Inside Wall Street Wahnsinn regiert die US-Steuerpolitik
30.03.2011, 07:08 UhrWo man in den USA auch hinschaut, wachsen die Schulden. Es wäre dringend an der Zeit, auch die großen Unternehmen des Landes in die Pflicht zu nehmen. Doch die falsche Angst vor negativen Folgen auf den Arbeitsmarkt lässt Republikaner wie Demokraten an dieser Hürde scheitern.

Bei der Unternehmensbesteuerung stehen sich US-Republikaner und -Demokraten ungewohnt nahe.
(Foto: Reuters)
In den USA regiert der Irrsinn, und vor allem die Steuer- und Haushaltspolitik scheint er fest im Griff zu haben. Und zwar schon seit Jahren – der Wahnsinn ist nicht parteiisch, er mischt bei den Republikanern und bei den Demokraten mit, versteckt sich hinter der Maske von George W. Bush, Barack Obama und nahezu jedem großmäuligen Senator.
Sie alle wissen, dass die USA verschuldet sind. Und zwar auf allen Ebenen. Familien stehen knietief in der Kreide, die Bundesstaaten wissen nicht, wie sie ihre Aufgaben finanzieren sollen, und auf US-Ebene klafft das größte Defizit aller Zeiten. Man ist sich einig: Es muss etwas geschehen. Nur was?
Sinnvolle Ausgabenkürzungen
Die meisten Politiker, vor allem die Republikaner, gehen das Problem einseitig an und wollen Ausgaben senken. Das ist nicht ganz falsch, denn in vielen Bereichen ließe sich drastisch einsparen, vor allem beim gewaltigen Rüstungshaushalt. Die US-Amerikaner stecken mehr Geld in ihr Militär als die nächsten dreißig Staaten zusammen. Es gibt milliardenschwere Waffenprogramme, die selbst von führenden Generälen als unnötig eingestuft werden. Zudem ist Korruption ein Problem. In der überschaubaren Branche der Rüstungszulieferer fließen regelmäßig gigantische Summen in Verträge, die nicht ausgeschrieben, sondern hinter vorgehaltener Hand abgeschlossen werden.
Außer dem Rüstungssektor könnte man bei den Sozialkosten sparen, unter anderem bei der Sozialhilfe und der Gesundheitsversicherung für Renter und Arme. Einsparungen hier ließen sich wohlgemerkt nur verantworten, wenn Leistungen darunter nicht leiden würden. Das wäre sehr gut möglich, wenn Washington sich die Gesundheitsbranche vorknöpfen und den Phantasie-Rechnungen von Ärzten und Krankenhäusern ein Ende machen würde. Doch das ist genauso unwahrscheinlich wie nennenswerte Kürzungen im Pentagon.
Noch schlimmer: Selbst deutliche Kürzungen in den genannten Sektoren würden den US-Haushalt nicht ausgleichen. (Die von den Republikanern vorgeschlagenen Kürzungen bei Museen, Medien und Schulen wären ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein, immerhin geht es hier um läppische Millionenbeträge.)
Angst vor Corporate America
Wenn die USA ihren Haushalt ausgleichen wollen, müssen nicht nur Ausgaben gekürzt, sondern auch Steuern angehoben werden. Das lehnen die Republikaner energisch ab, vor allem wenn es um die Steuern der Reichen und der Unternehmen geht. Und hier beginnt der Wahnsinn:
Corporate America klagt etwa seit Jahren über "den höchsten Gewerbesteuersatz der Welt". Das ist faktisch nicht falsch, denn mit 35 Prozent liegt der Steuersatz für Unternehmen tatsächlich höher als in anderen Industrie-Nationen. Allerdings zahlt kein Unternehmen diesen Satz, denn mit geschickter Buchführung lässt sich einiges sparen.
Bestes Beispiel: General Electric. Der Industrie-Gigant mit Sitz in New York hat im vergangenen Jahr einen Reingewinn von 14,2 Milliarden Dollar eingefahren. Die Steuerlast für 2010: Null. GE hat keinen Cent abgeführt, im Gegenteil: für Forschung und Entwicklung, etwa mit Windturbinen, hat man eine Steuergutschrift von 3,2 Milliarden Dollar erhalten. Damit komme GE auf einen wahren Steuersatz von minus 22 Prozent.
GE ist nicht der einzige Großkonzern, der gegen Steuern kämpft: General Motors wird wegen geschickter Buchführung während des Konkursverfahrens für mindestens zehn Jahre keine Steuern zahlen, und der Baumaschinenriese Caterpillar droht gerade seinen Standort zu verlassen, wenn die Sätze nicht deutlich zurückgefahren werden.
Die wahnsinnige Steuerpolitik rechtfertigt man mit dem Argument, dass höhere Unternehmenssteuern Arbeitsplätze in den USA gefährden würden. Auch das ist Humbug: GE etwa hat in den vergangenen neun Jahren satte 20 Prozent seiner US-Stellen abgebaut und gleichzeitig massiv in Übersee investiert. Der einzige Bereich, in dem GE in den USA deutlich gewachsen ist: der Finanzsektor, wo 975 Mitarbeiter an Steuertricks für den Konzern feilen, viele davon ehemalige Mitarbeiter der US-Steuerbehörde IRS.
Steuervermeider als Vorbilder
Der Wahnsinn geht weiter: Präsident Barack Obama hat jüngst einen neuen Chairman für seine Jobs-Initiative benannt – Jeff Immelt. Der CEO von General Electric sei eine ausgezeichnete Wahl, da Unternehmen in ganz Amerika viel von GE lernen könnten, lobte Obama. Nur: Was können Unternehmen von GE lernen? Wie man keine Steuern zahlt und dennoch Stellen abbaut? Warum ist das gut für das Land?
Vor allem für demokratische Wähler ist der jüngste Gang der Dinge eine herbe Enttäuschung. Von Barack Obama hatte man sich erhofft, dass die monetäre Umverteilung von Arm nach Reich gestoppt werden könnte, doch immer mehr zeichnet sich ab: Alles bleibt beim Alten. Die Unternehmen sind mit ihren Lobbyisten in beiden Parteien gut vernetzt, sie haben die Steuerpolitik im Griff. Sie unterstützen auch eifrig die aktuellen Bestrebungen einiger US-Staaten, die Haushaltslöcher durch drastische Einsparungen bei Lehrern und anderen Beamten einzufahren – vieles davon findet wohlgemerkt in Staaten statt, in denen gerade republikanische Gouverneure die Macht übernommen haben.
Unterm Strich sind die Republikaner die treibende Kraft hinter der ruinösen Finanzpolitik der USA, doch die Demokraten finden im besten Fall keine Alternative und sind im schlechtesten Fall willige Helfer. Mit der aktuellen Politik fährt das Land an die Wand; der Wahnsinn siegt.
Quelle: ntv.de