Wirtschaft

Auf der Suche nach Impfstoff China fürchtet japanische Krankheit

China weist seit Jahren ein erstaunliches Wachstum aus. Ob das allerdings so bleibt, ist ungewiss. Erinnerungen an Japan werden wach - und die sind alles andere als angenehm.

China will hoch hinaus.

China will hoch hinaus.

(Foto: REUTERS)

Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas fasziniert. Innerhalb weniger Jahre ist es dem Riesenreich gelungen, sich von einem Bauernstaat in einen Wirtschaftsgiganten zu verwandeln. Das Reich der Mitte dominiert heute in vielen Bereichen den Weltmarkt, China ist beispielsweise der größte Stahlproduzent und der größte Schiffbauer. In atemraubendem Tempo bekommen Millionenstädte ein neues Gesicht, innerhalb kürzester Zeit entstehen riesige Wohnviertel, Autobahnen, Flughäfen.

Diese erstaunliche Entwicklung ist einzigartig, möchte man meinen. Doch das ist nicht so. Die asiatischen Tigerstaaten Korea und Japan blicken auf eine ähnliche kraftstrotzende Phase zurück. Auch diese Länder erfreuten sich lange an einer rasanten Zunahme ihrer Exporte, stetig wachsenden Marktanteilen und einer dadurch laut brummenden Konjunktur.

China hat diesen Weg eingeschlagen und hat noch eine weite Strecke vor sich. Auch Peking setzt auf seine Exportmaschine, um im Riesenreich für Wohlstand zu sorgen. Aber der Blick nach Japan zeigt, dass dieser Weg irgendwann zu Ende sein kann. Und dann?

Bush als Sinnbild

Kiichi Miyazawa hilft George Bush auf die Beine. Doch das Bild trügt.

Kiichi Miyazawa hilft George Bush auf die Beine. Doch das Bild trügt.

(Foto: AP)

Als US-Präsident George Bush sich 1992 grippegeschwächt während eines Banketts beim japanischen Premier Kiichi Miyazawa erbrach und vor ihm niedersank, galt das als bezeichnendes Bild für den Niedergang des Westens und den unaufhaltsamen Aufstieg einer neuen, auf gewaltiger ökonomischer Potenz basierenden Weltmacht. Wenige Jahre zuvor hatte ein Immobilenverkauf das amerikanische Selbstverständnis tief erschüttert: 1989 erwarb ein japanisches Unternehmen das Rockefeller-Center in New York - und damit ein Symbol amerikanischer Wirtschaftsmacht. Offenbar war eine neue Zeit war angebrochen.

Doch das Bild trügt. Als Bush einen Schwächeanfall erlitt, ging es der japanischen Wirtschaft noch schlechter als dem Präsidenten. Japans Aufstieg war durch das Platzen einer Immobilienblase plötzlich beendet. Verstärkt durch politische Fehler stagnierte die Wirtschaft - es begann das "verlorene Jahrzehnt". Banken taumelten, es dauerte Jahre bis sich der Sektor erholt hatte. Japan hatte ein Wachstumsmodell, das 40 Jahre funktioniert hatte. Aber nun brauchte es ein anderes.

Peking kann bald vor einem ähnlichen Problem stehen. Natürlich, das ökonomische Wunder nötigt Respekt ab. Dennoch: Die Zukunft bleibt ungewiss. China erinnert in vielen Dingen an das ehemals vor Kraft strotzende Japan. Das zeigt sich allein schon an der lauter werdenden Kritik: Ein Großteil des Marktes ist für ausländische Firmen geschlossen, die Währung wird künstlich niedrig gehalten, um die Exportmaschine anzukurbeln. Das Land presst ausländischen Firmen teuer entwickelte Technologie ab: Ohne Technologietransfer kein Eintritt in den Markt. Diese Vorwürfe muss sich Peking immer wieder gefallen lassen. Vor vielen Jahren hatte Tokio das zu hören bekommen. 

