Soldat in London ermordet Terrorverdächtige waren der Polizei bekannt
23.05.2013, 16:56 Uhr
Abschied von Opfer. Die Polizei hat inzwischen bestätigt, dass der Tote ein Soldat war.
(Foto: AP)
Zwei Männer ermorden im Osten Londons auf brutale Weise einen Soldaten. Augenzeugen sagen sie, es sei eine Rache für den Tod von Muslimen in Afghanistan. Nun wird bekannt, dass die Sicherheitskräfte die Verdächtigen schon zuvor ins Visier genommen hatten. Sie sollen Verbindungen nach Nigeria haben.
Die beiden Terrorverdächtigen, die einen Soldaten im Londoner Stadtteil Woolwich umgebracht haben sollen, waren den Sicherheitskräften in Großbritannien bereits bekannt. Dies bestätigte Premierminister David Cameron nach einer zweiten Sondersitzung des Krisenstabs der Regierung. Weitere Details wollte er mit Verweis auf die noch laufenden Ermittlungen nicht nennen.
Aus Regierungskreisen verlautete, es handele sich um britische Staatsbürger mit Verbindungen nach Nigeria. Sie seien zu einer radikalisierten Form des Islam konvertiert. Es sei aber nicht davon auszugehen, dass sie Kontakt zu radikalen, islamistischen Terrorgruppen wie Boko Haram in Nigeria gehabt hätten. Beide sollen von Anti-Terror-Experten der Polizei verhört werden. Britische Medien berichteten zudem, die Polizei habe die Wohnungen von Verwandten der Männer in London und in einem Dorf nahe der ostenglischen Stadt Lincoln durchsucht.
Die beiden Männer werden verdächtigt, am Mittwochnachmittag im Osten der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs ein Mitglied der britischen Armee auf offener Straße nahe einer Kaserne brutal ermordet zu haben. "Wir können bestätigen, dass der Mann, der gestern in Woolwich starb, ein Soldat war", teilte die Polizei auf Twitter mit. Sein Name werde zunächst nicht veröffentlicht. Damit entspreche man den Wünschen der Familie des Opfers.
"Ich habe ihn getötet, weil er Muslime getötet hat"
Der Soldat war Medienberichten zufolge mit einem Auto angefahren worden. Danach sollen die beiden Verdächtigen ihr Opfer mit Waffen attackiert haben. Dann hätten die beiden Angreifer auf den Soldaten eingestochen und versucht, ihn zu enthaupten, berichteten Zeugen. Das Opfer trug ein T-Shirt mit der Aufschrift "Help for Heroes" (Hilfe für Helden), dem Namen einer Wohltätigkeitsorganisation, die verwundete britische Soldaten unterstützt.
Die Tatverdächtigen wurden von der Polizei angeschossen. Beide werden unter Polizeiaufsicht in verschiedenen Krankenhäusern behandelt. Einer der mutmaßlichen Täter soll in Lebensgefahr schweben. Zudem habe es zwei Durchsuchungen im Stadtteil Greenwich und in der Grafschaft Lincolnshire gegeben.
Es gibt keine international einheitliche Definition von Terrorismus. Verschiedene Sicherheitsbehörden sowie das "Penguine Dictionary of International Relations" beschreiben ihn als den Versuch, mit ungesetzlicher Gewalt oder Drohungen politische Ziele durchzusetzen. Gruppen, die Terrorakte verüben, vertreten teils völlig unterschiedliche politische, ideologische oder religiöse Positionen. Charakteristisch für Terrorismus kann demnach sein:
- ein schonungsloses Vorgehen
- eine Missachtung von humanitären Werten
- der Versuch, möglichst Aufmerksamkeit zu bekommen
- der Versuch, Angst und Chaos zu verbreiten
- Gewalt oder Drohungen gegen eine oder mehrere Personen
- Sachbeschädigung oder Eingriffe in elektronische Systeme
- eine Gefährdung der Allgemeinheit
Die Männer hatten nach der Tat nicht versucht zu flüchten, berichteten Augenzeugen britischen Medien. Offenbar warteten sie auf das Eintreffen der Polizei. In einem Video eines Passanten, das unmittelbar nach der Tat gefilmt worden sein soll, nimmt ein Mann mit einem Messer und einem Fleischerbeil in seinen blutverschmierten Händen sogar Stellung zu der Tat. Er stößt Drohungen aus im Namen Allahs. "Wir schwören bei Allah, dass wir niemals aufhören werden, gegen euch zu kämpfen", ruft er im einheimischen Dialekt. "Dieser britische Soldat ist ein Auge für ein Auge, ein Zahn für ein Zahn", zitierte er das Alte Testament. Zugleich entschuldigte er sich dafür, dass Frauen die Tat mit ansehen mussten. "Aber in unserem Land müssen Frauen das gleiche ansehen", sagte er. "Ihr werdet nie sicher sein, stürzt eure Regierung".
