Deutscher Hilfseinsatz in Libyen? Regierung: Bodentruppen möglich
08.04.2011, 08:04 Uhr
Panzerwracks vor Adschdabija.
(Foto: dpa)
Die schwarz-gelbe Bundesregierung schließt den Einsatz von Bodentruppen in Libyen nicht aus, sollte es zu einem humanitären Hilfseinsatz kommen. Ein Kurswechsel sei das aber nicht, betont ein Sprecher. Die Kritik der Opposition an dem "Schlingerkurs" ist trotzdem heftig. Derweil legt die Türkei einen Friedensplan für Libyen vor.
Die Bundesregierung schließt einen Bodeneinsatz deutscher Soldaten bei einem humanitären Hilfseinsatz in Libyen nicht aus. Für den Fall einer deutschen Teilnahme sei "es doch ganz klar, dass man dann den Fuß auf libyschen Boden setzen würde", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Er hob aber hervor, dies sei alles bislang sehr spekulativ, zumal noch gar keine UN-Anfrage für einen derartigen Einsatz vorliegt.
"Die Initiative muss von der UNO ausgehen", betonte auch Regierungssprecher Steffen Seibert. Er bekräftigte, wenn eine Anfrage zur militärischen Sicherung eines Hilfseinsatzes von der UNO an die EU gestellt werde, habe die Bundesregierung ja bereits ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, "der deutschen Verantwortung gerecht zu werden". Ob das Mandat für einen solchen Einsatz am kommenden Mittwoch Thema im Kabinett sein wird, ist laut Seibert noch offen. Seiber bestritt zugleich Vorwürfe, dass die Bundesregierung eine außenpolitische Kehrtwende hinlege. "Unsere Haltung war immer, dass Deutschland sich nicht an militärischen Kampfeinsätzen in Libyen beteiligen wird." Diese Haltung gelte weiterhin. Bei dem möglichen Bundeswehreinsatz gehe es stattdessen um humanitäre Hilfsmaßnahmen wie medizinische Versorgung. "Das ist ein vollkommen anderer Ansatz als der Ansatz des militärischen Kampfeinsatzes."
Opposition kritisiert Schlingerkurs
Die rot-grüne Opposition signalisierte grundsätzlich ihre Zustimmung zu einem Hilfseinsatz, kritisierte aber den "Schlingerkurs" der Bundesregierung. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte der "Saarbrücker Zeitung": "Die Lage der Zivilbevölkerung in Libyen ist dramatisch, und selbstverständlich muss man Mittel und Wege finden, Hilfsgüter dahin zu bringen." Es sei jetzt Aufgabe der Bundesregierung, möglichst schnell Klarheit über ein mögliches Mandat zu schaffen. Allerdings sei der geplante Einsatz "die dritte Kehrtwende der deutschen Außenpolitik in drei Wochen".
Die Grünen warfen der Bundesregierung einen "Schlingerkurs" vor. Erst schließe die Regierung jedes militärische Engagement aus und ziehe Schiffe aus dem Nato-Verband im Mittelmeer ab. "Nun legt sie eine scharfe Wende hin und will sich anscheinend an einer europäischen Militärmission beteiligen", sagte Frithjof Schmidt, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion.
EU-Kampftruppen geplant?
Außenminister Guido Westerwelle hatte am Donnerstag nach wochenlangem Zögern die Bereitschaft Deutschlands erklärt, die Bundeswehr an einer EU-Hilfsmission zu beteiligen. Er nannte medizinische Versorgung und Schutz von Flüchtlingstransporten als mögliche Aufgaben deutscher Soldaten. Die Bundesregierung favorisiert die Entsendung der sogenannten EU-Kampfgruppen (Battlegroups). Dabei handelt es sich um schnelle Eingreiftruppen, die vor wenigen Jahren für Blitzeinsätze in Krisensituationen gebildet wurden. Derzeit sind zwei dieser Verbände mit jeweils 1500 Soldaten abrufbereit. Deutschland stellt in einer davon nach Angaben des Verteidigungsministeriums 990 Soldaten - Sanitäter, Feldjäger, Pioniere und Personal zur Führungsunterstützung.
Für den Einsatz sind eine Anfrage der Vereinten Nationen bei der EU und ein Bundestagsmandat notwendig. Der außenpolitische Sprecher der Union, Philipp Mißfelder, hat keinen Zweifel an der Zustimmung des Parlaments. Er sehe Deutschland "in einer moralischen Verpflichtung", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Sein FDP-Kollege Rainer Stinner sagte, durch einen humanitären Einsatz könne Deutschland auch Zweifel an seiner Solidarität im Bündnis zerstreuen.
Der Bundeswehrverband warnte allerdings vor einer Einsatzbeteiligung. Es sei nur schwer nachzuvollziehen, wie diese Pläne zu der bisherigen Linie Deutschlands passen, sich an keinem Militäreinsatz zu beteiligen. Das sagte der Vorsitzende Ulrich Kirsch. Er forderte von der Bundesregierung Klarheit über deren Libyen-Pläne und warnte, dass man ohne eindeutige Exit-Strategie Gefahr laufe, auf eine Rutschbahn zu geraten. "Wir müssen aufpassen, dass nicht aus einer Hilfsmission ein militärisches Abenteuer mit unabsehbaren Folgen wird."
Türkischer Friedensplan
Derweil hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erste Vorschläge für einen "Friedens-Fahrplan" für Libyen bekanntgeben. Die Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi müssten ihre Belagerung der von Rebellen kontrollierten Städten beenden und abziehen, ein sofortiger Waffenstillstand müsse in Kraft treten, humanitäre Korridore eingerichtet sowie ein politischer Prozess eingeleitet werden, um auf die Forderungen der Bevölkerung einzugehen, sagte Erdogan im türkischen Fernsehen. Der Demokratisierungsprozess müsse sofort beginnen.
Die Konfliktparteien begrüßten den türkischen Friedensplan. Allerdings bestehen die Aufständischen weiterhin darauf, dass Gaddafi das Land verlässt. Der Vorsitzende des libyschen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, sagte dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira, die Aufständischen seien bereit, diesen Plan umzusetzen, falls Gaddafi und seine Familie das Land verlassen sollten. Auch in Tripolis reagierte man zunächst positiv auf den Vorschlag, der die humanitären Aspekte der Libyen-Krise in den Vordergrund stellt.
US-Militär skeptisch
Die Aufständischen haben nach Ansicht eines US-Militärs kaum Chancen, Gaddafi zu besiegen. "Ich würde die Wahrscheinlichkeit als gering einschätzen", sagte der Chef des US-Afrika-Kommandos (Africom), General Carter Ham, in einer Kongressanhörung in Washington. Die Aufständischen sind seiner Ansicht nach selbst mit der Nato-Unterstützung nicht stark genug, um die Hauptstadt Tripolis stürmen und das Regime stürzen zu können.
Der Kampf sei derzeit festgefahren, was auch daran liege, dass Gaddafis Truppen ihre Taktik verändert hätten, um Luftschlägen des internationalen Bündnisses aus dem Weg zu gehen. "Sie operieren nun zu großen Teilen in zivilen Fahrzeugen", sagte Ham. Das mache sie vor allem dann schwerer als Ziele erkennbar, vor allem, weil sie mit den Oppositionstruppen verwechselt werden könnten.
NATO entschuldigt sich nicht
Eine solche Verwechslung sich wenige Stunden zuvor, als Nato-Kampfflugzeuge am Donnerstag versehentlich einen Fahrzeugkonvoi der Anti-Gaddafi-Milizen bombten und dabei mehr als zehn Aufständische töteten. Nach Angaben von Rebellen fuhr der Konvoi zwischen Adschdabija und Al-Brega in eine Sperrzone und wurde von Nato-Flugzeugen unter Beschuss genommen. Die Nato will die Berichte prüfen. "Aber es ist schwer zu klären, weil wir keine eigenen Leute am Boden haben", sagte ein Nato-Sprecher in Brüssel.
Das Bündnis lehnte eine Entschuldigung ab. "Es scheint, dass unsere Angriffe von gestern den Tod einiger Rebellen zur Folge hatten", sagte der NATO-Kommandeur Russell Harding. "Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen." Zur Begründung führte er an, die Situation vor Ort ändere sich ständig. Zudem sei es Aufgabe der NATO, Zivilisten zu schützen, und Panzer seien in der Vergangenheit wiederholt dazu eingesetzt worden, um Zivilisten anzugreifen. "Wir hatten keine Information darüber, dass der Nationale Übergangsrat oder oppositionelle Kräfte Panzer benutzen", sagte Harding.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP