Zwei Seiten einer Buchmesse China übernimmt Frankfurt
13.10.2009, 09:41 Uhr
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Desaströser kann eine Bücherschau kaum starten. Zensurvorwürfe, Ausreiseverbote und Interventionen der chinesischen Ehrengäste überschatten die Eröffnung der Frankfurter Buchmesse. Der angestrebte Dialog droht im Eklat zu enden. Doch es gibt auch positive Stimmen.

Bundespräsident Horst Köhler empfängt Chinas "Kronprinzen" Xi Jinping, der auch die Buchmesse eröffnet.
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"Tradition und Innovation" lautet das Motto der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, die heute von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem chinesischen Vize-Präsidenten und möglichen zukünftigen Staats- und Parteichef Xi Jinping eröffnet wird. Das Thema meint den Ehrengast China, der sich ausführlich in der Messestadt präsentieren wird. Fast 1000 Schriftsteller und Künstler kündigt die Buchmesse für die vielfältigen Veranstaltungen an, 300 Verlage und Literaturagenten sind vertreten. Sie sollen einen "umfassenden Einblick in die Vielfalt der chinesischen Kultur des modernen Chinas" geben. Doch dies ist so nicht ganz richtig.
Denn vor allem werden die Künstler und Schriftsteller einen Einblick in die chinesische Kultur geben, die der obersten Zensurbehörde des Landes genehm ist. Ausgerechnet die staatliche Verwaltung für Presse und Publikationen ist Partner der Buchmesse und damit offizieller Mitorganisator. In China entscheidet sie, wer was veröffentlichen darf. In Deutschland entscheidet sie mit, wer China auf der Buchmesse offiziell repräsentieren, wer auf Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen der Organisatoren auftreten darf und welche Themen dabei zur Sprache kommen. Nicht umsonst wurden Einladungen an chinesische Autoren über die Zensurbehörde versandt. "Pekinger Buchmesse, diesmal zu Gast in Frankfurt", spottete bereits die "Süddeutsche Zeitung". Es ist von vornherein klar, dass zumindest die offiziellen Programmpunkte zur Zufriedenheit des Gastlandes ablaufen werden.
"Absurder" Beginn der Buchmesse
Das Vorspiel zur Buchmesse hätte gar nicht desaströser ausfallen können. Der Wirbel um das China-Symposium im September hatte dem Image der Buchmesse bereits im Vorfeld schwer geschadet. Die Ausladung der regimekritischen Aktivistin Dai Qing und des Exilschriftstellers Bei Ling geschah auf Druck der chinesischen Seite. Als beide trotzdem anreisten – als Gäste freilich, nicht als Teilnehmer – und die Bühne betraten, verließ die chinesische Delegation den Saal. Als "absurd" bezeichnete Bei Ling die Veranstaltung, es sei "zu keiner wirklichen Diskussion gekommen". Viel eher sei es eine "Propagandaveranstaltung für die chinesische Erfolgsgeschichte" geworden. Sollte sich während der Messe ähnliches abspielen, wäre der Eklat perfekt.

Die chinesische Delegation mag nicht dabei sein: Bei Ling (l) und Dai Qing auf dem China-Symposium.
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Dabei hätten die Verantwortlichen von einem ähnlichen Vorfall lernen können. Auch bei der Pariser Buchmesse 2004 war China Ehrengast, auch hier übte das Pekinger Regime Druck auf die Veranstalter aus und griff so kräftig in die Organisation ein. Etwa vierzig Schriftsteller reisten aus dem Land der Mitte an. Ausgerechnet der in Paris im Exil lebende Literaturnobelpreisträger Gao Xingjian wurde nicht eingeladen. Die Begründung: Der Autor könne gar nicht zur chinesischen Delegation gehören, da er in Frankreich lebe, ja sogar die französische Staatsbürgerschaft besitze – dorthin war er 1987 als politischer Flüchtling gegangen. Die Vergabe des Nobelpreises an Xingjian hatte Peking im Jahr 2000 auf ähnlich krude Weise kritisiert: Er sei in China zu unbekannt, man hätte lieber einen in China lebenden Schriftsteller auszeichnen sollen. Auch in Frankfurt wird es an solchen Reden nicht fehlen. Wer als Chinese gelten darf, möchte Peking gern selbst bestimmen.
Ausreise verweigert

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Bereits nach dem Debakel um das Symposium war die deutsche Seite um Schadensbegrenzung bemüht. Messe-Direktor Juergen Boos versuchte zu beschwichtigen, zunächst wegen der Ausladung der Dissidenten, dann entschuldigte er sich bei den chinesischen Repräsentanten für die nicht geplante Provokation. Er versprach, auf der Messe auch kritische Stimmen zuzulassen. Denn erklärtes Ziel der Buchmesse ist es, verschiedenen Sichtweisen Raum zu geben, um so einen Dialog anzustoßen – zwischen offiziellen chinesischen Vertretern, internationalen Verlagen und Autoren und ebenso Exilchinesen und Regimekritikern. Auf dem Symposium ist dieser Wunsch alles andere als in Erfüllung gegangen. Nun kommt es auf die Messe an.

