Timo Ulrichs bei ntv"Noch haben wir die Sache sehr gut im Griff"

Die Delta-Variante ist auf dem Vormarsch, doch die Inzidenz noch niedrig: Akut besteht laut Epidemiologe Ulrichs momentan kein Grund zur Sorge - allerdings nur, wenn wir jetzt die richtigen Maßnahmen mit Blick auf den Herbst treffen, erklärt er im ntv-Interview. Vorsicht ist auch beim Reisen geboten.
Die Delta-Variante ist auf dem Vormarsch, doch die Inzidenz noch niedrig: Akut besteht laut Epidemiologe Ulrichs momentan kein Grund zur Sorge - allerdings nur, wenn wir jetzt die richtigen Maßnahmen mit Blick auf den Herbst treffen, erklärt er im ntv-Interview. Vorsicht ist auch beim Reisen geboten.
ntv: Das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass die Delta-Variante in Deutschland schon 50 Prozent der Neuinfektionen ausmacht. Wie besorgniserregend ist es, dass das so schnell geht?
Timo Ulrichs: Es war zu erwarten, dass sie sich durchsetzen würde, weil sie noch fitter ist in der Ansteckung als die Alpha-Variante. Die hatte sich bei uns ja auch gegenüber dem Wild-Typ durchgesetzt, jetzt werden wir das auch bei der Delta-Variante sehen - allerdings im Sommer und bei sehr niedrigen Neuinfektionszahlen. Das heißt, noch haben wir die Sache eigentlich, auch mit der Delta-Variante, sehr gut im Griff. Wir müssen uns aber darauf einstellen, dass im Herbst die Ausbreitungsbedingungen für das Virus besser werden und dass wir dann gut gerüstet in diese Situation gehen. Das heißt also: viel impfen und darauf achten, dass dem Virus kein Raum geboten wird.
US-Forscher haben herausgefunden, dass die mRNA-Impfstoffe Biontech und Moderna möglicherweise einen jahrelangen Schutz bieten. Ist die dritte Auffrischungsimpfung damit nicht mehr nötig?
Ja, genau. Wenn wir uns die Varianten angucken, die wir bisher kennen, also Alpha bis Delta, dann wissen wir auch, dass die bisherigen Impfstoffe dagegen ganz gut schützen und das wohl jetzt mit einem langanhaltenden Immunschutz. Eine Auffrischungsimpfung würde nur notwendig werden, falls neue Varianten auftreten, die von unseren Impfstoffen nicht mehr so gut abgedeckt werden.
Um die Bürger jetzt zur Impfung zu motivieren, fordern FDP und Grüne Impfanreize zu setzen: etwa Impfaktionen in Freizeitparks, in denen die Menschen dann noch den ganzen Tag bleiben können. Denken Sie, dass wir damit die Impfgeschwindigkeit erhöhen können?
Die Impfbereitschaft ist in Deutschland ja nach wie vor sehr hoch. Das ist gut so. Wir haben ziemlich hohe Impfraten pro Tag und wenn wir weiter so machen, dann erreichen wir auch unsere Impfziele bis in den späten Sommer hinein. Dann sind wir ganz gut aufgestellt, wenn im Herbst die ganze Sache wahrscheinlich wieder etwas ernster wird. Aber darüber hinaus möchte man Menschen erreichen, die dem Impfen eher distanziert gegenüberstehen. Da sind solche Aktivitäten sicherlich gut. Noch besser natürlich wäre es, über das Impfen zu informieren und darzulegen, das ist Mittel der Wahl, um aus dieser Pandemie herauszukommen.
Wie hoch muss die Impfquote eigentlich sein, damit wir im Herbst die Pandemie brechen können?
Angesichts der Delta-Variante müssen wir wohl eine Quote von mindestens 80 Prozent der Bevölkerung haben, um die Herdenimmunität sicher erreichen zu können. Das bedeutet, dass wir sehr gut bei allen Erwachsenen-Altersgruppen impfen, aber wohl auch Kinder und Jugendlichen einbeziehen müssen. Wenn wir das nicht tun, müssten wir im Herbst damit rechnen, dass sich die Delta-Variante sehr stark in den Schulen ausbreitet. Das wollen wir nach Möglichkeit verhindern. Man kann die Schulen sicherer machen, indem die Erwachsenen alle geimpft sind. Aber natürlich wäre es noch besser, wenn auch die Kinder und Jugendlichen sich impfen lassen würden.
Ein Blick auf die Urlaubssaison: Welche Einreiseregeln sollten aus epidemiologischer Sicht gelten?
In Virusvariantengebiete sollte man nach Möglichkeit nicht hinreisen. Und wenn da Reiserückkehrer sind, sollte man wirklich ganz strikt die Quarantäneregeln einhalten. Wenn man die Quarantäne bricht, dann ist das sehr schlimm, weil sich dann die möglicherweise eingeschleppte Delta-Variante bei uns ausbreiten kann. Wir sehen solche Fälle und damit auch die ganzen Konsequenzen epidemiologisch gesehen gerade in Israel, wo so etwas sehr häufig vorkommt. Und man muss eben generell natürlich sehr vorsichtig sein. Zurzeit haben wir nur wenige Fälle, die tatsächlich importiert sind, aber das kann sich nach der Urlaubssaison oder gegen Ende natürlich noch ändern, wenn sehr viele zurückkehren und wir dann das Problem haben wie letzten Sommer.
Sollte es eine Testpflicht für alle Reiserückkehrer geben, egal wo sie herkommen?
Ja, das wäre sinnvoll, aber noch besser und sicherer wäre eine Quarantäne, aus der man sich dann freitesten kann. Sicherheitshalber sollte man zunächst weitere Kontakte nach der Rückkehr meiden.
Mit Timo Ulrichs sprach Nele Balgo