Uraltes Erbgut im Permafrost Erstmals fossile Mammut-Chromosomen entdeckt
12.07.2024, 12:29 Uhr Artikel anhören
52.000 Jahre alte Haut eines Wollmammuts, nachdem sie aus dem Permafrost ausgegraben worden war.
(Foto: Love Dalén, Stockholm University)
Bisher stöbern Forschende nur kleine Fragmente von uralter DNA auf. Doch nun finden sie in der Haut eines Wollhaarmammuts Chromosomen, die mehr als eine Milliarde Buchstaben umfassen. Die uralten Erbgutreste sind in einem "glasähnlichen" Zustand erhalten.
In 52.000 Jahre alten Überresten eines Wollhaarmammuts hat eine Forschungsgruppe fossile Chromosomen entdeckt, die wesentlich größer sind als alle bisher bekannten Formen uralter DNA. Dass sie erhalten blieben, ist wohl dem sibirischen Permafrost zu verdanken, in dem das Mammut lag. Dieser sorgte dafür, dass die Haut mit den Chromosomen gefriergetrocknet wurde.
Beim Stichwort "Fossilien" denken die meisten Menschen vermutlich an versteinerte Knochen oder in Bernstein konservierte Insekten. Tatsächlich können die Spuren der Vergangenheit aber auch viel kleinere Einheiten des Lebens meinen - nämlich dann, wenn von fossiler DNA die Rede ist.
Die internationale Forschungsgruppe entdeckte nun Fossilien uralter Chromosomen in der Haut eines Wollhaarmammuts, das 2018 in Sibirien gefunden wurde - nach 52.000 Jahren. Der Fund ist vor allem deswegen aufsehenerregend, weil Erbgut-Spuren meist nur in Form winziger DNA-Fragmente erhalten bleiben.
Struktur des gesamten Chromosoms erhalten
Die jetzt in der Fachzeitschrift "Cell" beschriebenen fossilen Chromosomen sind wesentlich größer als bisher bekannte Formen uralter DNA. "Wir wussten bereits, dass winzige Fragmente alter DNA über lange Zeiträume hinweg überdauern können", wird Mitautorin Marcela Sandoval-Velasco von der Universität Kopenhagen in einer Mitteilung zitiert. "Aber was wir hier gefunden haben, ist eine Probe, bei der die dreidimensionale Anordnung dieser DNA-Fragmente über Dutzende von Jahrtausenden eingefroren war, wodurch die Struktur des gesamten Chromosoms erhalten blieb."
Ein solches Chromosom verrät wesentlich mehr über die Lebewesen, welche einst die Erde bevölkerten, als einzelne DNA-Fragmente, die selten länger als hundert Buchstaben des genetischen Codes sind - und damit viel kleiner als die vollständige Erbgut-Sequenz von Organismen mit Milliarden von Buchstaben. Im Gegensatz dazu können fossile Chromosomen Hunderte Millionen genetischer Buchstaben umfassen.
Ein Vergleich jener fossilen Sequenzen mit der DNA moderner Spezies erlaubt so, die Veränderungen des genetischen Codes im Laufe der Evolution nachzuvollziehen. "Fossile Chromosomen sind ein Wendepunkt, denn wenn man die Form der Chromosomen eines Organismus kennt, kann man die gesamte DNA-Sequenz ausgestorbener Lebewesen zusammensetzen. Dies ermöglicht Einblicke, die vorher nicht möglich gewesen wären", sagt Ko-Autorin Olga Dudchenko.
Aufregendes Zählen bis 28
Zu den ausgestorbenen Lebewesen gehört auch das Wollhaarmammut, dessen Chromosomen die Forschungsgruppe nun untersuchte. "Wir fanden heraus, dass sie 28 Chromosomenpaare hatten, was sehr logisch ist, da moderne Elefanten diese Anzahl haben, und sie die nächsten lebenden Verwandten des Wollhaarmammuts sind", so Mitautor Juan Antonio Rodríguez. "Es war extrem aufregend, zum ersten Mal die Chromosomen eines ausgestorbenen Lebewesens zählen zu können." Die Analyse der Chromosomen verriet den Forschenden auch, welche Gene für die Behaarung des Wollhaarmammuts sorgten - und sich von denen moderner Elefanten unterschieden, die eben kein Fellkleid haben.
Zudem entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei den fossilen Chromosomen viele strukturelle Merkmale moderner Chromosomen, darunter winzige sogenannte Chromatinschleifen, die wichtig für Organisation und Funktion des genetischen Materials in Zellen sind. "Das Überleben der Schleifen in diesen alten Chromosomen ist vielleicht das Beeindruckendste", kommentiert Mitautor Marc Marti-Renom. "DNA-Schleifen, die nur 50 Nanometer groß sind, sind wichtig, weil sie aktivierende DNA-Sequenzen in die Nähe ihrer Genziele bringen. Diese Fossilien zeigen uns also nicht nur, welche Gene aktiv waren - sie zeigen uns auch, warum."
Konserviert wie Tortilla-Chips und Dörrfleisch
Dass die fossilen Chromosomen überhaupt Zehntausende von Jahren erhalten blieben, liegt der Forschungsgruppe zufolge daran, dass sie sich in einem "glasähnlichen" Zustand befanden. Ein solcher Zustand werde auch dazu genutzt, um Lebensmittel haltbar zu machen, nämlich durch eine Kombination aus Kühlung und Austrocknung. Das Ergebnis seien Lebensmittel wie Tortilla-Chips und Dörrfleisch, die brüchiger seien als das ursprüngliche Lebensmittel, sich aber viel länger hielten. Etwas flapsig formuliert das Forschungsteam, dass die Chromosomen im Grunde in gefriergetrocknetem Wollhaarmammut-Dörrfleisch eingeschlossen waren.
Um ihre Theorie zum erstaunlichen Überdauern der Chromosomen zu testen, führte die Gruppe einige originelle Experimente mit gefriergetrockneter Rinderwurst durch, wie Ko-Autorin Cynthia Pérez Estrada beschreibt. "Wir haben mit einer Schrotflinte darauf geschossen. Wir haben sie mit einem Auto überfahren. Ein ehemaliger Werfer der Houston Astros warf einen schnellen Ball darauf", zählt Pérez Estrada auf. Jedes Mal sei die gefriergetrocknete Wurst wie Glas in winzige Stücke zersplittert. "Aber auf der Nanoskala waren die Chromosomen intakt, unverändert", so die Wissenschaftlerin. "Das ist der Grund, warum diese Fossilien überleben, 52.000 Jahre da waren und nur darauf warteten, von uns gefunden zu werden."
Quelle: ntv.de, Alice Lanzke, dpa