Als Grund für die Attacke gab einer der Verdächtigen Medienberichten zufolge an, dass er den Soldaten für den Tod von Muslimen in Afghanistan verantwortlich mache. "Ich habe ihn getötet, weil er Muslime getötet hat", sagte er einer Augenzeugin laut dem "Daily Telegraph".
Sicherheitsvorkehrungen wurden erhöht
"Wir haben einen mutigen Soldaten verloren", sagte Cameron weiter. Seine Gedanken seien bei der Familie des Opfers. "Großbritannien arbeitet gemeinsam mit seinen internationalen Partnern daran, die Welt vor Terrorismus zu sicher zu machen." Dem Terrorismus seien vor allem Muslime zum Opfer gefallen. Die Sicherheitsvorkehrungen seien aufgrund der Tat erhöht worden. Cameron riet den Bürgern dennoch, sich weiter normal zu verhalten. Dies sei eine der besten Möglichkeiten, Terrorismus zu besiegen.
Bei einem der Täter soll es sich Medienberichten zufolge um einen 28 Jahre alten Londoner handeln. Er sei in der Gegend aufgewachsen und besuche eine Universität im nahen Greenwich, hieß es. Der Überfall ereignete sich am Rande der großen Royal-Artillery-Kaserne im Arbeiterviertel Woolwich, das traditionell eng mit der Armee verbunden ist. Dort leben viele Einwanderer, unter ihnen auch Nigerianer. In Nigeria selbst mit seiner gemischten Bevölkerung aus Christen und Muslimen kämpfen die Behörden seit Jahren gegen einen Aufstand radikaler Islamisten. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die beiden Messer-Attentäter eine Verbindung zu Gruppen in Westafrika hätten, hieß es in nigerianischen Sicherheitskreisen.
Anjem Choudary, einer der angesehensten islamischen Geistlichen in Großbritannien, kannte einen der Täter flüchtig. Seine Freunde hätten ihn "Mujahid" gerufen, Krieger, erinnerte er sich. "Er war bei ein paar unserer Demonstrationen und anderen Veranstaltungen dabei, die wir früher organisiert haben", sagte Choudary. Seit etwa zwei Jahren habe er ihn allerdings nicht mehr gesehen. "Als ich ihn kannte, war er ein netter Mann - er war friedlich, bescheiden und es gab keinen Grund zu vermuten, dass er Gewalt anwenden würde", sagte der Geistliche.
Rechte nutzen Attacke für ihre Zwecke
Der britische Muslimrat verurteilte das Verbrechen scharf. "Nichts rechtfertigt diesen Mord. Barbarische Akte können in keiner Weise mit dem Islam entschuldigt werden", hieß es in einem Statement. Auch Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zeigte sich entsetzt. "Solche Anschläge sind niemals zu rechtfertigen", sagte er in einem Statement. Die britische Innenministerin Theresa May sagte nach der ersten Sitzung des Sicherheitskabinetts, es sein ein Anschlag "auf alle in Großbritannien" gewesen. Königin Elizabeth, die der Londoner Kaserne Ende Mai einen Besuch abstatten wollte, äußerte sich "besorgt" über den Angriff, wie ein Palastsprecher mitteilte.
Indes stieg vor dem vor allem in Deutschland mit Spannung erwarteten Champions-League-Endspiel in London die Terrorangst. Die Sicherheitsvorkehrungen im Umfeld der Kaserne in Woolwich sowie an anderen britischen Militäreinrichtungen wurden verstärkt. Sollte sich der Terrorverdacht erhärten, wäre es der erste nennenswerte Terrorakt auf britischem Boden, seit 2005 bei Anschlägen auf U-Bahnen und Busse 52 Menschen ums Leben gekommen waren. Die Regierung hob die Terrorwarnstufe in London aber zunächst nicht an. Sie bleibt bei "Substanziell". Das deutet darauf hin, dass zum Champions-League-Finale nicht mit erhöhter Terrorgefahr gerechnet wird.
Die Finalteilnehmer Borussia Dortmund und Bayern München erklärten, trotz des Vorfalls ohne Bedenken nach London zu reisen. "Unsere Sicherheitsleute sind bereits in London", sagte Bayern-Mediendirektor Markus Hörwick. Sie stünden in Kontakt mit den dortigen Sicherheitsbehörden. Auch der BVB hält an seinem Ablaufplan fest. "Alles wie geplant. Wir sind ohnehin sehr vorsichtig und haben zum Beispiel niemandem unsere Hotels genannt", teilte Vereinssprecher Sascha Fligge mit.
Nach der Attacke kam es in Großbritannien zu islamfeindlichen Aktionen. Ein 43-Jähriger wurde festgenommen, als er mit einem Messer in eine Moschee in der Hauptstadt eindrang, wie ein Abgeordneter auf Twitter berichtete. Ein zweiter Mann wurde wegen Verdachts auf rassistisch motivierte Sachbeschädigung im Südosten des Landes festgenommen. Laut der BBC stießen zudem etwa 250 Anhänger der rechten Gruppierung mit dem Namen Englische Verteidigungsliga in Woolwich mit der Polizei zusammen.
Quelle: ntv.de, mli/hah/dpa/AFP/rts