Messe-Chef Boos beschwichtigt die chinesischen Gäste, verspricht aber auch, Kritiker zu Wort kommen zu lassen.
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Zuletzt wurde auch dem Regimekritiker Liao Yiwu die Ausreise zu den Asien-Pazifik-Wochen in Berlin verweigert. Auch nach Frankfurt darf Yiwu wohl nicht kommen. Boos erklärte daraufhin, es sei sehr bedauerlich, wenn kritische Stimmen zu China nicht nach Deutschland kommen könnten. Man werde sich dafür einsetzen, "dass dies möglich ist", so Boos. "Jede Stimme, die nicht ausreisen darf, ist eine Stimme zu wenig."
Ein Balanceakt
Die chinesischen Gäste werden sich nicht provozieren lassen, werden die offene Konfrontation scheuen. Sie werden wieder den Saal verlassen, wenn Kritik geübt wird, geächtete Autoren die Bühne betreten oder unliebsame Themen wie Menschenrechte, Zensur und Tibet zur Sprache kommen. Die deutschen Gastgeber werden verhindern wollen, dass es zu einem Eklat kommt. Es ist ein Balanceakt, dessen sind sich auch die deutschen Veranstalter bewusst.
Wohl oder übel wird es ein Nebeneinander zweier Veranstaltungsreihen geben. Zum einen wird sich China auf eigene Weise präsentieren, wird Autoren, Literatur und Kultur vorstellen. Wobei auch in der offiziellen Delegation Schriftsteller zu finden sind, die Kritik an den Missständen der chinesischen Gesellschaft üben, an Korruption und Geldgier und selbst an den Folgen der Kulturrevolution.
Ai Weiwei sagt ab
Zum anderen werden unter anderem Verlage und Nichtregierungsorganisationen Exilschriftstellern und Dissidenten eine Plattform geben. Im besten Fall werden diese kritischen Autoren und Künstler die Möglichkeit erhalten, den Teil chinesischer Literatur und Kultur darzustellen, den die offizielle Seite ausblendet. Geladen sind Nobelpreisträger Xingjian, aber auch Vertreter des Dalai Lama und Taiwans sowie die Führerin der uigurischen Minderheit. Abgesagt hat dagegen einer der bekanntesten chinesischen Künstler und Regimekritiker: Der Künstler Ai Weiwei muss sich noch von einer Kopfoperation in München erholen, die nötig war, nachdem er bei Recherchen in China von Polizisten verprügelt wurde. Zudem, teilte er der "Süddeutschen Zeitung" mit, habe er "nicht wirklich Lust auf leere und sinnlose politische Debatten".
Es ist eine schwierige Buchmesse, die aber auch Chancen bietet. So zeigt sich der deutsche PEN-Generalsekretär Herbert Wiesner sogar etwas optimistisch. "Wir haben es auch mit einer Buchmesse zu tun, die der gesamten chinesischen Literatur die Möglichkeit gibt, vertreten zu sein", sagt er. Vorgestellt würden etwa die Bücher zahlreicher chinesischer Exilautoren. Und Boos verweist darauf, dass eine Vereinbarung mit China "absolute Meinungsfreiheit" bei der Buchmesse vorsehe. An Demonstrationen werde alles zugelassen, "was in Deutschland erlaubt ist", so Boos. Die deutsche Amnesty-International-Generalsekretärin Monika Lüke begrüßt ausdrücklich, dass China als Gastland in Frankfurt sei. "Es ginge den chinesischen Schriftstellerin keinen Deut besser, wenn es die Buchmesse nicht gäbe", so Lüke. Wichtig sei jedoch, dass die Messe als Forum genutzt werde und auch verfolgten Autoren eine Stimme gebe.
"Tradition und Innovation", zwei Seiten einer Medaille – nur dass sich die Veranstalter dies wohl etwas anders vorgestellt haben.
Quelle: ntv.de, mit dpa