Klinische Vergangenheitsbewältigung 20 Schädel für Namibia
30.09.2011, 12:36 Uhr
Jahrzehntelang blieben die Schädel in der Charité unbeachtet.
(Foto: dapd)
Vor mehr als 100 Jahren ermordeten die Deutschen in Namibia Zehntausende Hereros und andere Ureinwohner. Für rassistische Forschungen nahmen sie Schädel der Opfer mit nach Deutschland. 20 davon werden jetzt nach Namibia zurückgebracht. Die Bundesregierung hält sich so fern wie möglich.
Politiker, Bischöfe, Journalisten und Vertreter der namibischen Völker Nama und Herero sind nach Deutschland gereist, um 20 Totenschädel von Afrikanern entgegenzunehmen, die vor über 100 Jahren im Völkermord in der früheren Kolonie Südwestafrika von den deutschen Kolonialbesatzern getötet wurden. Die Delegation besteht aus 73 Personen, zu ihrer Verabschiedung fand in der vergangenen Woche ein ökumenischer Gottesdienst statt, an dem 2000 Menschen teilnahmen.
Entsprechend groß waren die Hoffnungen der Namibier: "Wir erwarten von der deutschen Regierung, dass sie den Ovaherero, Ovambanderu und den Nama widerfahren lässt, was sie nach dem Zweiten Weltkrieg an den Juden geleistet hat", sagte der Herero-Häuptling Alfons Maharero. Er ist ein direkter Nachfahre des Herero-Führers Samuel Maharero, der den Herero-Aufstand im Januar 1904 gegen die deutschen Kolonialherren anführte.
Der Aufstand, bei dem 123 Deutsche getötet wurden, wurde blutig niedergeschlagen. Nach der Schlacht am Waterberg im August 1904 flohen die Herero in Richtung Botswana, wurden aber von deutschen Truppen verfolgt. Auf der Flucht kamen Zehntausende Herero ums Leben; von ursprünglich etwa 80.000 erreichten lediglich rund 15.000 das Nachbarland.
"Mit und ohne Gewehr"
Im Oktober 1904 gab der deutsche Kommandeur in Namibia, General Lothar von Trotha, den Befehl, alle Hereros zu töten. "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen", schrieb er in einem "Aufruf an das Volk der Herero".
Der Vernichtungskrieg gegen die namibischen Ureinwohner gilt als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts. Wikipedia listet den Feldzug der Deutschen als von der UNO anerkannten Völkermord auf. Gemeint ist damit allerdings nur, dass sich die Kriterien der UN-Konvention auf den Krieg gegen die Herero und Nama anwenden lassen.

Am Donnerstag fand in der Berliner Matthäuskirche ein Gedenkgottesdienst statt. Hier waren erstmals zwei der Totenschädel öffentlich zu sehen.
(Foto: AP)
Jahrzehntelang lagerten die 20 Schädel, die an Namibia zurückgegeben werden, unbeachtet im Medizinhistorischen Institut der Berliner Charité - was auch daran lag, dass Namibia nach einem langen Bürgerkrieg erst 1990 die Unabhängigkeit erhielt. "2005 gab es erste Berichte über die Schädel. 2008 erhielten wir ein offizielles Rückgabeersuchen der namibischen Regierung", sagt Claudia Peter, Sprecherin der Charité. Neben den 20 Schädeln gebe es noch "einige wenige" weitere in Berlin, und auch an der Universität Freiburg.
Vier Frauen, fünfzehn Männer, ein Kind
Bei den Toten handelt es sich um neun Herero und elf Nama, vier Frauen, fünfzehn Männer und einen Jungen. Ihre Namen und ihre Todesart lassen sich nicht mehr klären. Insgesamt brachten deutsche Anthropologen 1900 Schädel von Menschen aus Afrika und anderen Erdteilen nach Deutschland, um an ihnen zu forschen.
Die Schädel, die aus Südwestafrika nach Deutschland gebracht wurden, stammen vornehmlich von Menschen, die in Gefangenenlagern etwa an Mangelernährung starben. "Einer der verstörendsten Aspekte dieser Geschichte ist der klare Hinweis darauf, dass die namibischen Schädel nicht nur für perverse wissenschaftliche Untersuchungen mitgenommen wurden, sondern auch als Trophäen", sagt der ehemalige namibische Botschafter Peter Katjavivi.
"Vorfahren und Helden"

