Politik

Rechtspopulisten triumphieren in Europa "Wir haben Potenzial für solche Parteien"

Populistisch, eurofeindlich, aber nicht rassistisch? Wahrer-Finnen-Chef Timo Soini freut sich über seinen Triumph bei der Wahl am Sonntag.

Populistisch, eurofeindlich, aber nicht rassistisch? Wahrer-Finnen-Chef Timo Soini freut sich über seinen Triumph bei der Wahl am Sonntag.

(Foto: Lehtikuva)

Frankreich, Niederlande, Ungarn und nun auch noch Finnland: Rechtspopulistische Euro-Gegner sind in Europa auf dem Vormarsch. Ihr Erfolg beruht auf einer "Furcht vor einer weitergehenden Integration und Erweiterung der EU", sagt Extremismus-Forscher Hartleb. Im Interview mit n-tv.de erklärt er auch, warum es in Deutschland bislang keine erfolgreiche rechtspopulistische Partei gibt. Denn: "Der sensationelle Bucherfolg Sarrazins hat gezeigt, dass es in Deutschland nicht an Potenzial mangelt für solche Parteien."

n-tv.de: Die rechtspopulistische Partei "Wahre Finnen" konnte bei den Wahlen in Finnland mit euroskeptischen Parolen vermischt mit Hetze gegen Einwanderer einen großen Erfolg feiern. Ist der Anti-Euro-Kurs der neue Nationalismus Europas?

Florian Hartleb: Es ist erstaunlich, dass sich dieser weiche Euroskeptizismus so erfolgreich durchsetzt. Die Wahren Finnen konnten mit wenigen Formeln – wir sehen nicht ein, dass wir für Pleitestaaten wie Portugal zahlen – die Wahlen gewinnen. Bei anderen Wahlen, wie in den Niederlanden, gab es mit der Ablehnung des Islam noch andere Themen der Protestparteien.

Wird die EU-Skepsis als Vehikel von nationalistischen und ausländerfeindlichen Parteien benutzt?

Die EU-Skepsis kann ein Thema für solche Parteien sein, weil sie Neidgefühle schürt und es schwer ist, in den nationalen Öffentlichkeiten den Sinn der europäischen Solidarität mit kriselnden Eurostaaten zu vermitteln. Wenn sich die Entwicklung fortsetzt und weitere Euro-Länder finanzielle Unterstützung brauchen, könnten nationalistische und rechtspopulistische Parteien dieses Thema besetzen und erfolgreich damit bei Wahlen antreten.

Nicht nur in Finnland sind die Euroskeptiker stark, auch in Schweden und Dänemark erhalten sie große Zustimmung. Allesamt wohlhabende Länder mit einem ausgeprägten Sozialstaat. Wieso sind EU-Skeptiker gerade in Skandinavien so erfolgreich?

Das hängt mit der Krise der Volksparteien zusammen. In Skandinavien war die Sozialdemokratie traditionell sehr stark, verbunden mit dem ausgeprägten Wohlfahrtsstaat und einer durch Konsens geprägten Demokratie. Jetzt plötzlich gibt es Stachel im Fleisch des Establishment, Protestparteien, die diese Konsenskultur stören, indem sie Themen zu Problemen erklären, die vorher als unproblematisch galten. Sie profitieren auch davon, dass es immer noch schwer ist, die komplexe Politik der EU der nationalen Öffentlichkeit zu erklären. Dieses Vermittlungsproblem spielt den Protestparteien in die Hände.

Erfolgreich: Geert Wilders hat in den Niederlanden vorgemacht, wie weit Rechtspopulisten kommen können.

Erfolgreich: Geert Wilders hat in den Niederlanden vorgemacht, wie weit Rechtspopulisten kommen können.

(Foto: REUTERS)

Also spiegelt sich in der Zustimmung zu den rechtspopulistischen Parteien die Ablehnung der EU und ihrer Institutionen wieder?

Zumindest eine Furcht vor einer noch weitergehenden Integration, Vertiefung und Erweiterung der EU. Gerade mit Blick auf weitere Beitrittskandidaten herrscht eine gewisse Angst, weil die Finalität der EU nicht geklärt ist. Niemand weiß, auf welches Ziel das europäische Projekt eigentlich hinauslaufen soll.

Von Skandinavien über die Benelux-Staaten bis hin nach Frankreich, Italien, Österreich und Ungarn eint Europas Rechtspopulisten die Ablehnung der EU und ihrer Institutionen. Was verbindet die neuen Rechten darüber hinaus: Lässt sich von einer europaweiten Bewegung sprechen?

Nein. Und im europäischen Kontext ist die Gefahr auch relativ zu sehen, weil es keine rechtspopulistische oder euroskeptische Formation im Europäischen Parlament gibt. Die Parteien sind untereinander zerstritten, sie sind ganz unterschiedlich ausgerichtet und verfolgen verschiedene Ziele. Zum Beispiel gibt es bei der französischen Front National und dem belgischen Vlaams Belang rassistische Untertöne, während Geert Wilders in den Niederlanden zwar stark gegen den Islam agitiert, seine Partei aber grundsätzlich nicht antisemitisch oder rassistisch auftritt. Wilders ist etwa ein Freund der USA und auch von Israel. Auch die Wahren Finnen würde ich nicht als rassistische Partei einstufen. Auch wenn sie mit dem Thema Integration mobilisiert, ist es doch eine insgesamt sehr moderate Partei. In Ungarn dagegen ist die Jobbik-Partei eindeutig rechtsextremistisch, antisemitisch und minderheitenfeindlich. Das ist im Grunde eine neo-nationalsozialistische Partei.

