
Gut gelaunt und betont gelassen: Friedrich Merz während der Kanzlerbefragung im Bundestag.
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Dreimal im Jahr muss sich der deutsche Bundeskanzler den Fragen der Bundestagsabgeordneten stellen. Und die haben an diesem Tag reichlich davon. Endlich erfahren sie, wie Friedrich Merz zur umstrittenen Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht steht, ob er an den Klimazielen festhält und wie er es mit bedrohten Minderheiten hält. Auch wenn einige Abgeordnete - insbesondere aus der AfD - mit ihren Fragen Merz erkennbar zu provozieren versuchen, bleibt der Kanzler in seinen Antworten betont gelassen. Ein Überblick:
Steht Friedrich Merz zu Jens Spahn?
Linke und Grüne verdächtigen Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn weiter der mutwilligen Verschwendung von Steuergeld bei der Beschaffung von FFP2-Masken während der Pandemie. Sie fordern einen Untersuchungsausschuss, und überraschend zeigt sich nun auch SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf offen für solch einen Schritt. Spahn selbst verteidigt sich in der Generaldebatte am Vormittag ausführlich. Der CDU-Vorsitzende Merz stellt sich auf Nachfrage hinter den Unionsfraktionsvorsitzenden Spahn. "Ich habe keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussagen und seiner Bewertung dieser Vorgänge", sagt der Regierungschef und bekräftigt seine Zweifel am Untersuchungsbericht der Sozialdemokratin Margaretha Sudhof. "Wenn sie wirklich darum bemüht gewesen wäre, einen Bericht zu verfassen, der alle Seiten betrachtet, dann hätte sie wenigstens auch einmal die Gelegenheit genommen, mit Jens Spahn über diese Themen zu sprechen.
Was denkt Merz über Frauke Brosius-Gersdorf?
Drei von 16 Richterposten in Karlsruhe sind neu zu besetzen. Das Vorschlagsrecht folgt einer zwischen den Fraktionen vereinbarten Formel, wobei die AfD außen vor ist. Für Aufsehen sorgt die von der SPD vorgeschlagene Frauke Brosius-Gersdorf, die etwa aus Sicht von Abtreibungsgegnern den Schutz ungeborenen Lebens nicht wichtig genug nimmt. AfD-Politikerin Beatrix von Storch will wissen, ob der Kanzler die Unterstützung des Wahlvorschlags durch die Union mit seinem Gewissen vereinbaren könne. "Ja", sagt Merz trocken und gibt von Storch zu verstehen, dass er eher Zweifel an ihrem Verständnis des in Artikel 1 Grundgesetz festgehaltenen Schutzes der Menschenwürde hat. Ansonsten will sich der Kanzler nicht durch persönliche Einlassungen in den Parlamentsvorgang einmischen, appelliert aber an alle Beteiligten, zu einer Verständigung zu finden. Ergo: er signalisiert seiner Fraktion, wo es noch Zweifler geben soll, Brosius-Gersdorf gehe in Ordnung.
Durfte Israel den Iran angreifen?
Israels Angriff auf die iranischen Atomanlagen und auf die Infrastruktur ballistischer Raketen brachte auch den deutschen Kanzler in die Bredouille. Er attestierte der Regierung von Benjamin Netanjahu, in einem völkerrechtlich heiklen Fall für die Staatengemeinschaft die "Drecksarbeit" zu erledigen. Der Linken-Abgeordnete Ulrich Thoden verweist auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, wonach die Mehrheit der Völkerrechtler keinen Akt der Selbstverteidigung erkennen kann. Der Jurist Merz zeigt sich unbeirrt: Er habe "an der Legitimität und auch an der völkerrechtlichen Legalität dessen, was Israel getan hat, heute keinen Zweifel", sagt Merz. "Man kann auch zu dem Ergebnis kommen, dass Israel seit Jahren täglich angegriffen wird und das Recht hat, sich dagegen militärisch zur Wehr zu setzen."
Will Merz Deutschlands Klimaziele aufweichen?
Bis zum Jahr 2050 wollen die Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens auf CO2-emissionsfreies Wirtschaften umstellen. Deutschland will das Ziel, gesetzlich verankert, schon 2045 erreichen. Doch sowohl Merz als auch Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche äußerten zuletzt Zweifel am Ziel 2045. Auf Nachfrage der Grünen sagt Merz im Bundestag, man werde "am Koalitionsvertrag festhalten". Auch dort ist das Jahr 2045 verankert. Gut findet Merz das nicht. "Selbst wenn wir alle zusammen morgen am Tag klimaneutral wären in Deutschland, würde keine einzige Klimakatastrophe auf der Welt weniger geschehen." Warum Deutschland das Ziel früher erreichen solle als alle anderen, erschließt sich ihm nicht. Seine Priorität: Die Klimaneutralität dürfe nicht mit einer "Deindustrialisierung unseres Landes" einhergehen. Das Konfliktpotenzial mit der SPD bleibt also.
Bleibt es bei den Grenzkontrollen und der Zurückweisung von Asylsuchenden?
Die neue Bundesregierung setzt nicht nur die Kontrollen an den deutschen Landgrenzen fort, sie lässt auch Asylsuchende möglichst zurückweisen. Diese sollen ihr Asylgesuch dort stellen, wo sie zuerst EU-Boden betreten haben. Seit Montag kontrolliert nun Polen ebenfalls an der Grenze, will die von Deutschland zurückgewiesenen Asylsuchenden auch nicht haben. Falsch findet Merz das Vorgehen Deutschlands dennoch nicht. Kontrollen und Zurückweisungen seien "leider notwendig", sagt Merz. "Es ist eine Übergangsregelung, wir suchen gemeinsam nach besseren Lösungen." Merz bestreitet einen Konflikt mit der Regierung in Warschau, die hatte aber explizit die Einstellung ihrer Kontrollen abhängig gemacht von einem Kurswechsel Deutschlands. Vielleicht kommt es ja zu einer Einigung am 18. Juli, dann trifft Bundesinnenminister Alexander Dobrindt die Amtskollegen aus den Nachbarstaaten zum "Migrationsgipfel" - auf dem Gipfel der Zugspitze.
Wird sich Merz für die Migrationspolitik der CDU entschuldigen?
In gewohnter Manier macht AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann die CDU-geführte Bundesregierung unter Angela Merkel für Morde, Vergewaltigungen und "die Angst von Millionen" verantwortlich, weil in den Jahren 2015 und 2016 so viele Migranten nach Deutschland gekommen sind. Baumann fragt, ob und wann sich Merz für die Fehler der CDU entschuldigen werde? Gar nicht, gibt Merz zu verstehen. Auch wenn man mit dem Wissen von heute andere Entscheidungen treffen würde, gelte: "Es hat damals eine humanitäre Krise gegeben, auf die Deutschland eine Antwort gegeben hat." Baumanns Behauptungen und Formulierungen weist Merz "entschieden zurück". Seine Bundesregierung werde jede Kriminalität bekämpfen, egal ob die von zugewanderten oder in Deutschland geborenen Menschen ausgehe.
Zukunft der Schuldenbremse:
Die Regierungskoalition will eine Kommission zur Reform der Schuldenbremse einsetzen. Denn auch das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Infrastruktur wird schnell aufgebraucht sein und die Spielräume im Haushalt werden absehbar schnell wieder eng. Die notwendige Grundgesetzänderung aber benötigt eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, weshalb SPD und Union zusätzlich die Stimmen von Grünen und Linken bräuchten. Während den Sozialdemokraten das Thema eine Herzensangelegenheit ist, haben es CDU und CSU nicht so eilig - und aus Prinzip kein Interesse an einer Verständigung mit der Linken. Auf Nachfrage des SPD-Finanzpolitikers Thorsten Rudolph versichert Merz aber: Die Kommission kommt. Er gehe davon aus, dass Bundesfinanzminister Lars Klingbeil "in den nächsten Tagen" auf die Fraktionen zukommt, um die Besetzung der Kommission zu klären. Ein Ergebnis könne dann zum Jahresende vorliegen und im ersten Quartal in einen Gesetzesvorschlag münden.
Wie hält es Merz mit bedrohten sexuellen Minderheiten in Deutschland?
Im Streit um die Beflaggung des Reichstagsgebäudes mit dem Regenbogen musste sich Merz viel Kritik anhören wegen seines Vergleichs, der Bundestag sei "kein Zirkuszelt". Auch in der Regierungsbefragung bringt die Linksfraktion das Thema auf. Abermals wirkt Merz etwas unbeholfen, als er über Menschen spricht, die sich in ihrer Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung nicht in althergebrachte Kategorien einordnen lassen möchten. Er spricht von "diesen Menschen" und dann passiert es: Der Kanzler benutzt im Bundestag das Wort "queer", von dem sich "diese Menschen" deutlich besser vertreten fühlen. Doch viele Menschen fremdeln mit dem Begriff noch. Merz spätestens seit diesem Tag aber nicht mehr, im dritten Anlauf wird er deutlich und formuliert: "Wir tun alles, um Menschen, die queer sind, ein gutes und auch ein sicheres Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen", sagt Merz und stellt klar: "Ich stehe auch persönlich dafür ein, dass das so ist und dass das auch besser wird." Bei den "vielfältigen Bedrohungen" für queere Menschen in Deutschland dürfe es nicht bleiben.
Quelle: ntv.de, mit dpa/AFP