Person der Woche Kramp-Karrenbauer - Die clevere Hebamme
28.10.2014, 12:38 Uhr
Die Ministerpräsidentin des Saarlandes bringt einen mutigen Plan auf die politische Agenda: Kleine Bundesländer sollten fusionieren. Tatsächlich braucht Deutschland eine Reform seiner teuren Bundeslandstruktur.
"Wenn ich kein Abitur gemacht hätte, wäre ich Hebamme geworden", sagt Annegret Kramp-Karrenbauer über ihren Lebensweg, der sie eher zufällig in die Politik geführt hat. Denn eigentlich wollte sie - nachdem sie das Abitur schließlich hatte - Lehrerin werden. Dann aber verwehrte ihr eine "Lehrerschwemme" den Einstieg in den Job.
Die Ministerpräsidentin des Saarlandes ist also Überraschungen gewohnt. Sie gilt als flexibel, unaufgeregt und für Neues offen. So wurde sie überraschend die erste Innenministerin Deutschlands, und sie führte eine überraschend neue und überraschend schnell gescheiterte Jamaika-Koalition ebenso wie eine überraschend friedliche Große Koalition. Da die Überraschung also ein Freund von AKK (so nennt man sie im Saarland gerne) ist, wagt sie auch von sich aus zuweilen verblüffende Vorstöße. Ihre eigene Partei erschrickt sie alle paar Monate mit linken Vorschlägen für einen höheren Spitzensteuersatz, für Mindestlöhne und die Frauenquote.
Nun überrascht sie gar das gesamte politische Establishment der Republik. Denn ausgerechnet die Ministerpräsidentin des Saarlandes hält eine Abschaffung des Saarlandes für erwägenswert. Man solle über eine radikale Neuordnung der Bundesrepublik nachdenken, falls es bei der Reform des Finanzausgleichs zu keiner Entlastung der armen Länder komme. Die Kleinen könnten alleine schlichtweg nicht überleben. Sechs oder acht Bundesländer anstelle der bisherigen 16 dürften hingegen die Schwierigkeiten der armen Bundesländer lösen, sagte sie der "Süddeutschen Zeitung". Die Überraschung sitzt!
Geld oder Existenz
Für die einen ist Kramp-Karrenbauers Vorschlag reine Fantasie, weil es in der verkrusteten Pfründe-Politik Deutschlands ohnedies nicht zu einer Neuordnung der Bundesländer kommen werde. Andere sehen in dem ungewöhnlichen Vorstoß vor allem eine clevere Taktik der Ministerpräsidentin. Sie wolle bei der anstehenden Neuordnung des deutschen Finanzausgleichs möglichst viel für das Saarland herausholen - und lege schon mal den Strick auf den Tisch.
Das Saarland werde laut Kramp-Karrenbauer - sie verschweigt die jahrzehntelange, unverantwortliche Schuldenpolitik - vor allem durch Schulden aus der Zeit der Krise der Bergbau-Industrie belastet, außerdem zahlten viele Arbeitnehmer des Saarlandes ihre Steuern in Frankreich oder Luxemburg. Im Finanzausgleich der Länder müsse diese besondere Situation geregelt werden - andernfalls könnten das Saarland und andere Bundesländer die kommende Schuldenbremse nicht einhalten. "Ein Scheitern würde in letzter Konsequenz die jetzige föderale Ordnung infrage stellen," mahnt sie also nach dem Motto: Gebt uns Geld oder uns wird es nicht mehr geben.
Nun ist an dem Vorstoß aus Saarbrücken nicht alles reiner Bluff. Denn der Vorschlag weist zurecht darauf hin, dass die jetzige Ordnung der Bundesländer nicht zukunftsfest und ökonomisch vollkommen unvernünftig ist. Natürlich müsste man in einem modernen, effizient organisierten Deutschland der Zukunft die Minibundesländer wie Bremen, Hamburg, Berlin, das Saarland oder Sachsen-Anhalt abschaffen und zu größeren Körperschaften zusammenschließen. Es ist eine gewaltige Vergeudung von Ressourcen, mit teuren Doppelstrukturen Bonsai-Staaten in Vollausstattung mit Ministerien, Beamtenapparaten, Dienstwagen und Pensionsansprüchen aufrecht zu erhalten. Und sie verkomplizieren vielfach auch noch das Alltagsleben der Bürger, alleine unter dem grotesken Bildungsföderalismus leiden Millionen.
Schwere Geburt - schönes Kind
Darum sind konstruktive Zusammenschlüsse eine durchaus gute Idee. Die Fusion von Berlin und Brandenburg - längst überfällig - scheiterte 1996 nur knapp, könnte aber bald wieder auf die Tagesordnung kommen. Der Zusammenschluss vom Saarland mit Rheinland-Pfalz ist ein häufiger Vorschlag. Die Hessen-FDP wollte einst sogar zur Saar-Pfalz-Schiene hinzu. Bremen und Niedersachsen tasten seit Jahren die naheliegende Fusion ab. Einzelne mecklenburgische Landkreise sind bereits Mitglied der Metropolregion Hamburg – ein praktischer Vorversuch für einen Nord-Staat aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Bürgerinitiativen bemühen sich außerdem um eine Volksabstimmung zur Fusion Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens. Was an Gebietsreformen innerhalb der Bundesländer möglich ist, das sollte doch auch zwischen den Bundesländern machbar sein - das Grundgesetz sieht diese Option jedenfalls ausdrücklich vor.
Man sollte die Ministerpräsidentin des Saarlands also beim Wort nehmen, denn ihr Vorschlag ist ein selten mutiger Vorstoß in der ansonsten so statischen Politik. Die tut sich normalerweise bis zur Erlahmung schwer mit nahe liegenden Strukturreformen. Ein schlanker Staat mit acht effizient aufgebauten Bundesländern wäre für Deutschland im 21. Jahrhundert eine enorme Erleichterung. Die moderne Formation würde mit wesentlich weniger Ballast umher politisieren und vor allem Milliarden sparen. Die großen Einheiten wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen könnten bleiben wie sie sind. Aber Bremen braucht ebenso wenig einen eigenen Justizsenator wie das Saarland eine Landesmedienanstalt oder Sachsen-Anhalt ein teures Gisa (Gender-Institut Sachsen-Anhalt). Gerade weil man so viele Doppelstrukturen abschaffen könnte, gibt es Widerstand gegen die vernünftige Fusionsidee. Aber wie sagt die verhinderte Hebamme Kramp-Karrenbauer so gerne: "Die schwersten Geburten bringen die schönsten Kinder auf die Welt."
Quelle: ntv.de