Krebsfälle im Asse-Landkreis IPPNW widerspricht Regierung
06.12.2010, 16:32 Uhr
Ein Dosimeter zur Messung einer Strahlungsdosis in der Schachtanlage Asse.
(Foto: dpa)
Die Bundesregierung ist überzeugt: Zwischen dem erhöhten Anstieg von Krebsfällen in der Region Asse und der Lagerung von Atommüll besteht kein Zusammenhang. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW sieht das anders. Sie weist darauf hin, dass in der Asse-Region deutlich weniger Mädchen geboren werden.
Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW widerspricht der jüngsten Einschätzung der Bundesregierung, die vermehrten Krebsfälle in der Asse-Region seien rein . Zugleich ruft der IPPNW zu Vorsicht auf. "Solange sich die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse des Strahlenschutzes nicht mit den Ergebnissen zahlreicher epidemiologischer Studien decken, muss das Vorsorgeprinzip gelten", forderte IPPNW-Arzt Reinhold Thiel.
Unterschätzt wird nach Ansicht von IPPNW die Gefährdung durch das radioaktive Isotop Tritium. Greenpeace hatte 2009 in der Abluft des Atommülllagers Asse in unabhängigen Messungen erhöhte Tritium-Werte festgestellt. Tritium ist von normalen Wasser nicht zu unterscheiden und kann - einmal im Körper eingelagert - gesundheitliche und genetische Schäden auslösen. Es entsteht vor allem bei der Kernspaltung in Atomkraftwerken und kann laut IPPNW auf Grund seiner extrem kleinen Molekülgröße praktisch gar nicht zurück gehalten werden. "Die Tritium-Abluftwerte müssen wie die Abluftwerke der anderen radioaktiven Isotope der kritischen Forschung öffentlich gemacht werden", erklärt Thiel. Das gelte sowohl für die Asse-Abluft als auch für die Abluft an den Kaminen der Atomkraftwerke.
Zugleich gab die Organisation bekannt, dass während des Betriebs des Atommülllagers Asse in der Region neben den schon bekannten gehäuften Krebsfällen bei Erwachsenen nun auch deutlich zu wenig Mädchengeburten festgestellt worden seien. Dieses Ergebnis sei signifikant, den Zufall als Ursache anzunehmen, erscheine extrem unwahrscheinlich. Die IPPNW wertet die fehlenden Mädchengeburten als weiteren deutlichen Hinweis auf mögliche biologische Auswirkungen in der Asse-Region.
Eine erst im Oktober 2010 veröffentlichte Studie hatte einen Verlust von Mädchengeburten im Umfeld deutscher und Schweizer Atomanlagen ergeben. Ähnliche Befunde wurden auch nach der Tschernobyl-Katastrophe und als Folge der Fall-Outs der Atombombenversuche festgestellt. Offenbar sind weibliche Keimanlagen strahlenempfindlicher als männliche.
Regierung: Alles nur ein Zufall
Die Bundesregierung hatte am Wochenende einen Zusammenhang zwischen der Lagerung von Atommüll im maroden Endlager Asse und dem Anstieg von Krebsfällen in der Region ausgeschlossen. Sie bringt nach einem Bericht der "Braunschweiger Zeitung" stattdessen statistische Zufälle als Erklärung ins Spiel. Das gehe aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Bundestagsanfrage der Grünen hervor.
Nach Untersuchungsergebnissen der Umgebung könne der Anstieg der Krebsraten in der Samtgemeinde Asse "nicht durch die Strahlenbelastung aus der Asse erklärt werden", zitiert die Zeitung aus der Antwort der Parlamentarischen Umweltstaatssekretärin Ursula Heinen-Esser (CDU). "Um den beobachteten Anstieg mit Strahlung erklären zu können, müsste nach den vorliegenden wissenschaftlichen Kenntnissen über die Entstehung entsprechender Krebserkrankungen die Dosis etwa 10.000 mal höher sein als beobachtet." Die Regierung erläutert in ihrer ersten offiziellen Stellungnahme zu den erhöhten Krebsraten, eine Analyse seltener Krebserkrankungen in einer kleinen Region "unterliegt zwangsläufig starken statistischen Schwankungen". Bei derartigen Auswertungen in einer bestimmten Anzahl von Gemeinden könnten höhere Erkrankungsraten "allein aufgrund des statistischen Zufalls" gefunden werden.
Die Grünen-Bundestagsfraktion äußerte sich enttäuscht. Die Regierung versuche die Sorgen der Menschen vor Ort kleinzureden, sagte die umweltpolitische Sprecherin Dorothea Steiner der Zeitung. Ein Zusammenhang zwischen Atommüll und Krebshäufigkeit in der Umgebung der Asse liege sehr nahe. In der vergangenen Woche war bekanntgeworden, dass in der Umgebung des Endlagers doppelt so viele Leukämie- und dreimal so viele Schilddrüsenkrebsfälle wie im statistischen Mittel aufgetreten waren.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa