Wirtschaft

"Man kann alles zugleich haben!" Fotograf lichtet internes Brexit-Memo ab

London versucht, die peinlichen Notizen zum Brexit herunterzuspielen.

London versucht, die peinlichen Notizen zum Brexit herunterzuspielen.

(Foto: REUTERS)

Das Rätselraten, wie der Masterplan der Briten zum Brexit aussieht, geht weiter. Ein Schnappschuss erlaubt einen Einblick, was in London so diskutiert wird. Ein Lacher ist den Briten schon gewiss.

Ein Königreich für einen Plan. Die Briten haben zwar immer noch keinen für ihr wichtigstes Projekt EU-Austritt, aber sie arbeiten dran. Dafür gibt es mittlerweile hinreichend Belege: Jüngst der Prosecco-Battle zwischen dem britischen Außenminister Boris Johnson und dem italienischen Industrieminister Carlos Calenda, Geheimtreffen des Zentralbankchefs Mark Carney mit Bankern und anderen Wirtschaftsgrößen, die am Wochenende bekannt wurden. Und jetzt die handgeschriebenen Notizen auf dem Collegeblock einer Mitarbeiterin des konservativen Abgeordneten Mark Field beim Verlassen des Brexit-Minsteriums in London - abgelichtet von einem flinken Fotografen.

Die internen Notizen, die am Vortag viele Titelblätter der britischen Zeitungen wie beispielsweise des "Guardian" bestimmten, sind ernüchternd. Denn sie sind der Beleg dafür, dass die Regierung auch nach fünf Monaten noch wie von vielen befürchtet auf der Stelle tritt. London scheint über das Sammeln von Informationen nicht hinauszukommen. Eine Strategie für die Verhandlungen mit der EU ist nicht einmal in Ansätzen erkennbar.

Die Europäische Union beharrt darauf, dass die abtrünnigen Briten kein Freihandelsabkommen mit dem EU-Binnenmarkt erhalten, solange sie auf Einreisekontrollen aus der Europäischen Union beharren. Es soll kein Rosinenpicken geben. Durchgedrungen ist diese Ansage offensichtlich aber noch nicht.

Rosinenpicken: "Have the cake and eat it"

In den Notizen von Fields Mitarbeiterin steht: "Wie sieht das Modell aus? Wir wollen alles haben!" In Anlehnung an die Redewendung "you can't have your cake and eat it, too" ("Man kann nicht alles zugleich haben.") Es ist die Quadratur des Kreises. Wessen flapsige Meinung hier auch immer wiedergegeben wird, offenbar will diese Person immer noch alle Vorteile der EU behalten, ohne die Nachteile hinnehmen zu müssen. 

Wer alles an der Sitzung in der Downing Steet teilgenommen hat, ob Brexit-Minister David Davis selbst anwesend war oder nur ein untergeordneter Staatssekretär, ist nicht bekannt. Auch darüber, wessen Redebeiträge oder Gedanken hier notiert sind, kann nur spekuliert werden. Die Bemerkungen deuten jedoch auf Brexit-Hardliner hin. Und das wäre zumindest nicht Davis' Position.

London ringt offenbar immer noch mit Brexit-Varianten unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Auf dem Notizblock heißt es, die Verhandlungen müssten schnell beendet werden. Premierministerin Theresa May hat dagegen kürzlich Übergangsszenarien über 2020 hinaus angedeutet.

Norwegen, nein. Kanada plus, vielleicht

Laut den Notizen werden vor allem die Verhandlungen mit Frankreich als schwierig eingeschätzt, "weil sie auf einen Teil unseres Geschäfts hoffen". Eine Option unter den Diskussionsteilnehmern war offenbar das Modell "Kanada Plus", also ein Handelsabkommen nach dem kanadischen Modell, ergänzt um weitere Zugeständnisse.

Keine Option war dagegen die norwegische Variante. "Warum nicht Norwegen?" Zwei Gründe: "Wir wollen keine Einmischung des Europäischen Gerichtshofs und wir müssten bestimmte EU-Regeln trotzdem hinnehmen", heißt es stichwortartig auf dem Collegebock.

Die Aussagen auf dem Blatt sind zwar unvollständig, weil sie vom Arm der Mitarbeiterin verdeckt werden. Aber viel mehr als Bekanntes zeigt es nicht. Der Plan, so wenig Zugeständnisse wie möglich im Gegenzug für Handelsabkommen zu machen, besteht nach allem, was man hier lesen darf, weiter. Eine richtige Brexit-Strategie sieht anders aus.

Die Regierung hat sich sofort von den Bemerkungen distanziert. Sie repräsentierten nicht die offizielle Verhandlungsposition Londons, heißt es. Es seien "individuelle Aufzeichnungen, die nicht zu einem Regierungsvertreter oder Berater gehören".

Finte für die Fotografen?

An der Ausgangstür des Brexit-Ministeriums ist angeblich längst ein Zettel mit der Warnung angebracht worden: "Stop, sind deine Dokumente sichtbar?" Auf Twitter wurde deshalb spekuliert, ob die Aufnahmen dem Fotografen möglicherweise bewusst als Futter vorgeworfen worden sein. Dass es sich um mehr als eine Foto-Panne handelt, leuchtet jedoch nicht ein. May will die Verhandlungen mit der EU im März 2017 aufnehmen. Warum sollte sich die Regierung fünf Monate vorher die Blöße geben, immer noch keine Strategie zu haben?

In Europa tragen die Enthüllungen derweil vor allem zur Erheiterung bei. Luxemburgs Premier Xavier Bettell stellte amüsiert fest: Wenn die Briten ihren Kuchen haben wollen, sollten sie ihn essen, "und ein Lächeln des Bäckers bekommen. Aber sonst nichts. Kein Rosinenpicken".

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen