NSU-Prozess hat begonnen Der Rechtsstaat muss sich beweisen
06.05.2013, 19:26 Uhr
Beate Zschäpe ist die Hauptangeklagte in dem Verfahren.
(Foto: dpa)
Die Mordserie der Terrorzelle NSU hat Deutschland erschüttert: Zehn Menschen sollen die Neonazis erschossen haben. Fünf Angeklagte stehen nun vor Gericht. Doch es wäre zu kurz gedacht, die Aufarbeitung der NSU-Taten jetzt ausschließlich von den Münchener Richtern zu erwarten.
Erstaunlich unspektakulär hat in München das Mammutverfahren um die beispiellose Verbrechensserie des NSU begonnen. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wird nicht an Händen und Füßen gefesselt in den Gerichtssaal geführt. Vor dem Gerichtsgebäude versammeln sich auch nicht Tausende von Demonstranten. Das Verfahren, das viele einen der bedeutendsten Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik nennen, nimmt einfach mit der Feststellung der Personalien der fünf Angeklagten seinen Lauf. Die Verteidigung stellt Befangenheitsanträge. Das Gericht vertagt sich.
Was auf den ersten Blick beinahe banal erscheint, ist eine der größten Leistungen überhaupt. Trotz aller Debatten im Vorfeld des Prozesses kommt es nun darauf an, ein juristisch einwandfreies Verfahren zu führen, mit Unschuldsvermutung und ohne Vorverurteilung. An jedem einzelnen Verhandlungstag werden die beteiligten Anwälte Fragen und Anträge stellen. Das ist ihre Aufgabe - und zwar unabhängig davon, ob sie Angeklagte oder Nebenkläger vertreten.
Es ist zutiefst verständlich, wenn der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, die Beschuldigten sollten zur Höchststrafe verurteilt werden. Es ist auch nachvollziehbar, wenn die Angehörigen der Opfer umfassende Aufklärung über die Hintergründe des Neonazi-Terrors verlangen. Doch ohne die Feststellung der individuellen Schuld jedes einzelnen Angeklagten wird es keine Strafe geben.
Viel juristisches Schwarzbrot
Deshalb steht das Gericht in den kommenden Monaten, wahrscheinlich Jahren, vor der gigantischen Aufgabe, jede nur erdenkliche Spur zu sichten, jeden Zeugen sorgfältig zu befragen und jedes Indiz akribisch unter die Lupe zu nehmen. Nur so wird sich die ambitionierte Anklage der Bundesanwaltschaft am Ende möglicherweise beweisen und jeder Zweifel ausräumen lassen.
Das wird für die sensibilisierte Öffentlichkeit nicht immer leicht auszuhalten sein. Was wird geschehen, wenn Beate Zschäpe wirklich monatelang schweigt, wie es ihr ihre Anwälte geraten haben? Für die Richter wird es dann nicht einfacher, ihr die Taten nachzuweisen, deren sie angeklagt ist. Aber das wird nichts daran ändern, dass die Justizbehörden alles daran setzen werden, eine klare Beweisführung zu erreichen. Denn nur, wenn die Schuld der Angeklagten zweifelsfrei belegt ist, kann ein Urteil am Ende Bestand haben.
Das Gericht wird viel erklären müssen
Die rechtswissenschaftlich weniger firme Öffentlichkeit wird noch so manchen juristischen Schachzug sehen und akzeptieren müssen, dass das deutsche Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung Dinge erlauben, die mit Moral und Anstand nicht immer zu vereinbaren sind - der erste Prozesstag, an dem noch nicht einmal die Anklage verlesen werden konnte, hat hier bereits einen Vorgeschmack gegeben. Doch all das gehört zu einem rechtsstaatlichen Verfahren und macht eben den entscheidenden Unterschied zu Willkür und Unrechtssystemen. Die Aufgabe des Gerichts wird es auch sein, die Vorgänge im Gerichtssaal immer wieder zu erläutern.
Doch gerade weil ein Prozess so strengen Regeln folgt, ist es umso wichtiger, dass die Aufarbeitung an anderer Stelle weiter geht. Noch immer werden in den verschiedenen Untersuchungsausschüssen Vorgänge im Zusammenhang mit dem NSU offenbar, die einen schaudern lassen. Es ist auch ein Akt der Verzweiflung, wenn die Angehörigen der Opfer in München nach Aufklärung rufen. Doch es ist nicht Aufgabe der Richter, sondern der Ermittlungsbehörden und Nachrichtendienste, endlich alle Fragen zu beantworten. Das ist dann auch dem NSU-Prozess zuträglich. Und auch hier kann der Rechtsstaat klare Zeichen setzen.
Quelle: ntv.de