Politik

"Stark rechte Gesinnung" V-Mann war an Tatorten

In diesem Internet-Café in Kassel könnte der V-Mann den Mord beobachtet haben.

In diesem Internet-Café in Kassel könnte der V-Mann den Mord beobachtet haben.

(Foto: picture alliance / dpa)

Zehn Jahre Neonazi-Morde quer durch Deutschland: Die Öffentlichkeit fragt sich, weshalb die Sicherheitsbehörden davon nichts gemerkt haben. Möglicherweise waren Verfassungsschützer jedoch näher an der Terrorzelle, als den Landesämtern nun recht sein kann. Darauf deutet jedenfalls das Bewegungsprofil eines V-Mannes mit offenbar starker rechter Gesinnung hin.

Die Ermittlungsbehörden haben nach Angaben von SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann Indizien dafür, dass die bisher bekannten Täter der Neonazi-Mordserie nicht alleine handelten. "Es gibt Hinweise auf weitere Helfer", sagte Oppermann, der auch Vorsitzender des parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste ist, nach einer Sitzung dieses Organs in Berlin. Er forderte: "Die Helfer der Terroristen müssen ermittelt und hart bestraft werden." Das Bundeskriminalamt (BKA) hätte früher die Ermittlungen übernehmen sollen. Die Koordinierungsfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz müsse verstärkt werden.

Auch die Rolle eines Mitarbeiters des hessischen Verfassungsschutzes bei einem Mord in Kassel war Thema der Sitzung. Die "Bild"-Zeitung hatte berichtet, bei sechs der neun Morde an Migranten habe sich ein Verfassungsschützer in der Nähe des Tatortes aufgehalten. Es handle sich um einen Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, der sich Medienberichten zufolge im April 2006 in Kassel in einem Internet-Cafe aufhielt, als dort dessen türkischstämmiger Betreiber erschossen wurde.

Am Rande des NPD-Parteitages am vergangenen Wochenende in Neuruppin.

Am Rande des NPD-Parteitages am vergangenen Wochenende in Neuruppin.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein Bewegungsprofil der Polizei habe ergeben, dass der Mann sich dort aufgehalten habe. "Unfassbar: Dem Verdächtigen wurde entlastend ausgelegt, dass er zum Tatzeitpunkt nur in sechs der neun Morde in der Stadt war", zitierte die Zeitung einen hochrangigen Ermittler. Oppermann verwies auf den bisherigen Stand der Ermittlungen und sagte: "Dieser Mann hat eine offenkundig stark rechte Gesinnung. Er arbeitet im Augenblick bei der Bezirksregierung in Hessen."

Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) ist für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig und tagt hinter verschlossenen Türen. Der Thüringer Verfassungsschutz, der im Zusammenhang mit der mutmaßlich von der Neonazi-Gruppe begangenen Mordserie an mindestens zehn Menschen besonders in die Kritik geraten war, entsandte keinen Vertreter zur Sitzung. Allerdings kündigte Thüringens Innenminister Jörg Geibert in Erfurt an, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen zum Verschwinden der Jenaer Bombenbastler 1998 noch einmal überprüfen werde. Eine unabhängige Ermittlungskommission unter dem ehemaligen Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, will zusätzlich alle in der Vergangenheit gesammelten Informationen zu den drei Rechtsextremisten neu auswerten.

Roewer wehrt sich

Der Ex-Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, hatte zuvor die Verantwortung für die missglückte Festnahme des Terror-Trios 1998 zurückgewiesen und die Polizei beschuldigt. Für die Durchsetzung des Haftbefehls sei damals "allein die Polizei zuständig" gewesen, erklärte Roewer. Nach dem Untertauchen der Bombenbauer von Jena habe es "die sehr ernste Vermutung von illegalen Unregelmäßigkeiten bei der Polizei" gegeben. Roewer beteuerte, es sei bei der anschließenden Zielfahndung des Verfassungsschutzes nicht um eine nachrichtendienstliche Beschaffungsarbeit gegangen.

Beate Z., Uwe B. und Uwe M. seien keine Quellen des Amtes gewesen und es sei nicht darum gegangen, sie zu solchen zu machen. "Das wäre ganz und gar fachwidrig und sinnlos gewesen", erklärte Roewer. Die Gerüchte über amtliche Falschpapiere und V-Leute im Zusammenhang mit der Suche nach den mutmaßlichen Terroristen entspreche nach seiner Kenntnis nicht den Tatsachen.

Fragwürdige V-Leute

Aus Sicht von Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) sind V-Leute im Kampf gegen Rechtsextremismus unverzichtbar. "Es gibt nichts Besseres, als jemanden ganz nah an der Quelle zu haben", sagte der Minister in Stuttgart. Internetbeobachtung sei nur bedingt erfolgreich. Bei allen Problemen bei der Auswertung der Informationen von bezahlten V-Leuten aus der Szene habe deren Einsatz dennoch Sinn, um Maßnahmen ergreifen und Straftaten vorzubeugen zu können.

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele bezeichnete die aktuelle Lage als "sehr ernst". Bei n-tv sagte er: "Vieles deutet darauf hin, dass der Verfassungsschutz seine Aufgabe, die Gesellschaft zu schützen, nicht erfüllt hat. Er hat versagt. Er hat uns vor dem Nationalsozialistischen Untergrund – so haben die sich ja selber genannt – nicht geschützt und dadurch sind nicht nur ungeheure Gefahren entstanden, sondern es sind wahrscheinlich zehn oder mehr Menschen dabei ermordet worden." Ströbele sprach von einer Dramatik, "wie wir sie bisher in der Bundesrepublik nicht gekannt haben".

In der Gemeinde Koblentz (Landkreis Uecker-Randow) hat die NPD im September bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 33 Prozent der Stimmen geholt.

In der Gemeinde Koblentz (Landkreis Uecker-Randow) hat die NPD im September bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 33 Prozent der Stimmen geholt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Rolle von V-Leuten in der rechtsextremen Szene sieht Ströbele höchst kritisch: "Weil die sehr häufig, fast immer, nach wie vor rassistische Ideale haben, rechtsextremes Gedankengut", sagte das PKG-Mitglied vor der Sitzung. "Wenn die dann dem Verfassungsschutz zuarbeiten, dann werden die natürlich nicht die wirklich brisanten Informationen weitergeben - und ich fürchte, hier ist das auch so gewesen." Das Agieren des Verfassungsschutzes in der rechtsextreme Szene gehöre auf den Prüfstand. Offensichtlich seien die Gefahren unterschätzt und verharmlost worden.       

Der Geheimdienstausschuss müsse erwägen, einen Sonderermittler mit besonderen Befugnissen einzusetzen. Möglicherweise sei auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nötig, um den Fall zu klären.          

NPD-Verbot in der Diskussion

Zugleich wandte sich Ströbele gegen ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren, wie es nun zahlreiche Politiker anstreben. "Ich fürchte, wenn die NPD verboten wird, werden noch mehr Leute in den Untergrund gedrückt und es ist nicht auszuschließen, dass es dann zu noch mehr Gewalttaten kommt", sagte er bei n-tv.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) blieb ebenfalls zurückhaltend: "Bevor wir über ein neues NPD-Verbotsverfahren nachdenken, muss klar sein, dass es nicht scheitert", sagte sie der "Passauer Neuen Presse".

"Wir stehen ganz unter dem Eindruck der erschütternden Gewalttaten einer rechtsterroristischen Gruppierung – das verlangt eine harte rechtsstaatliche Antwort gegen den braunen Terror", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Rande des Leipziger Parteitages in einem Gespräch mit n-tv. Allerdings müsse bei einem so ernsten Thema wie einem Parteienverbot Gründlichkeit das Entscheidende sein und kein Wettlauf in Forderung und Ankündigung. "Wir haben die Erfahrung eines gescheiterten Verbotsverfahrens, aber es gibt ja jetzt dringenden Grund, die Verbindung zwischen rechtsterroristischer Gewalt und rechtsextremistischer Politik genau anzusehen und das kann in der Tat zur Notwendigkeit einer Neubewertung der Verbotsfrage führen."

Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte: "Wir tun gut daran, dass wir jetzt dran gehen und ein NPD-Verbot noch mal prüfen." Es habe sich gezeigt, dass es notwendig sei. Bei den Ereignissen um die Thüringer Neonazi-Gruppe habe der rechtsextreme Nationalismus und Fremdenhass "seine widerliche Fratze" offenbart. "Die NPD scheint mir eine Partei zu sein, die sozusagen den politischen Arm nach außen macht, sich aber abstützt auf solche Untergrundbewegungen, wie wir sie jetzt gesehen haben", sagte Steinmeier. Eine Vielzahl von Verbindungsleuten in der rechtsextremen Szene bringe allerdings nicht mehr Sicherheit. Zudem verminderten sie die Chancen für ein NPD-Verbot.

Behörden bleiben skeptisch

Ein früherer Antrag für ein solches Verbot war im Jahr 2003 im Wesentlichen daran gescheitert, dass die NPD mit Spitzeln des Verfassungsschutzes unterwandert war. Das Bundesverfassungsgericht hatte geurteilt, dass dies ein "nicht behebbares Verfahrenshindernis" sei.

Dieser Linie folgt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Ein solches Verfahren sei nur möglich, wenn alle V-Leute abgeschaltet würden, sagte der CSU-Politiker. "Das ist mit einem hohen Risiko verbunden, weil wir dann über viele Jahre keinen Einblick in den inneren Betrieb der Partei haben." Friedrich reagierte damit auf einen Vorstoß von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die die Erfolgsaussichten für ein neues NPD-Verbot prüfen lassen will.

Der Innenminister sprach sich stattdessen dafür aus, verstärkt rechtsradikales Gedankengut zu bekämpfen. "Es scheint mir der bessere Weg zu sein, den Menschen Demokratie nahezubringen, als mit Verboten zu arbeiten", sagte Friedrich im Bayerischen Rundfunk. Auch nach einem Parteiverbot seien "die Menschen nach wie vor da, das Gedankengut ist nach wie vor da".

Die Zwickauer Neonazi-Zelle soll mindestens zehn Morde an Deutsch-Türken, einem Griechen und einer Polizistin begangen haben. Der offenbar rechtsextremistische Hintergrund der Mordserie zwischen 2000 und 2007 war den Ermittlern nicht aufgefallen und kam erst ans Licht, als Anfang November zwei Mitglieder der Zelle in einem Wohnmobil in Eisenach Selbstmord begingen und später in ihrer Zwickauer Wohnung die Tatwaffen entdeckt wurden. Ein mutmaßliches Mitglied und ein mutmaßlicher Komplize sitzen in Untersuchungshaft.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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