Japan hatte ein mächtiges Wirtschaftsimperium aufgebaut. Kern waren Unternehmen, die stark mit dem Staat verflochten waren und von ihm gestützt wurden. Doch ewig ging das nicht gut, wie der Zusammenbruch der Japan Airlines eindrucksvoll vor Augen führte.

Auf der Suche nach Marktanteilen

Auch Chinas Wachstum gründet sich auf einen Grundstock von Großkonzernen, die allerdings im Gegensatz zu Japan staatlich sind und als Vollstrecker von Regierungsinteressen gelten. Diese nationalen Champions sind die Speerspitze Pekings, um die globalen Märkte zu erobern. Große Teile der Wirtschaft sind weitgehend abgeschottet. Von 22 chinesischen Firmen, die in der "Fortune 500" genannten Liste der umsatzstärksten Unternehmen gelistet sind, werden 21 von der Regierung oder staatlichen Banken kontrolliert. Nur ein Konzern, Shanghai Automobile, gehört einer regionalen Regierung. Der Yuan - so meint der Rest der Welt - werde künstlich niedrig gehalten, um die Exportmaschine am Laufen zu halten. Wer in China verkaufen will, muss dort produzieren - und technologisches Wissen mit Einheimischen teilen.

Das klingt wie abgeschrieben aus einem Lehrbuch für exportorientierte Volkswirtschaften, die sich weiter entwickeln wollen. Noch spricht das Wachstum für sich selbst. Doch wie lange funktioniert diese Formel noch? Niedriglohnländer wie Vietnam locken arbeitsintensive Industrien aus China weg - Industrien wie die Textilfertigung, die das Rückgrat des chinesischen Aufstiegs gebildet haben. China kann nicht davon ausgehen, dass die Exporte und damit die Wirtschaft weiterhin in schwindelerregendem Tempo wachsen.

Außerdem dominiert China bereits in vielen Warenmärkten. Es ist deshalb eine ungeheure Herausforderung, die Marktanteile noch weiter zu steigern - selbst wenn die Produktivität deutlich wächst, ist das Vorhaben äußerst ehrgeizig. Japan war es gelungen, mit üppigen Wachstumsraten einen weltweiten Marktanteil von zehn Prozent zu erreichen - doch dann war das Limit erreicht, der Niedergang setzte ein.

Peking ist alarmiert

Die Gefahr sieht die Regierung in Peking auch. Bereits 2007 warnte Chinas Premier Wen Jiabao: "Das größte Problem der chinesischen Wirtschaft ist, dass das Wachstum unbeständig, ungleichmäßig, unkoordiniert und nicht nachhaltig ist." Die Führung will die Abhängigkeit von den Exporten mindern und die Binnennachfrage stärken. Doch bis das erreicht ist, wird noch viel Zeit vergehen. Denn Chinas Bevölkerung spart extrem, um Geld für die Ausbildung der Kinder und für medizinische Versorgung zu haben. Ohne tiefgreifende Reformen des Bildungs- und des Gesundheitssystems wird sich das nicht ändern.

Außerdem hat Peking von dem Sparzwang in den vergangenen Jahren extrem profitiert. Chinas Wachstum beruht zum Teil darauf, dass Banken die Sparguthaben in die Finanzierung von Autobahnen, Fabriken und Immobilienprojekten steckten. Das wird sich weiter auszahlen, die stimulierenden Effekte werden sich aber vermindern. Außerdem warnen viele Ökonomen vor einer Immobilienblase in China. Auch hier lässt Japan grüßen.

Die chinesische Führung musste die Banken mit Milliardenspritzen retten, sie waren wegen fauler Kredite in Bedrängnis geraten. Die großzügigen Darlehen waren auf staatlichen Druck erfolgt, da Peking Wachstum über alles ging. Und angesichts der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise flutete die Regierung die Wirtschaft mit billigem Geld. Nun wird sich China bewusst, dass fortwährende Stimuli unglaublich teuer sind und nachhaltiges Wachstum auf eigenen Füßen nicht ersetzen können.

Das Rockefeller-Center gehört übrigens seit geraumer Zeit wieder amerikanischen Investoren. Geändert hat das wenig.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen