Ausführservice für Vierbeiner Wenn der Hund Gassi gegangen wird
28.10.2022, 18:25 Uhr
Damit die ganze Gruppe ruhig zusammensitzt, trainiert Jan sie in Impulskontrolle.
(Foto: Jan Lamers/Martin Schmitz)
Mindestens drei Mal am Tag sollten Bello und Co. Freilauf bekommen. Wer das nicht schafft, kann seinen Hund auch ausführen lassen. Hundesitter und Dogwalker bieten Teilzeitbetreuung an - vor allem in Großstädten. Eine Tour mit elf Vierbeinern.
Lizzy ist vier Jahre alt, hüfthoch und hat zotteliges, blondes Haar. Sie ist der zehnte Hund, der heute mit auf Gassi-Tour geht. Als Jan, der Dogwalker, kommt, springt ihn der Pudel aufgeregt an. Die schwarze Leine, mit der ihr Herrchen sie festhält, spannt sich: "Es wäre wichtig, dass sie heute schon um spätestens 13 Uhr zurück ist". Das sei kein Problem, sagt Jan und übernimmt die Leine. Plötzlich wirkt Lizzy nervös. Auf den wenigen Metern vom Hauseingang zum schwarzen Van dreht sie sich immer wieder zu ihrem Herrchen. Jan öffnet die Hecktür nur einen Spalt weit - Bellen. Er muss Lizzy beim Einsteigen in den Kofferraum etwas nachhelfen. Dann schließt er die Tür vorsichtig. Und plötzlich hört man wieder nur goldenes Herbstlaub rascheln an dem sonnigen Morgen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.
Am nächsten Haus zeigt der elfte und letzte Gast mehr Mut beim Einsteigen, auch wenn er kaum größer als eine Katze ist. Er huscht vorbei an fünf großen Hunden auf der freien Ladefläche hinter der Tür, die ihn aufgeregt beschnuppern, und steigt in einen von vier Käfigen. Er ist erst seit zwei Wochen beim Dogwalking-Service Cookie & Friends Berlin. "Die Käfige sind für die Neuen und die Kleinen", erklärt Jan. Beim Namen des Neuzugangs ist sich der Hundesitter dann aber nicht mehr ganz sicher. "Hudosa? Hudini? Manchmal fühlt man sich wie ein Opa mit seinen Enkeln, wenn man mit den ganzen Namen durcheinanderkommt." Jan setzt sich ans Steuer und öffnet eine Anwesenheitsliste auf dem Handy. Name für Name prüft er, ob er auch niemanden vergessen hat. "Einer hat wegen Schnupfen abgesagt." Ansonsten seien sie komplett - Abfahrt!
Die Zigarette davor
Wenn Jan zur Sonnenblende über seinem Kopf greift, lugt ein zerfetztes, hellblaues Festivalbändchen unter dem Ärmel hervor. Der einzige Farbtupfer in seinem durchweg schwarz gehaltenen Outfit, inklusive Cap. Im Sausetempo manövriert Jan die elf Hunde mit ausgesprochener Gelassenheit durch die volle Berliner City. Das Duftbäumchen am Rückspiegel tanzt. "Ich mache mir immer eins rein. Zugegeben, das hier ist schon ein bisschen älter." Es riecht, als ob eine Schulklasse Pubertierender vergessen hätte, das Fenster in der Sportumkleide aufzumachen. Die Vierbeiner liegen unschuldig im Laderaum und lassen sich durch den Berufsverkehr schaukeln.
Auf dem Parkplatz am Grunewald stehen drei Kolleginnen von Jan mit vollbeladenen Vans und dazwischen noch mehr Transporter anderer Hundesitter-Firmen. "Wir haben Wartelisten für Interessierte." Zusammen mit einer Kollegin raucht Jan wortlos eine Zigarette. Dann tapst Hund für Hund in die würzige Waldluft. Jan legt fünf von ihnen eine neonfarbene sogenannte Schleppleine an - da kann man schnell mal nachfassen oder drauftreten, wenn der Hund abhauen will. Dann geht's los.
Aber statt sofort in den Wald zu stürmen, verrichten die Vierbeiner erst einmal gepflegt ihr Geschäft, und zwar synchron. Manche Hunde suchen sich ein stilles Örtchen. Andere genieren sich nicht, auch im Laufen "Groß zu machen". Besonders verloren guckt der weiße Pudel Loky. Er pinkelt im Stehen - das rechte Vorderbein ist gelb. Nachdem das Rudel ein Minenfeld für Waldspazierende hinterlassen hat, lebt es nach und nach auf. Jan ist in dem Szenario eine Art Himmelskörper, der von elf flauschigen Satelliten umkreist wird. Er hat den Blick stets nach vorne gerichtet und bildet den Kopf des Rudels. Nach Hunden, die aus dem Sichtfeld laufen, dreht er sich nicht um. Stattdessen folgt er schweigend seinem Pfad und nur wenige Sekunden später raschelt es im Dickicht neben dem Weg und ein Nachzügler geht wieder bei Fuß. Zumindest noch.