Die Chiefs Alfons Maharero (l.), Kuaima Riruako und dessen Ehefrau beim Gedenkgottesdienst in der Matthäuskirche.
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Die namibische Delegation sieht die Rückkehr der Gebeine nach Namibia als Teil eines Heilungsprozesses. "Wir bringen endlich unsere Vorfahren und Helden nach Hause zurück, und wir werden traditionelle Riten zelebrieren, sobald wir auf deutschem Boden ankommen und sobald wir die Schädel erhalten", sagte Kuiama Riruako, ein anderer Herero-Häuptling, vor dem Abflug aus Namibia.
Zwischen den Volksgruppen in Namibia - zu denen auch eine deutschsprachige Minderheit gehört - gibt es Streit über die Größe und die Zusammensetzung der Delegation. So schreibt die namibische "Allgemeine Zeitung" in einem Kommentar verächtlich vom "chronischen Hang zum Kolonialmartyrium" und der "Genozid-Lobby" in Namibia.
Deutschland bleibt Zaungast
Dennoch ist klar, dass die Übergabe der Schädel in Namibia ein großes Thema ist. Nicht jedoch in Deutschland. Als die Delegation am vergangenen Montag in Berlin ankam, erschien nicht ein einziger Vertreter der Bundesregierung, um sie zu begrüßen. Übergeben werden die Gebeine der Afrikaner nicht durch Vertreter des deutschen Staates, sondern von der Charité, wo die Schädel bislang lagern. Außen-Staatsministerin Cornelia Pieper nimmt lediglich als Gast teil.
Das Auswärtige Amt bestreitet, dass dies für die Namibier ein Affront sein könnte: Die Gebeine würden "in einer der historischen und kulturellen Bedeutung entsprechenden Zeremonie von Vertretern der Charité an die namibische Regierung übergeben". An einer Diskussionsveranstaltung im Berliner Haus der Kulturen der Welt mit Vertretern der Delegation nahmen Politiker von SPD, Linken und Grünen teil. Die eingeladenen Politiker von Union und FDP kamen nicht - von Vertretern der Bundesregierung ganz zu schweigen.

Von deutscher Seite kamen zur Diskussion im Haus der Kulturen nur die Bundestagsabgeordneten Movassat (Linke), Ströbele (Grüne) und Raabe (SPD) (von rechts).
(Foto: dapd)
"Wir kommen mit unserem Kulturminister, und eine Vizeministerin nimmt uns in Empfang? Für mich ist das eine Respektlosigkeit der deutschen Regierung an einem symbolisch so wichtigen Tag", zitierte die "taz" Delegationsmitglied Barbara Kahatjipara.
Es geht um Geld
Beim Gottesdienst in Namibia vor einer Woche habe das Gefühl vorgeherrscht, dass die Rückkehr der Schädel der erste Schritt zur Wiedergutmachung für den Völkermord zwischen 1904 und 1908 sei, schrieb die Zeitung "The Namibian". Genau daran scheitert die Kommunikation zwischen Namibia und Deutschland seit Jahren. Für Namibia ist Deutschland der ehemalige Kolonialherr, gegen den man Ansprüche hat. Die Bundesrepublik betont zwar die besondere Verantwortung Deutschlands, die aus der "gemeinsamen Geschichte der Kolonialzeit" erwachse. Entschädigungszahlungen für den Völkermord will sie jedoch nicht leisten.
Über Jahre vermieden deutsche Politiker bei Besuchen in Namibia, sich unzweideutig zu entschuldigen, da sie fürchteten, so eine Basis für Entschädigungen zu legen. Erst Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die im August 2004 an den zentralen Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Beginns des Kolonialkrieges teilnahm, wagte es, das Wort "Entschuldigung" auszusprechen, vermied jedoch den Begriff "Völkermord". Eine offizielle Entschuldigung Deutschlands war auch dieser Auftritt nicht.
In Namibia ist für den 5. Oktober eine staatliche Trauerfeier geplant. An diesen Feierlichkeiten werde ein Botschaftsvertreter auf Einladung der namibischen Regierung teilnehmen, erklärte eine Sprecherin der deutschen Vertretung in Windhoek auf Anfrage von n-tv.de.
Quelle: ntv.de, mit AFP