Ein Gespräch auf 160 Bewerbungen Tschüss Almanya
09.03.2010, 14:42 Uhr
Der deutsche Arbeitsmarkt ist für deutschtürkische Akademiker schwierig zu erobern.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Hochqualifizierte Deutschtürken haben es schwer auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Trotz bester Zeugnisse müssen sie gegen Vorurteile kämpfen. Immer mehr wandern ab.
Kamuran Sezer bezeichnet sich als einen "160/1": Auf 160 Bewerbungen kam bei ihm ein Vorstellungsgespräch, erklärt der Deutschtürke. Heute kokettiert der 31-Jährige, der sich inzwischen erfolgreich selbstständig gemacht hat, damit, aber es gab Zeiten, da war Sezer angesichts der Hoffnungslosigkeit seiner Jobsuche nicht zum Lachen zumute. Trotz bester Zeugnisse und Referenzen hagelte es Absagen.
Wie Sezer geht es vielen Deutschtürken und anderen Migranten der zweiten oder dritten Generation in Deutschland. Ihre Jobchancen sind vergleichsweise schlecht. Laut einer OECD-Studie von 2007 sind Akademiker mit Migrationshintergrund fast dreimal so häufig arbeitslos wie Akademiker ohne Migrationsgeschichte. Eine der Folgen ist: Sie wandern ab.
Auch Deutsche zieht es ins Ausland
Sezer, der mit seinem Marktforschungsinstitut futureorg unter anderem das Thema Arbeitsmigration beackert, verweist darauf, dass sich die Zahl der Auswanderer mit deutschem Pass in die Türkei seit 2002 auf 4600 pro Jahr vervierfacht hat. Sezer und andere Experten gehen davon aus, dass ein Großteil von ihnen Deutsch-Türken sind, unter ihnen auch viele Akademiker. Genauere Untersuchungen liefen gerade, sagt Sezer. Sein Institut fand in einer Studie heraus, dass 36 Prozent der türkischen Akademiker sich mit Abwanderungsgedanken trügen.
Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, warnt vor den wirtschaftlichen Folgen: "Wenn wir nicht umsteuern, werden wir morgen keine Leute haben, die unsere Spitzenpositionen besetzen." Denn nicht nur qualifizierte Deutschtürken kehren Almanya den Rücken, auch Deutsche suchen ihr berufliches und privates Glück im Ausland. Gleichzeitig kämen zu wenig neue Arbeitskräfte ins Land. "Wir werden hinten dran sein. Der Arbeitsmarkt wird quantitativ und qualitativ zusammenbrechen, weil die Demografie in zehn Jahren rabiat eingreift", sagt Zimmermann weiter.
"Katastrophe" für die deutsche Wirtschaft
Auch Sezer und futureorg sagen in ihrer jüngst erschienenen Sozialstudie zur Lage türkischer Akademiker und Studierender in Deutschland der deutschen Wirtschaft wegen des Fachkräftemangels ab 2020 eine "Katastrophe" voraus. Hart geht der Jungunternehmer mit der Integrationspolitik und der Bildungspolitik ins Gericht. Wenn jeder dritte türkische Akademiker zumindest die Auswanderung erwäge, sei das integrationspolitisch ein "Armutszeugnis". Klar sei: "Es reicht nicht, die Leute satt zu machen." Integrationspolitik müsse auch das Herz der Menschen ansprechen und ihnen Perspektiven öffnen.
Dazu gehöre eine Bildungspolitik, die den soziales Aufstieg ermögliche. Sezer verweist auf deutsch-türkische Freunde, denen zunächst nur ein Hauptschulabschluss zugetraut wurde, die dann aber Juristinnen mit Prädikatsexamen oder Unternehmensberater geworden seien. "Diese Leute haben es mit Glück und Anstrengung geschafft, das selektive dreigliedrige Bildungssystem erfolgreich zu durchlaufen. Aber wie viele bleiben auf der Strecke?" Vorurteile und Unwissen bei Personalchefs kämen als weitere Hürden hinzu.
"Sie können aber gut Deutsch"
Demotivierend sei für viele qualifizierte Migranten die integrations- und arbeitsmarktpolitische Lage - letzteres gelte natürlich auch für viele Deutsche, bestätigt der Soziologe Ysar Aydin vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). Viele hoch qualifizierte Türken hätten das Gefühl, "nicht als zur Mehrheitsgesellschaft zugehörig wahrgenommen zu werden", sagt Aydin, der an einer Studie zur "Abwanderung hochqualifizierter Bildungsinländer türkischer Herkunft aus Deutschland in die Türkei" arbeitet. Auch wenn Aydin die Zahl 36 Prozent deutschtürkischer "Abwanderungswillige" für nicht repräsentativ hält - es seien "bedenklich" viele.
Soziologe Sezer ist nicht abgewandert. Er hat sich selbstständig gemacht. Sein Entschluss fiel, als er nach einer Absage auf seine mit Empfehlungsschreiben gespickte Bewerbung telefonisch nachhakte - und von der Personalchefin zu hören bekam: "Sie können aber gut Deutsch."
Quelle: ntv.de, Daniel Karl Jahn, AFP