Ausbüxversuche und Spieltrieb
Ein besonders ruhiger Hund ist Mara - Jans eigene Hündin, die er aus dem Tierheim gerettet hat. Ihr zuliebe ist Jan überhaupt Hundesitter geworden. "Früher war ich Kurier und konnte Mara immer im Laderaum mitnehmen", erklärt er. Dann habe er etwas Neues gesucht: "Ein Beruf, bei dem ich Mara alleine lasse, wäre aber niemals infrage gekommen. Sie ist sehr auf mich fixiert. Außerdem will ich Zeit mit ihr verbringen." Der Beruf als Hundesitter sei darum wie gemacht für ihn. Jan wollte auch mal Hundetrainer werden, hat sich aber nach einem ersten Aufbaukurs umentschieden. "Ich hatte falsche Vorstellungen. Letztlich arbeitet man mehr mit dem Halter als mit dem Tier. Da bin ich zu introvertiert für. Bei Hunden kann ich autoritär sein, mit Menschen ist es schwieriger."
Und Autorität braucht Jan für seine Rasselbande - vor allem für Pico. Während die Mehrheit sich überwiegend diszipliniert um Jan schart, sucht der etwa mittelgroße Mischling Kabbeleien. Der weiße Pudel Loki lässt sich davon anstecken, bellt und spielt mit ihm. Jetzt wird die ganze Bande unruhig, kleine Gruppen sondern sich ab. Also geht Jan zwischen die Hunde, zischt sie an und ermahnt sie zur Ruhe, damit das Rudel zusammenbleibt. "Klar wollen die Hunde ihren Spaß, aber wenn ich da freien Lauf lassen würde, würde ich keine paar Meter weit kommen. Darum versuche ich die Energie eher niedrig zu halten. Das dient auch der Impulskontrolle." Pico sucht aber immer wieder die Aufmerksamkeit. Jan muss ihn zunehmend ernster ermahnen, an der Schnauze packen und schließlich hält er ihn als einzigen Hund auch an der Leine.
Andere Ausbüxer bleiben die Ausnahme. Einmal schlüpft der kleine Hudini durch den Holzzaun eines Kindergartens. Noch bevor er zu den Kindern rennen kann, bemerkt Jan Hudinis Absichten und lässt ihn durch das Gartentürchen zurück in den Wald. Auch der weiße Pudel Loky nimmt es mit der Verbindlichkeit der Gruppe nicht ganz so genau. Völlig unvermittelt rennt er entgegen der Laufrichtung davon. Blitzschnell wie ein Windhund verschwindet er hinter bunten Herbstbäumen. "Loky!", schreit Jan zuerst noch. Dann kehrt er zu gewohnter Gelassenheit zurück. "Da müssen wir jetzt einfach hierbleiben und warten." Und tatsächlich: Nach zwei geduldigen Minuten sprintet der schneeweiße Flitzer wieder auf die Gruppe zu.
Hundebesitzer sind zu beschäftigt für Smalltalk
Nach über zwei Stunden Gassi-Gang kehrt die Truppe dann zurück zum Van auf dem Parkplatz vor dem Wald. Als sich Jan auf den Vordersitz setzt, ist es wieder mucksmäuschenstill im Kofferraum. Nur ein Hundeschnarchen könnte diese Stille nach dem Trubel durchbrechen. Stattdessen haben die Vierbeiner zur Unschuld zurückgefunden. Einzig Chihuaha Sisu - der kleinste Hund von allen - thront mahnend über dem Rudel. Er sitzt im obersten Käfig, hat den Blick in Fahrtrichtung gerichtet und schaukelt mit jeder Kurve wie ein Wackeldackel.
Zurück in der Stadt stellen sich die ersten Fahrgäste ungeduldig auf die Vorderpfoten. Jan bringt sie in umgekehrter Reihenfolge zurück zu ihren Familien. Zuerst ist Suma dran. Die Besitzerin strahlt, als Suma aus dem Kofferraum hüpft, und läuft mit ihr die wenigen Meter bis zur Haustür. Ein "Na, wie hat sich Suma benommen?" gibt es nicht. "Manche Besitzer machen nur die Wohnungstür auf, der Hund schlüpft raus, und dann machen sie die Tür wieder zu", erzählt Jan.
Plötzlich fällt sein Blick aufs Handy: 13.09 Uhr. Vor neun Minuten hätte Lizzy zurück sein sollen. Er setzt eine Whatsapp-Nachricht ab und startet den Motor. "Ich hasse es, wenn etwas nicht nach Plan läuft." Angekommen am vereinbarten Treffpunkt schnappt sich Jan den blonden Pudel und sucht das Herrchen mit hektischen Blicken. Lizzys Besitzer beschwichtigt Jan, der sich fürs Zuspätkommen entschuldigt, und der Hundepapa auf Zeit kehrt erleichtert zurück in den Van. Noch neun Hunde. Die letzte wird Mara, Jans Hündin, sein. "Wir müssen dann beide erst mal ein Nickerchen nach dem anstrengenden Tag machen. Ihr reicht dann noch ein Lauf abends. Aber ich versuche außerhalb meiner Arbeit auch Abstand zu bekommen und zu viel Hunde-Action zu vermeiden." Ganz scheint das aber nicht zu klappen, denn Jan arbeitet an einem zweiten Standbein: professionelle Hundefotografie. Aber erstmal ist noch der nächste Wochenendtrip raus aus der Stadt geplant - natürlich mit Mara.
Quelle: ntv.de