Gestaltung bis in den Tod Nekropole der Künstler
27.11.2007, 11:34 UhrLeicht zu finden ist sie nicht. Mitten im Kasseler Habichtswald stößt der Fußgänger eher zufällig auf die seltsame Ansammlung noch seltsamerer Objekte. Holzstelen stehen da verlassen im Herbstlaub und ein gigantisches Betonauge, eine Art Vogeltränke und verrostete Stahlplatten mit Blumenmotiven. Es ist Kunst. Und zugleich ein Friedhof. Die, die hier bestattet sind oder einmal bestattet sein wollen, haben sich ihre Grabmale selbst geschaffen: In Kassel steht die einzige Künstlernekropole Deutschlands.
Die Idee hatte Harry Kramer. Der documenta-Künstler, der sich nach seinem Lehrberuf immer nur "der Friseur aus Lingen" nannte, bedauerte, dass die Objekte der Kasseler Kunstausstellung vergänglich sind. "Harry sagte: Die documenta wird immer wieder abgebaut. Wir wollen was für die Ewigkeit schaffen", sagt Werner Ruhnau. Der Architekt und Künstler war einer der ersten, die im Habichtswald ihr eigenes Grabmal errichteten.
Sorge um sauberes Grundwasser
40 "Künstler von documenta-Rang" sollen einmal in der Nekropole bestattet sein. "Harrys Idee war faszinierend. Aber es gab jede Menge Probleme", erinnert sich Ruhnau. Die Nekropole liegt in einem Naturschutzgebiet. Entsprechend wenig Platz stand zur Verfügung und entsprechend hoch sind die Auflagen. "Die hatten Angst, dass das Leichengift das Grundwasser trübt", sagt Timm Ulrichs, documenta-Künstler von 1977. "Deshalb wird es uns da nur eingeäschert geben."
Von seinem Monument ist nicht viel zu sehen. "Harry mochte meinen Grabstein mit der Aufschrift 'Denken Sie immer daran, mich zu vergessen' von 1969. Aber der war schon an einen Sammler verkauft", sagt Ulrichs. Also ließ der heute 67-Jährige einen Abguss von sich machen. Die hohle Figur versenkte er kopfüber im nordhessischen Waldboden. Nur der Boden schaut heraus. "Durch diese Glasplatte wird man mal meine Asche sehen können." Sein Monument war eines der ersten. "Deshalb hoffe ich, dass die Reihenfolge der Errichtung nicht die des Einzugs ist."
Erster Grabplatz schnell belegt
Der erste war Harry Kramer selbst. Der Künstler starb 1997 - da war die Nekropole gerade geschaffen. Ohne Hinweis liegt seine Urne irgendwo in dem kleinen Park am Blauen See. Wenig später starb Blalla W. Hallmann. Doch sein Grabmal war noch nicht fertig. Deshalb hängt nur sein Bild mit dem Entwurf in der Nekropole. So sind zwei Menschen in der Nekropole bestattet: Kramer und Marga Blase, die Frau des documenta-Künstlers Karl Oskar Blase. "Ursprünglich war meine Frau gegen meine Beteiligung. Sie wollte auch nach meinem Tod mit mir vereint sein", erzählt Blase. Erst als man eine gemeinsame Grabstätte gestattete, willigten beide ein. Im vergangenen Jahr, nach 55 Jahren Ehe, starb Marga Blase. Ihre Asche ruht jetzt in dem von ihrem Mann entworfenen Grabmal.
Es ist ein großes Auge aus Beton. "Das Auge ist doch das Wichtigste. Sehen, wahrnehmen - ich brauche auch jetzt im hohen Alter noch keine Brille und bin dafür dankbar", sagt Blase. Beton hat er gewählt, weil es ein modernes Material sei und er auch ein moderner Künstler. "Aber es altert auch, es verwittert, kann Grün ansetzen und mit der Natur eins werden. Vielleicht freuen sich mal die Archäologen darüber", sagt Blase. Seine Stimme ist schwer. Wie immer, wenn er von seiner Frau gesprochen hat.
Orte fröhlichen Erinnerns
"Ich habe Angst vor dem Tod. Ich weiß ja nicht, was kommt", sagt Ruhnau. Das Grab des Professors ist ein stilisiertes Auditorium, ein Amphitheater. "Das Spiel geht weiter", erklärt es der 85-Jährige. "Jedes Jahr treffen wir uns dort lachend mit Freunden zu Brot und Wein. Ich hoffe, das geht nach meinem Tod so weiter." Er vermisst die langen Trauerzüge, die er als Junge in seiner Heimatstadt Königsberg sah. "Aber nach der Trauer soll die Erinnerung heiter sein."
Ulrichs sieht es pragmatisch. "Ich fühle mich ganz wohl. Aber früher oder später werde ich mein Werk beziehen. Versprochen", sagt der 67-Jährige. Ihm gefällt der Gedanke, dass es Kunst für die Ewigkeit ist. "Ein Denkmal kann man abreißen. Bei einem Grab geht das nicht so einfach." Und außerdem: "Die Bestattung kostet mich keinen Pfennig. Obwohl ich als Beamter Anspruch auf einen Zuschuss zum Sarg hätte", sagt der Professor. "Den Zuschuss gibt es dann natürlich nicht. Schade eigentlich."
Von Chris Melzer, dpa
Quelle: ntv.de