-Unterricht für Schülerinnen und Schüler für den richtigen Weg. Es ist ja nicht für immer, wir reden da von vielleicht drei bis vier Wochen. Das würde auf jeden Fall viele vor Infektionen und potenziellen Langzeitfolgen schützen. Ich denke, es ist klar, wenn die Zahlen weiter steigen und auch die Intensivbelastung voranschreitet, werden wir noch weitere Kontaktreduktionen brauchen. Die können an verschiedenen Stellen stattfinden, aber es muss in meinen Augen klar kommuniziert werden, dass es eine Eskalationsstufe gibt es zu dem, was wir bis jetzt sehen.

Mit Thorsten Lehr sprach Tamara Bilić

Quelle: ntv.de

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