"Keine medizinische Erklärung" Alte und Kinder nehmen zu viele Medikamente
11.06.2013, 15:03 UhrJeder dritte Deutsche über 65 nimmt täglich mehr als fünf verschiedene Arzneimittel zu sich. Auch Kinder und Jugendliche sind vom Anstieg der Medikamenteneinnahme betroffen. Die Risiken der Multimedikation sind enorm.
Kinder und ältere Menschen bekommen zu viele Arzneimittel mit gefährlichen Auswirkungen und ohne klaren medizinischen Grund. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Arzneimittelreport der Krankenkasse Barmer GEK. Während Kindern "besorgniserregend" viele Psychopillen verordnet werden, schluckt ein Drittel der Senioren mehr als fünf Arzneimittelwirkstoffe täglich.
Dem vom Bremer Gesundheitsexperten Gerd Glaeske erstellten Report zufolge stiegen die Verschreibungen von sogenannten Antipsychotika bei Kindern und Jugendlichen von 2005 bis 2012 um 41 Prozent. "Eine medizinische Erklärung dafür lässt sich nicht direkt herleiten", erklärte Glaeske. Weder zeigten Studien einen Anstieg psychiatrischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen, noch hätten sich die relevanten Therapieempfehlungen geändert. Auf der anderen Seite hätten Antipsychotika zum Teil gravierende unerwünschte Wirkungen. Antipsychotika beziehungsweise Neuroleptika werden vor allem für Kinder und Jugendliche mit einer sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), mit Angststörungen oder Depression verordnet.
Demenzkranke erhalten zu viele Schlafmittel
Kritisch bewertet der Report auch die Verschreibung von mehreren Wirkstoffen gleichzeitig für ältere Patienten. Ein Drittel der Versicherten über 65 Jahre nimmt demnach täglich mehr als fünf Arzneimittelwirkstoffe zu sich. In der Altersgruppe von 80 bis 94 Jahren sei dies fast jeder Zweite. Im Durchschnitt schlucken Männer über 65 Jahre täglich 7,3 Wirkstoffe, bei Frauen dieser Altersgruppe sind es 7,2.
Gerade die riskante Multimedikation unterstreiche die Notwendigkeit der elektronischen Gesundheitskarte, des elektronischen Rezepts und der elektronischen Patientenakte, erklärte der Vizechef der Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker. Damit hätten behandelnde Ärzte und auch Apotheker einen viel besseren Überblick über die Arzneimitteltherapie.
Nach Ansicht der Experten erhalten auch demenzkranke Menschen zu viele Schlaf- und Beruhigungsmittel. Mit dem Wirkstoff Benzodiazepin ist ein Verlust kognitiver Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Erinnerung oder Lernen verbunden. Zudem seien viele ältere Menschen von solchen Arzneimitteln abhängig.
Der Report, der auf Daten von 2,1 Millionen Barmer-GEK-Versicherten über 65 Jahre sowie den Daten von rund einer Million Kindern und Jugendlichen basiert, nahm auch die Arzneimittelausgaben der Barmer GEK unter die Lupe. Am meisten wird für Arzneimittel in den neuen Bundesländern ausgegeben, vergleichsweise wenig dagegen in Bayern und Baden-Württemberg.
Quelle: ntv.de, AFP