"Was geschah, ist ein Rätsel" Inzucht ließ Wollhaarmammuts nicht aussterben
27.06.2024, 17:33 Uhr Artikel anhören
Stoßzahn eines Wollhaarmammuts auf der Wrangelinsel.
(Foto: Love Dalén / palaeome.org)
Vor etwa 10.000 Jahren gab es fast keine Mammuts mehr - nur auf einer Insel lebten noch einige wenige. Die hielten noch viele Generationen durch, durch ihre geringe Anzahl mit viel Inzucht. Die war jedoch einem Forschungsteam zufolge nicht die Ursache für ihr Aussterben. Der Grund für ihr Ende: immer noch unklar.
Aus höchstens acht Tieren entwickelte sich einer Studie zufolge die weltweit letzte Population von Wollhaarmammuts. Trotz dieser geringen Zahl seien die Tiere auf der Wrangelinsel vor der sibirischen Küste wohl nicht infolge von Inzucht ausgestorben, berichtet ein Forschungsteam im Fachmagazin "Cell". Vielmehr habe sie wahrscheinlich ein zufälliges Ereignis ausgelöscht - "und wenn dieses zufällige Ereignis nicht stattgefunden hätte, gäbe es heute noch Mammuts", sagte Erstautor Love Dalén vom Centre for Palaeogenetics in Stockholm.
Die letzte Gruppe von Wollhaarmammuts (Mammuthus primigenius) war vor etwa 10.000 Jahren auf der Wrangelinsel nach und nach isoliert worden, als der Meeresspiegel anstieg und so die Insel vom Festland abschnitt. Die Tiere, die in den folgenden 6000 Jahren noch dort lebten, stammten der neuen Analyse zufolge von maximal acht Mammuts ab. Die Zahl wuchs dann innerhalb von 20 Generationen auf 200 bis 300 Individuen an, wie die Forschenden berichten. Vor etwa 4000 Jahren starb die Art aus.
Proben aus letzten 50.000 Jahren der Mammuts

3D-Grafik eines Wollhaarmammuts: Die Art wurde Forschern zufolge "wahrscheinlich durch ein zufälliges Ereignis ausgelöscht", möglicherweise eine Epidemie.
Das Team um Dalén hatte die Genome von 21 Wollhaarmammuts analysiert - 14 von der Wrangelinsel und 7 von der zeitlich zuvor lebenden Festlandpopulation. Insgesamt umspannten die Proben die letzten 50.000 Jahre der Existenz des Wollhaarmammuts und zeigten, wie sich die genetische Vielfalt der Art in diesem Zeitraum veränderte.
Im Vergleich zu ihren Vorfahren auf dem Festland wiesen die Genome der Mammuts von der Wrangelinsel Anzeichen von Inzucht und geringer genetischer Vielfalt auf, erläutern die Wissenschaftler. Betroffen waren demnach unter anderem die Gene für den sogenannten MHC-Komplex, der bei Wirbeltieren eine entscheidende Rolle bei der Immunabwehr spielt.
Populationsgröße bis zum Ende stabil
Zwar habe die genetische Vielfalt der Population in den 6000 Jahren Inselleben stetig abgenommen, das aber sehr langsam, heißt es in der Studie. Das deute darauf hin, dass die Populationsgröße bis zum Schluss stabil blieb. Es sei also nicht so gewesen, dass eine immer stärker verringerte Fitness die Gruppe immer weiter schwinden ließ. "Wir können die Idee, dass die Population einfach zu klein war und sie aus genetischen Gründen zum Aussterben verurteilt waren, nun getrost zurückweisen", ist Dalén überzeugt.
Allmählich hätten sich bei den Tieren über die insgesamt gut 200 Generationen hinweg schädliche Mutationen angehäuft - allerdings nur mäßig schädliche. Die schädlichsten Mutationen seien hingegen langsam ausgemerzt worden. "Wenn ein Individuum eine extrem schädliche Mutation hat, ist es im Grunde nicht lebensfähig, sodass diese Mutationen im Laufe der Zeit allmählich aus der Population verschwanden", erklärte der Evolutionsgenetiker.
Wichtige Hinweise für Erhaltungsprogramme für seltene Arten
Das erfasste Anhäufen mäßig schädlicher Mutationen wiederum biete wichtige Hinweise für heutige Erhaltungsprogramme für seltene Arten: Es reiche nicht aus, eine Population nur wieder auf eine annehmbare Größe zu bringen. Denn eine zahlenmäßige Erholung gehe nicht zwingend auch mit genetischer Erholung einher. Vielmehr könne sich eine eingeschränkte Vielfalt über Jahrtausende hinweg halten, wie das Beispiel der Insel-Mammuts zeige.
Die letzten 300 Jahre der Existenz der Wollhaarmammuts würden von den berücksichtigten Proben nicht abgedeckt, heißt es von den Forschenden auch. "Was am Ende geschah, ist immer noch ein Rätsel - wir wissen nicht, warum sie ausstarben, nachdem es ihnen 6000 Jahre lang mehr oder weniger gut ging, aber wir glauben, dass es etwas Plötzliches war", sagte Dalén.
Epidemie denkbar
Denkbar sei eine Epidemie. Am Menschen jedenfalls habe es in diesem Fall eher nicht gelegen - der sei nach derzeitigem Kenntnisstand erst vier Jahrhunderte nach dem Verschwinden der Mammuts auf der Insel angelangt.
Die Forscher haben inzwischen auch Fossilien aus der letzten Periode der Mammuts ausgegraben und planen, sie genetisch zu analysieren. "Ich würde sagen, es besteht noch Hoffnung, herauszufinden, warum sie ausgestorben sind", so Dalén.
Quelle: ntv.de, Annett Stein, dpa