Politik

Wer hat gelogen? NSA überwacht alles, immer, überall

Grenzen der Überwachung? Gibt es offenbar kaum.

Grenzen der Überwachung? Gibt es offenbar kaum.

(Foto: REUTERS)

Viel mehr geht nicht: Die Geheimdienstsoftware "XKeyscore" ist Analyseprogramm, Datenbankoberfläche und Echtzeit-Überwachungswerkzeug in einem. Auch für US-Bürger, bis hoch zu Präsident Obama. Das zeigen jetzt veröffentlichte Dokumente. Offenbar hat eine ganze Reihe von Offiziellen gelogen - oder es nicht besser gewusst. Auch in Deutschland.

Viel ist geschrieben und geredet worden über die Allmacht der National Security Agency (NSA), darüber, dass sie alle ausländischen Internetnutzer überwacht, mit Hilfe ausländischer Geheimdienste den Internetverkehr fast komplett abschöpft. US-Bürger sollten nur indirekt betroffen sein. Dementsprechend hielt sich die Empörung in den Vereinigten Staaten in Grenzen, nicht aber in Deutschland. Nun wird klar: Die Amtsträger haben gelogen. Wissentlich oder unwissentlich. Das NSA-Programm "XKeyscore" ist Angaben des "Guardian" zufolge viel mächtiger als bislang angenommen.

Die britische Nachrichtenseite stellte eine weitere NSA-Präsentation der Software online, die einen praktisch unbegrenzten Zugriff des US-Geheimdienstes auf Internetdaten der Menschen weltweit zeigt. Dazu gehören auch Bürger der USA, in welcher Position auch immer. Es braucht nicht mehr als eine E-Mail-Adresse, und die umfassende Ausspähung kann beginnen. Aber auch andere Ansatzpunkte sind möglich - etwa eingegebene Suchbegriffe auf einer beliebigen Website.

Mitarbeiter haben freie Hand

Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden hatte bereits Anfang Juni gesagt, er - oder jeglicher Mitarbeiter mit Zugriff auf das Programm, angeblich über 800.000 Personen - hätte auch US-Präsident Barack Obama belauschen können, wenn er dessen E-Mail-Adresse gewusst hätte. Dies war von US-Offiziellen dementiert worden. "Er lügt", hatte der Geheimdienstausschussvorsitzende des US-Repräsentantenhauses gesagt. Es sei "unmöglich für ihn, das zu tun." Entweder war der Politiker der Republikaner also falsch informiert - oder er log selbst.

Die aktuelle Enthüllung kam erneut vom in Brasilien lebenden US-Journalisten Glenn Greenwald, der mit Snowden zusammenarbeitet. Geheimdienstmitarbeiter können der "XKeyscore"-Präsentation zufolge in "enormen Datenbanken" der NSA nach Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Schlagworten suchen. Für die einzelnen Anfragen bräuchten sie keine gesonderte Zustimmung eines Richters oder eines anderen NSA-Mitarbeiters, schreibt der "Guardian". Es liegt demnach also im Ermessen jedes Einzelnen, wem er hinterherspioniert.

Echtzeitüberwachung integriert

Auch die Beobachtung der Internetaktivität eines beliebigen Nutzers in Echtzeit sei mit "XKeyscore" möglich. Gibt der Mitarbeiter also etwa die E-Mail-Adresse eines Diplomaten oder Ministers ein, kann er zusehen und mitlesen, was dieser in diesem Moment im Netz so treibt, welche Interna er mit seiner Regierung bespricht oder wie er erpressbar sein könnte. Das Gleiche gilt für Privatpersonen, Unternehmen und jeden anderen, der im Internet kommuniziert.

Aus der NSA-Präsentation entfernt sind Seiten, die Details zu konkreten Geheimdiensteinsätzen enthalten. Zusammenfassend heißt es darin: Der US-Geheimdienst könne auf "fast alles, das ein typischer Nutzer im Internet tut" zugreifen.

Deutsches Unwissen

In Deutschland dürfte damit die Diskussion um Prism und Co. weiter Fahrt aufnehmen. So hatte Innenminister Hans-Peter Friedrich, der spätestens seit seiner Reise nach Washington und seinem Aufklärungsversuch keine besonders glückliche Figur im NSA-Skandal macht, noch vor wenigen Tagen relativiert, die Nachrichtendienste filterten die Kommunikation lediglich; eine "personenscharfe" Aufklärung sei technisch nicht möglich. Er lag falsch.

Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen sah die Vorwürfe gar als erledigt an, "Verfehlungen" des BND gebe es keine. Was es jedoch mit dem NSA-Vermerk auf sich hat, der deutsche Geheimdienst habe "daran gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen [..], um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienst-Informationen zu schaffen", bleibt im Dunkeln.

Stimmungsumschwung in den USA?

In der US-Bevölkerung hatte sich bereits vor den aktuellen Enthüllungen ein Stimmungswechsel abgezeichnet: Erstmals, seit die entsprechende Umfrage vor zehn Jahren erstmals durchgeführt wurde, sagte die Mehrheit der US-Amerikaner, dass Bundesgerichte in den Vereinigten Staaten die Überwachung nicht genug begrenzten. Zudem glauben die Bürger ihrer Regierung nicht, dass die gesammelten Daten nur zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden.

Die US-Geheimdienste stehen nun noch mehr unter dem Druck des Kongresses. Erst vor wenigen Tagen verhinderte das US-Parlament mit knapper Mehrheit den Stopp der Gelder für einen Teil der Überwachungsprogramme, die nach 9/11 als Teil des Patriot Act eingeführt wurde. Allerdings hieß es da noch, dass US-Bürger - inklusive Präsident Obama - von der Generalüberwachung nicht betroffen seien. Den USA stehen turbulente Tage bevor.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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