Piraterie im Indischen Ozean "Seeleute brauchen mehr Schutz"
24.01.2011, 17:10 UhrIm Kampf gegen Piratenangriffe sucht die Bundesregierung zusammen mit den deutschen Reedern nach Konzepten. Der Verband Deutscher Reeder (VDR) fordert einen besseren Schutz durch Soldaten und Polizisten an Bord - doch die Bundesregierung zögert. Dabei sei schnelles Handeln dringend nötig, sagt VDR-Sprecher Max Johns.
n-tv.de: Rund 95 Prozent aller Güter werden über die Meere verschifft. Deutschland als zweitgrößte Exportnation und drittgrößte Importnation hängt vom Welthandel ab. Die deutschen Reeder sind also besonders stark von der Piraterie betroffen…
Max Johns: Ja, denn die deutschen Reeder haben die drittgrößte Handelsflotte der Welt und mit großem Abstand die größte Containerflotte. Wir sind was Handel in unserer globalisierten Welt angeht führend - unsere Seeleute spüren die Piraterie deshalb besonders intensiv.
Die Bundeswehr beteiligt sich mit mehreren hundert Soldaten an dem internationalen Anti-Piraten-Einsatz Atalanta vor Afrika. Doch die Zahl der Überfälle steigt. Wie sinnvoll ist die Mission?
Die Mission ist extrem erfolgreich und sehr positiv zu bewerten. Sie wurde sehr schnell umgesetzt, obwohl sie eine so ungewöhnliche Mission ist. Und sie ist in dem Seegebiet, für das sie definiert ist, sehr erfolgreich. Dort sind die Schiffe sehr viel sicherer als vorher. Aber dabei handelt es sich vor allem um den Golf von Aden.
Leider haben sich die Piraten darauf eingestellt und überfallen Schiffe jetzt im gesamten Indischen Ozean. Das ist eine außerordentlich große Fläche. Diesem Problem kann man mit einzelnen Kriegsschiffen nicht mehr begegnen. Wir brauchen andere Maßnahmen.
Sie fordern deshalb mobile, hoheitliche Einsatzteams, um Entführungen abzuwehren.
Ja. Damit folgen wir dem Rat von Bundespolizei und Marine. Man kann Piraten nur sehr schwer mit großen Fregatten bekämpfen. Es ist fast unmöglich, auf hoher See präventiv gegen Piraten vorzugehen. Denn im Prinzip darf dort jeder mit Waffen herumfahren. Man darf niemanden festsetzen oder gar auf ihn schießen, nur weil er bewaffnet ist.
Das heißt: Man muss die Schiffe direkt schützen. Es wird zwar schon viel mit Konvoi-Fahrten und Korridorfahrten probiert. Doch das reicht nicht. Um auf die sehr schnellen Piraten zu reagieren, würde man sehr viel mehr Kriegsschiffe benötigen. Und dass mehr Schiffe geschickt werden, ist sehr unwahrscheinlich.
Wäre es sinnvoller, die Schiffe einzeln zu schützen?
Das haben wir bei dem Schutz für das World-Food-Programm gesehen. Diese Schiffe werden durch kleine Teams an Bord geschützt, und sie fahren sogar in die extrem gefährlichen somalischen Häfen. Keines dieser Schiffe ist bisher überfallen worden. Das zeigt, dass das Konzept funktioniert. Außerdem erfordern diese Maßnahmen weniger Personal als die Entsendung von Kriegsschiffen. Allerdings müssten hoheitliche Kräfte entsprechend ausgebildet sein.
"Die Atalanta-Mission ist nicht so ausgelegt, dass man auf jedes Schiff am Horn von Afrika Soldaten setzt", sagt der maritime Koordinator der Regierung, Hans-Joachim Otto. Auch verfassungsrechtlich sei das heikles Terrain.
Das kann man auch anders sehen. Es mehren sich die Stimmen, denen zufolge das Atalanta-Mandat die Entsendung von Schutzteams durchaus erlaubt. Es ermöglicht nämlich, besonders gefährdete Handelsschiffe zu schützen. Dieses wird im Moment so ausgelegt, dass damit nur die Schiffe des World-Food-Programms gemeint sind. Man kann es durchaus auch anders auslegen und auch andere Schiffe mit einbeziehen.
Ist es für deutsche Reeder eine Alternative, private Sicherheitsteams an Bord zu holen?
Viele Reedereien sind dazu bisher gezwungen aus Fürsorge für die Besatzungen. Wir sind zwar im Prinzip dagegen, aber der Schutz der Menschen geht vor. Denn die Mannschaften verlangen das verständlicherweise. Es geht ja bei der Piraterie ausschließlich um Entführung und Lösegelderpressung. Es geht nicht um die Schiffe und nicht um die Ladung. Die Seeleute wollen geschützt werden. Solange es keine hoheitliche Hilfe gibt, müssen die Reedereien handeln.
Wie sieht das in der Praxis aus?
In diesem Fall hat der Kapitän weiter die Hoheit über das Schiff. Er muss sich bei einem Angriff mit dem Chef einer solchen Sicherheitstruppe abstimmen. Das ist auch einer der wesentlichen Gründe, warum wir uns hoheitliche Kräfte an Bord wünschen. Diese sind schließlich darauf trainiert, mit der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu agieren. Und darauf kommt es an. Wir wollen die Situationen nicht eskalieren lassen, sondern abwehren - und nicht etwa kämpfen.
Reeder und Bundesregierung beraten über neue Ansätze in der Piratenbekämpfung. Was erhoffen Sie sich davon?
Wir hoffen, dass die Bundesregierung einen Schritt in Richtung hoheitliche Kräfte an Bord macht. Denn uns ist es wichtig, dass die Sicherheit auf hoher See nicht privatisiert wird. Deutschland ist nach internationalem Seerecht verpflichtet, Piraterie zu bekämpfen. Dass darf nicht wegdelegiert werden. Das ist doch an Land genauso. Für die Sicherheit ist die Polizei zuständig - und dankenswerterweise nicht private Sicherheitsleute.
Aus Kostengründen wird ein Großteil der Handelsflotte unter ausländischer Flagge betrieben. Der maritime Koordinator der Bundesregierung, Otto, rät den Reedern, wieder auf mehr Schiffen die deutsche Flagge zu hissen: "Jeder Reeder muss wissen, dass wir ihm sehr viel besser helfen können, wenn sein Schiff unter deutscher Flagge fährt."
Das klingt so, als ob nur der Schutz bekommen solle, der in Deutschland Steuern zahlt. Die deutschen Reeder, die ihre Schiffe ausgeflaggt haben zahlen aber genauso viele Steuern wie diejenigen, die es nicht getan haben.
Wir hatten übrigens den merkwürdigen Fall, dass Schiffe, die unter fremder Flagge fahren, sogar leichter zu schützen sind als Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren. Das Containerschiff "Taipan" ist im letzten Jahr überfallen worden. Niederländische Marinesoldaten hatten die Besatzung befreit, die Piraten stehen in Hamburg vor Gericht.
Die "Taipan" musste nach der Befreiung nochmals durch das gefährdete Seegebiet fahren. Die Reederei bat die Bundesregierung deshalb um Hilfe. Doch sie winkte ab. Zugleich riet sie dringend davon ab, private Sicherheitsleute an Bord zu nehmen - solange unter deutscher Flagge gefahren wird. Das hatte zur Folge, dass das Schiff aus Sicherheitsgründen gezwungen war, auszuflaggen, um Sicherheitskräfte an Bord nehmen zu können. Das sollte sich aber hoffentlich ändern, denn wir wollen ja gerade Schiffe unter die deutsche Flagge bringen.
Wird der Schutz der Schiffe verstärkt, rüsten auch die Piraten auf. Löst man durch schwer bewaffnete Sicherheitsteams nicht eine Eskalationsspirale aus?
Das entbindet uns doch nicht von der Pflicht, unsere Mannschaften so gut zu schützen wie möglich. Würden wir uns nicht wehren, gäbe es noch mehr Geiseln - und das sind derzeit schon mehr als 600. Außerdem ist es absurd, friedlichen Handelsschiffen eine Eskalation vorzuwerfen, wenn die Piraten die Angriffe mit immer brutaleren Mitteln durchführen.
Durch den Suezkanal läuft der wichtige Handel zwischen Ostasien und Europa. Wäre es trotz des großen Umwegs unter dem Strich nicht billiger und für die Crews sicherer, den Suezkanal zu vermeiden und um Afrika herumzufahren?
Das ist denkbar. Doch das hieße, dass die Weltgemeinschaft vor Piraten kapituliert und akzeptiert, dass einer der wichtigsten Seewege der Welt gesperrt wird. Außerdem würde das gewaltige Zusatzkosten und immense Probleme in den Logisitikketten verursachen. Aber das ist aus unserer Sicht zweitrangig. Wichtig ist, dass man die Mannschaften schützt.
Nur sollte man nicht außer Acht lassen, dass damit Ägypten destabilisiert wird. Immerhin sind die Gebühren für die Fahrt durch den Suezkanal nach dem Tourismus die zweitwichtigste Einnahmequelle des Landes. Der Nahe Osten ist bereits sehr instabil. Es ist ein hohes Risiko, die Region weiter zu verunsichern – und das alles nur wegen somalischer Piraten.
Außerdem ermutigt man durch einen solchen Schritt Piraten auf aller Welt. Es zeigt ihnen doch, wie sie mit vergleichsweise wenig Aufwand den gesamten Welthandel verändern können. Diese Macht sollten wir ihnen nicht einräumen.
Letztlich reagiert man durch Sicherheitsmaßnahmen oder gar eine Änderung der Routen doch nur auf Symptome…
Natürlich. Die Piraterie wird dort nur dann verschwinden, wenn in Somalia Stabilität herrscht. Doch bis das der Fall sein wird, werden wohl noch Jahre vergehen. Unsere Schiffe sind dort allerdings Tag für Tag unterwegs. Wir brauchen deshalb dringend eine Lösung.
Quelle: ntv.de, Mit Max Johns sprach Jan Gänger