Trotzdem handelt es sich ja um ein europaweites Phänomen, das zu beobachten ist, so unterschiedlich die Parteien und ihre Beweggründe sein mögen.

Das ist wahr. Die verbindenden Elemente sind die Kritik an den etablierten Parteien, die antielitäre Haltung und eine Politik der Wut gegen bestimmte Themen, wie etwa den Islam oder ethnische Minderheiten. Hinzu kommt die Bedeutung einzelner Personen wie Wilders in den Niederlanden, die Sehnsucht nach Heilsbringern. Das ist die Sehnsucht nach schillernden Figuren, die sich zum Sprecher des einfachen Volkes erklären. Das funktioniert nach der Logik 'Wir gegen die da oben' und 'Wir gegen die da draußen'. Das ist also ein anti-elitärer und auf Feindbilder angelegter Kurs.

Eines dieser Feindbilder ist die europäische Integration. Ist die europäische Gemeinschaft grundsätzlich durch diese Bewegungen bedroht?

Nein, die Parteien treten bei den Europawahlen an und wollen am politischen Prozess mitwirken. Sie wollen nur ein anderes Europa mit weniger Vertiefung. Es gibt nur wenige Parteien, die den Austritt aus der EU anstreben. Sie wollen vielmehr ein Europa der souveränen Nationalstaaten und wecken die Furcht vor einem Mehr an Integration, Vertiefung und Erweiterung.

Von welchen Wählern werden die rechten Parteien getragen?

Es gibt die populäre These, dass solche Parteien allein von Modernisierungsverlierern gewählt werden. Das ist aber nicht mehr zutreffend, es kommen ganz andere Motive ins Spiel. Die Wähler der Wahren Finnen etwa kommen auch aus der Mittelschicht und haben Angst vor dem sozialen Abstieg. Wenn eine Partei Ergebnisse von 20 bis 25 Prozent erreicht, muss sie breitere Schichten als nur Modernisierungsverlierer in der Arbeiterschaft ansprechen. Auffällig ist aber, dass diese Parteien alle einen Männerüberschuss haben. Gerade junge Männer zählen zu ihren Anhängern.

In Deutschland gibt es bislang keine erfolgreiche rechtspopulistische Partei …

… ja, wir sind eine Ausnahme, eine populismusfreie Zone.

Die Debatte um das Buch von Thilo Sarrazin zeigt aber, dass es durchaus das Potenzial für eine solche Bewegung gibt. Auch der Hype um Ex-Verteidigungsminister und den zum Anti-Politiker erklärten Karl-Theodor zu Guttenberg deutet in die Richtung einer deutschen Sehnsucht nach Heilsbringern. Warum kann bislang niemand dieses Potenzial erfolgreich abschöpfen?

Politikwissenschaftler Dr. Florian Hartleb ist derzeit Research Fellow beim Brüsseler Thinktank Centre for European Studies. Hartleb forscht zu politischem Extremismus und Populismus. Sein jüngstes Buch "Populismus in der modernen Demokratie: Die Niederlande und Deutschland im Vergleich" ist im Januar erschienen.

Politikwissenschaftler Dr. Florian Hartleb ist derzeit Research Fellow beim Brüsseler Thinktank Centre for European Studies. Hartleb forscht zu politischem Extremismus und Populismus. Sein jüngstes Buch "Populismus in der modernen Demokratie: Die Niederlande und Deutschland im Vergleich" ist im Januar erschienen.

Der sensationelle Bucherfolg Sarrazins hat gezeigt, dass es in Deutschland nicht an Potenzial mangelt für solche Parteien. Es gibt eine Sehnsucht, aber das Angebot dafür ist ungenügend. Es gibt viele verschiedene Parteien und hinzu kommt die Besonderheit unserer politischen Kultur, dass nämlich die Medien sehr kritisch gegenüber solchen Projekten sind. Das mediale Echo wäre sehr negativ und das ist ein Grund dafür, warum es bislang niemand Prominentes versucht hat. Denn an der Spitze einer solchen Partei müsste es eine bekannte Persönlichkeit geben, einen Politiker, Showstar, vielleicht jemand wie Roland Koch oder Friedrich Merz. Solche Leute wollen das aber nicht. Der letzte Fall einer bekannten Persönlichkeit, die ein solches Projekt initiiert hat, war Anfang der 80er Jahre der Fernsehjournalist Franz Schönhuber, der mit zwei CSU-Politikern 1983 die Republikaner gründete. Oder 'Richter Gnadenlos' Ronald Schill, der aber nur regional in Hamburg erfolgreich war. Beide Projekte sind letztlich gescheitert. Durch unser stark föderales System ist es in Deutschland zusätzlich sehr schwer, solche Parteien zu gründen und bundesweit erfolgreich zu machen.

Wie können die etablierten Parteien auf den rechtspopulistischen Virus in Europa reagieren?

In einem Mehr an europäischer Öffentlichkeit. Die Europawahl muss ein stärkeres Gewicht bekommen. Es muss stärker europäisch kommuniziert werden, etwa durch gemeinsame Wahlkämpfe mit einem Spitzenkandidaten. Und die Erfolgsgeschichte, die das europäische Projekt nun einmal ist, muss auch in einfachen Worten verkauft werden und darf nicht nur als komplexes, bürokratisches Thema wahrgenommen werden.

Mit Florian Hartleb sprach Till Schwarze

Quelle: ntv.de

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