Berlin & Brandenburg Berlins Neutralitätsgesetz sorgt erneut für Diskussionen
02.02.2023, 13:07 Uhr
(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa/Symbolbild)
Das Berliner Neutralitätsgesetz hat schon für viele Debatten gesorgt. Die Justizsenatorin kündigt an, ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen werde es in Berlin in Zukunft nicht mehr geben.
Berlin (dpa/bb) - Der Senat will sich noch einmal mit dem Berliner Neutralitätsgesetz beschäftigen, das Lehrerinnen pauschal das Tragen von Kopftüchern verbietet. Das auch innerhalb der Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke umstrittene Gesetz hat in der Vergangenheit mehrfach für Debatten gesorgt. Nachdem es zuletzt ruhiger um das Thema geworden war, ist es mitten im Wahlkampf nun wieder da.
Ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts hatte am Mittwochabend mitgeteilt, dass eine Beschwerde des Landes Berlin gegen ein entsprechendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts schon Mitte Januar nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Das Bundesarbeitsgericht hatte 2020 klargestellt, dass Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern nicht pauschal verboten werden kann.
Eine Sprecherin des Senats teilte am Donnerstag auf Anfrage mit, der Senat werde sich zeitnah mit dem weiteren Vorgehen befassen. Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) betonte: "Ein pauschales Kopftuchverbot für Pädagoginnen wird es in Berlin in Zukunft nicht mehr geben." Das Bundesverfassungsgericht habe bestätigt, dass die - unter anderem von der Linken geäußerte - Kritik hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Neutralitätsgesetzes berechtigt sei, sagte Kreck der Deutschen Presse-Agentur. "Damit muss das Neutralitätsgesetz Berlins umgehend angefasst werden."
Ein Sprecher der Bildungsverwaltung teilte auf Anfrage mit, die Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen habe, sei schon in der vergangenen Legislaturperiode zur Prüfung eingereicht worden. "Damit wollte Berlin in dieser kontrovers diskutierten Frage eine Klärung durch das oberste deutsche Gericht herbeiführen." Es sei außerdem bereits im Koalitionsvertrag 2021 vereinbart, das Neutralitätsgesetz in Abhängigkeit von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzupassen.
Auf die Koalitionsvereinbarung wies am Donnerstag auch die Sprecherin für Antidiskriminierung der Linksfraktion, Elif Eralp, hin. "Das durch das Neutralitätsgesetz bewirkte Bekleidungsverbot für Lehrpersonal an öffentlichen Schulen muss sofort abgeschafft werden." Frauen müssten beim Zugang zu Berufen des öffentlichen Dienstes die gleichen Chancen haben wie alle anderen auch. "Das Neutralitätsgesetz in seiner jetzigen Form verdrängt Frauen aus dem öffentlichen Leben."
Die Sprecherin für Antidiskriminierung der Grünen, Tuba Bozkurt, ergänzte, es sei an der Zeit, dass muslimische Frauen in Berlin nicht länger von Staats wegen diskriminiert würden. "Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein großer Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft, eine große Erleichterung in religiösen Communities."
Die kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Cornelia Seibeld, sagte dagegen, es könne nicht geduldet werden, wenn religiöse Symbole wie das islamische Kopftuch in staatlichen Einrichtungen demonstrativ zur Schau gestellt würden. "Das würde den Frieden und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gefährden", sagte sie. "Im Gegensatz zu Grünen, Linken und leider auch Teilen der SPD stehen wir weiter zum Ziel des Berliner Neutralitätsgesetzes."
Seibeld kritisierte, es sei der Koalition von SPD, Grünen und Linken über Jahre nicht gelungen, eine gemeinsame Linie zum Berliner Neutralitätsgesetz zu finden. "Wir sehen diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als klaren Auftrag, dieses Gesetz so fortzuentwickeln, dass es rechtssicher wird."
Die AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker sagte, religiöse Bekundungen hätten in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden wie Verwaltungen und Gerichten nichts zu suchen. "Der Senat muss jetzt eine rechtlich einwandfreie Möglichkeit finden, das Neutralitätsgesetz zu erhalten und Schüler vor religiöser Indoktrination zu bewahren."
Im Berliner Neutralitätsgesetz heißt es unter anderem, Lehrkräfte dürften in öffentlichen Schulen keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen.
Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits im August 2020 einer Kopftuch tragenden Muslimin, die nicht in den Schuldienst übernommen worden war, eine Entschädigung von rund 5159 Euro zugesprochen, weil sie wegen ihrer Religion diskriminiert worden sei. Es bestätigte damit eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom November 2018, gegen die das Land Berlin in Revision gegangen war. Nach dieser erneuten juristischen Niederlage hatte die damalige SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres dafür plädiert, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.
Quelle: dpa