Fast alle starten in Libyen Zahl der Flüchtlinge in Italien steigt
21.03.2017, 13:10 Uhr
Flüchtlinge im Hafen Augusta auf Sizilien.
(Foto: REUTERS)
Der Flüchtlingsstrom über die Balkanroute hat stark abgenommen. Über die viel gefährlichere Mittelmeerroute kommen dagegen wieder mehr Flüchtlinge. Libyen soll daher ausgerüstet werden, um die Boote zu stoppen.
Tagtäglich berichten die italienischen Medien über Rettungsaktionen im Mittelmeer. Allein letzten Sonntag wurden 3315 Flüchtlinge gerettet, die von Libyens Küsten aus Richtung Italien ins Meer gestochen waren. Fast täglich berichten die Medien auch über diejenigen, die es nicht geschafft haben. Wer aber glaubt, dass zumindest die Flüchtlinge, die in Italien angekommen sind, den riskantesten Teil ihrer Reise hinter sich haben, der täuscht sich.
Für die meisten ist Italien nur eine Zwischenstation, eine Verschnaufpause. Sie wollen Richtung Norden, nach Deutschland zum Beispiel, und da der Brenner sowohl auf österreichischer wie auf italienischer Seite streng kontrolliert wird, sieht man einige von ihnen auf dem Umweg über den Grenzübergang Tarvis nach Österreich, manchmal sogar zu Fuß, in den Autobahntunneln eng an die Wand gepresst.
Oder sie versuchen es über die Schweiz. Letzten Sonntag haben sich am Comer See italienische und Schweizer Hilfsorganisationen versammelt, um eines 20-jährigen Flüchtlings aus Mali zu gedenken. Er hatte versucht, die Grenze bei Chiasso auf dem Dach eines Zuges zu passieren, und wurde von einem Stromschlag getötet.
Der Flüchtlingsstrom über die Balkanroute hat stark abgenommen, der über die weitaus gefährlichere Mittelmeerroute, von der nordafrikanischen Küste Richtung Sizilien, ist wieder stark angestiegen. Laut italienischem Innenministerium sind in den ersten zweieinhalb Monaten dieses Jahres bis zu 18.000 Flüchtlinge an Süditaliens Küsten gestrandet. Das sind 31 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Und der Andrang im Frühling und Sommer wird wie immer zunehmen. Schätzungen zufolge könnten in diesem Jahr bis zu 250.000 Flüchtlinge in Italien ankommen. Im vergangenen Jahr waren es 180.000, davon 25.772 nicht begleitete Minderjährige.
Libyen soll ausgerüstet werden
Am Montag fand in Rom der erste Flüchtlingsgipfel der neugegründeten Europa-Afrika-Kontaktgruppe statt. Angereist waren die Innenminister von Malta, Frankreich, Deutschland, Österreich, Slowenien, Schweiz, Libyen, Algerien und Tunesien sowie der EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos, und der Ministerpräsident der international anerkannten libyschen Regierung, Fajis al-Sarradsch. Auf der Tagesordnung stand das Anfang Februar von Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni vereinbarte bilaterale Abkommen zwischen Italien und Libyen.
Von Libyens Küste stechen 90 Prozent der Flüchtlingsboote ins Wasser. Der Aufbau einer fähigen Küstenwache zur Bekämpfung der Schleuserbanden gehört zu den Prioritäten des bilateralen Abkommens. Doch Libyen, ein noch immer sehr instabiles Land, muss für diese Aufgabe ausgestattet werden. Und so soll, schreibt die Tageszeitung "Corriere della Sera", die Regierung von al-Sarradsch Italien schon vorige Woche eine Liste mit der benötigten Ausstattung übergeben haben. Darunter Schiffe, Hubschrauber, Geländewagen, Fahrzeuge, Rettungswagen, Kontrollzentralen. Alles zusammen Vorrichtungen im Gesamtwert von ungefähr 800 Millionen Euro. Die EU, in deren Einvernehmen Italien das Abkommen ausgehandelt hatte, hat bereits 200 Millionen ausgezahlt, doch die Summe reicht bei Weitem nicht. Ein weiterer Betrag soll daher aus einem eigens eingerichteten Afrika-Topf kommen.
Damit Italien, wie so oft in der Vergangenheit, nicht wieder allein vor dem Problem steht, hat Innenminister Marco Minniti darauf hingewiesen, dass die Migrationsbewegung noch Jahre anhalten wird. "Es ist ein epochales Ereignis", sagte Minniti, "man muss für einen nachhaltigen Ansatz sorgen". Davon hänge nicht nur Italiens Zukunft, sondern die von ganz Europa ab.
Konkret haben die Gipfel-Teilnehmer folgende Schritte vereinbart: Eine Gruppe von 90 Leuten wird für die Küstenwache ausgebildet; Ende April, Anfang Mai will Italien dann die ersten zehn Motorboote den Libyern übergeben. Weiter soll die Entsendung der nötigen Materialien - darunter auch Drohnen, um die Südgrenze Libyens zu überwachen - zügig vorangehen.
Künftig soll es die Aufgabe der libyschen Küstenwache sein, Boote zu orten und die Menschen dann zurück in die - sehr umstrittenen - libyschen Aufnahmelager zu bringen. Die Überwachung der Küste und die Bekämpfung der Schleuserbanden ist aber nur ein Teil des Abkommens. Genauso wichtig wertet der italienische Regierungschef Gentiloni die Stabilisierung Libyens und den kräftigen Ausbau der Entwicklungshilfe. Denn nur die Armutsbekämpfung wird die Menschen davon abhalten, sich auf die Suche nach einem besseren Leben zu machen.
Quelle: ntv.de