Die Piraten auf der Suche nach sich selbst "Noch nicht interessant genug"
02.12.2011, 06:28 Uhr
In Berlin sitzen die Piraten seit September im Parlament.
(Foto: dpa)
Am 3. und 4. Dezember kommen die Piraten in Offenbach zum Bundesparteitag zusammen. Zu vielen politischen Themen hat die Partei, die in diesem Jahr für einige Überraschungen in der politischen Landschaft sorgte, noch keine Position bezogen. Mit n-tv.de spricht ihr Vorsitzender, Sebastian Nerz, über Datenspeicherung, Programmatik und ehemalige NPD-Mitglieder in den eigenen Reihen.
n-tv.de: Herr Nerz, auf Ihrer privaten Homepage habe ich Folgendes gefunden: "Möglicherweise werden Deine Besuche dieser Seite anonymisiert aufgezeichnet und statistisch ausgewertet." Dann kann man zustimmen oder ablehnen. Ich habe nichts gemacht. Können Sie sehen, was ich auf Ihrer Website gemacht habe?
Sebastian Nerz: Ich kann Sie nicht identifizieren, aber ich kann sehen, wie lange der Besucher auf der Seite geblieben ist, ob er schon nach dem ersten Klick wieder weggegangen oder auf die zweite Seite gegangen ist.
Ich denke, die Piraten sind gegen Datenaufzeichnung.
Ich zeichne auch keine Daten auf, über welche die Person identifiziert werden kann. Die entsprechende Software ist vom Datenschutzzentrum Schleswig-Holstein geprüft und genügt allen datenschutzrechtlichen und moralischen Anforderungen.
Die Piratenpartei kam bei der auf sieben Prozent. Sie lagen aber schon bei zehn Prozent. Wie erklären Sie sich den Zuspruch, wie den Rückgang Ihrer Umfragewerte?
Der Zuspruch erklärt sich relativ einfach: Die Menschen wollen eine politische Veränderung, Sie wollen, dass Politik in Deutschland wieder ehrlicher wird und mit den Menschen funktioniert. Vor allem aber wollen sie, dass sich Politik wieder selbst erklärt, dass man der Politik wieder folgen kann, dass man sich einbringen kann. Und das erhoffen sie sich von der Piratenpartei.
Zum Rückgang: Umfragen sind immer davon abhängig, wer befragt wird. Es gibt ja auch Schwankungen von fünf Prozent zwischen den verschiedenen Instituten. Hinzu kommt, dass in den letzten Wochen fast ausschließlich über die Eurokrise diskutiert wird. Viele Menschen sorgen sich um ihre wirtschaftliche Zukunft. Das ist ein Feld, in dem die Piraten noch ein bisschen nacharbeiten müssen. Wer sich vor allem für Wirtschaftsprobleme interessiert, für den ist die Piratenpartei aktuell noch nicht interessant genug.
Auf der Pressekonferenz nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus haben Sie auf viele Fragen keine Antwort geben können. Haben Sie mittlerweile eine Position zur Eurokrise?
Als Partei haben wir noch keine Position. Die werden wir ausarbeiten müssen. Da werden wir schauen, inwieweit die Eurokrise jetzt erst einmal an uns vorbeiläuft, inwieweit sie gelöst wird oder sich verschärft durch die gegenwärtige Politik. Wir werden dann für 2013 zu den Bundestagswahlen unsere Vorschläge ausarbeiten müssen.
Ist es dann nicht vielleicht schon zu spät?
Es kann sein, dass die Eurokrise bis dahin gelöst ist. Dann werden wir andere Probleme haben, auf die wir Antwort geben müssen. Aber wir können bis 2013 ja auch nicht gerade viel an der Eurokrise ändern.
Wie stehen Sie zum Mindestlohn?

Sebastian Nerz ist seit 2009 Mitglied der Piratenpartei und ist seit Mai dieses Jahres ihr Vorsitzender.
(Foto: dpa)
Da haben sich verschiedene Landesverbände positioniert. Die Bundespartei noch nicht. Auch das ist ein Thema, über das wir diskutieren müssen. Ich glaube aber, dass der Mindestlohn nur eine Teilmaßnahme sein kann. Wir müssen eigentlich unser Wirtschafts- und Sozialsystem komplett überarbeiten und reformieren. Da ist die Frage nach Einzelthemen ein bisschen utopisch.
Was heißt reformieren?
Wir haben ein Sozialsystem, das den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes eigentlich nicht mehr gerecht wird. Der Arbeitsmarkt ist extrem volatil: Es ist nicht mehr üblich, dass Menschen 40 Jahre im gleichen Beruf arbeiten. Lebensläufe sind oft durchbrochen. Menschen sind ein paar Wochen oder Monate in Arbeit und dann wieder nicht. Damit kommt unsere Sozial- und Versicherungspolitik überhaupt nicht zurecht. Das braucht sehr grundlegende Reformen.
Wie stehen Sie zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr?
Auch darüber müssen wir noch reden.
Und die Rente mit 67?
Und auch darüber müssen wir noch reden.
Und Nahost, Israel-Palästina?
Über die Außenpolitik müssen wir noch reden, aber wir sind gerade dabei.
Wo steht Ihre Partei? Links, rechts, in der Mitte, jenseits von Gut und Böse? In Wiesbaden zum Beispiel sind die Piraten in einer Fraktionsgemeinschaft mit der Linken.
Das ist richtig. Die Einordnung in links und rechts aber ist historisch eigentlich überkommen. Die Politik ist komplizierter geworden, die Bündnisse vielfältiger: Es gibt Schwarz-Grün, Schwarz-Rot. Das Links-Rechts-Schema funktioniert eigentlich nicht. Von daher wollen wir uns auch nicht einordnen. Ich persönlich würde uns in die Mitte stellen.
Sie haben in Ihrer Partei gehabt. Wie stehen Sie zu extrem Rechts?
Extrem rechte Ideologien sind menschenverachtend. Es sind Ideologien, die den Menschen die Freiheit und das Leben nehmen. Das lehnen wir ab. Das verträgt sich mit uns überhaupt nicht. Das ist etwas, womit wir nicht zusammenarbeiten möchten.
Und die ehemaligen NPD-Mitglieder?
Gegen den einen läuft jetzt ein Parteiausschlussverfahren, weil er über seine Vergangenheit gelogen hat. Menschen können sich aber auch ändern. Jemand, der einmal in der NPD war und wieder in die Demokratie zurück will, kann sich weiterentwickeln. Dann ist er auch bei uns willkommen. Wenn er diese Entwicklung nicht vollzieht, wollen wir ihn nicht haben.
Was können wir vom Bundesparteitag der Piraten am Wochenende erwarten?
Viele interessante und spannende Diskussionen. Die Themen, die wir bereits bearbeitet haben, werden wir vertiefen. Wir werden weitere Fragen in diesen Themenbereichen beantworten. Wir werden - so hoffe ich - ein oder zwei neue Themengebiete aufnehmen.
Welche?
Darüber entscheidet der Bundesparteitag selbst. Aber die Fragen, die wir dort nicht beantworten, werden wir im nächsten Jahr diskutieren.
Was ist für Sie ein realistisches Ziel bei den Bundestagswahlen 2013?
Wir wollen in den Bundestag einziehen. Also: mehr als fünf Prozent.
Quelle: ntv.de, Mit Sebastian Nerz sprach Manfred Bleskin