Rechtsbruch, Lügen, Späh-Affäre Affäre um Foltergeneral wird für Meloni immer peinlicher


Meloni und ihr Justizminister Nordio blamieren sich gerade nach Kräften.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Ein vom Strafgerichtshof gesuchter Folterknecht der europäischen Migrationspolitik wird von Italien nach Libyen heimgeflogen. Abenteuerlicher als dieser Skandal sind nur noch die Ausreden der Regierung Meloni - und die aufgeflogene Spähaktion gegen Journalisten und Menschenrechtler.
Das kann man sich gar nicht ausdenken. Als Krimi-Drehbuch würde die Geschichte um die Blitz-Freilassung des Libyers Najeem Osama Almasri Hoabish aus italienischer Haft nicht einmal die erste redaktionelle Durchsicht überstehen. Zu unglaubwürdig, so ein Plot. Soll es etwa plausibel sein, dass ein Justizminister und früherer Richter öffentlich behauptet, er habe einen mutmaßlichen Mörder, Folterer und Vergewaltiger freilassen müssen, weil niemand in seinem Justizministerium den auf Englisch verfassten Haftbefehl lesen konnte?
Abgelehnt, würde die Redaktion über einen so dämlichen Autoren-Einfall urteilen. So dumm würde sich ein Minister nie herauswinden. Doch genau das ist in Italien passiert - und Schlimmeres noch. Die Realität hat in Italien ein Drehbuch geschrieben, das die Grenzen der Fantasie sprengt. Dieses Drehbuch ermöglicht jedoch im Gegenzug, einen klaren Blick hinter geheime Kulissen zu werfen. Es enthüllt die dreckigen, mörderischen Methoden bei der Eindämmung der Migration über die Mittelmeerroute nach Europa.
Gehen wir zum Anfang des Drehbuchs, ein paar Tage vor der obskuren Einlassung des Justizministers. Was war passiert? Almasri war am 18. Januar in Turin verhaftet worden, nachdem er über London nach Europa eingereist war und vier Tage lang in Deutschland gewesen war. Die ersten Tage in Europa hatte der Internationale Strafgerichtshof von Den Haag den 47-jährigen Libyer nur unauffällig beobachten lassen. Eine Aufgabe, die die deutsche Polizei offenbar gewissenhaft erfüllt hatte.
Während Almasri dann von München nach Turin weiterreiste, stellte Den Haag einen internationalen Haftbefehl aus: Wegen 34-fachen Mordes, Folter und Vergewaltigung Minderjähriger. Zunächst machte Italien auch das Gebotene, schließlich erkennt die Regierung in Rom den Strafgerichtshof in Den Haag offiziell an. Die italienische Polizei-Einheit für politische Verbrechen, DIGOS, verhaftete Almasri in einem Turiner Hotel. Doch Almasri, der mit vier verschiedenen Pässen reiste - darunter ein türkischer und der eines Karibik-Staates - saß 60 Stunden später in einem Falcon-Jet des Geheimdienstes und flog zurück nach Tripolis. Das war Roms Entscheidung, statt ihn direkt nach Den Haag zu überstellen, wo ihm der Prozess gemacht werden sollte.
Und dann kommt Carlo Nordio ...
Eine Mischung aus unfreiwilliger Komik und Fremdschämen, das war dann der nachfolgende Auftritt des italienischen Justizministers Carlo Nordio. Am 5. Februar erklärte er nach langem Drängen der Opposition im Parlament, wie er das Ausfliegen des Festgenommenen begründet. Es sei dem Ministerium unmöglich gewesen, so Nordio, "den 40-seitigen Haftbefehl in so kurzer Zeit, am Wochenende, zu lesen, weil er auf Englisch verfasst war". Eine schlechtere Ausrede kann man sich kaum ausdenken. Wie gesagt: Ein Drehbuchautor, der einem Minister solch ein Argument in den Mund legen würde, bekäme zu hören: "So dumm ist doch keiner!"
Doch damit nicht genug. Nordio begründete die Express-Ausweisung per VIP-Transfer nach Tripolis damit, dass Almasri "eine Gefahr für Italien" gewesen sei. Die sofortige Ausweisung sei ihm als Justizminister deswegen erlaubt gewesen. Das schlägt dem Fass gewissermaßen den Boden aus: Italiens Justizminister soll sich über einen Strafbefehl aus Den Haag hinwegsetzen können, obwohl sich Italien - anders als die USA - dem Internationalen Strafgerichtshof vertraglich verpflichtet hat? Zudem war Almasri überhaupt keine Gefahr für Italiens Sicherheit. Weder hatte er seine Straftaten in Italien begangen, noch hatte er vor, sie in Italien zu begehen - zumal aus der Haft heraus. Rom hätte den Mann nur nach den Haag überstellen müssen.
Angst um Energie-Importe und vor Migranten
Die überlebenden Opfer des Foltergefängnisses von General Almasri, die in Italien vor die Presse traten, sind entsetzt. Da hatte man ihren Folterer endlich in den Händen und dann das. Der Justizminister verstieg sich zu den peinlichsten Erklärungen, doch wenn überhaupt, drohte Italien ganz woanders Gefahr- nämlich in Libyen. In Tripolis war man sehr erbost über Almasris Verhaftung. Auf Facebook und Tiktok erschienen Drohbotschaften wie "Gebt uns Almasri zurück, sonst greifen wir den italienischen Gas- und Öl-Konzern ENI an".
Ein weiteres Motiv für Almasris Schonung war seine Rolle in Libyen: Der von ihm befehligte Clan "Rada" verfügt über eine Miliz, die seit Jahren im Kampf gegen Migranten eingesetzt wird. Die Miliz beaufsichtigt insgesamt drei Gefängnisse mit etwa 15.000 Insassen. Almasri leitet davon das Mitiga-Gefängnis, entscheidet dort über Leben und Tod, wie die Den Haager Ermittler schreiben. Doch darüber wollte Italiens Premierministerin Giorgia Meloni selbst nicht öffentlich sprechen. Deswegen musste Carlo Nordio in die Bütt und hanebüchenen Unsinn erzählen, gewürzt mit Angriffen auf eine vermeintlich "links-politisierte" Richterschaft.
Die Opposition empörte sich lauthals über Nordio und Meloni. Sie sei ein "Hasenfuß" - "Meloni-Coniglio". Dabei sollte die größte Oppositionspartei Partito Democratico (PD) besser schweigen: Der frühere PD-Innenminister Marco Minniti unterzeichnete schon 2017 ein "Memorandum" mit den libyschen Milizen. Dieses bestand darin, dass Italien mit EU-Mitteln die Milizen dafür bezahlte, den Migrantenstrom über das Mittelmeer zu stoppen. Das Memorandum ist seitdem von allen Regierungen immer wieder erneuert worden.
Geld, Boote und Freundschaftsgesten für Milizen
Italien stellte der sogenannten libyschen Küstenwacht Schnellboote zur Verfügung, mit denen die Migranten-Boote wieder eingefangen wurden, notfalls mit Gewalt. Der Chef dieser "Küstenwacht" war ein gewisser Abd al-Rahman al-Milad, auch bekannt als Bija - ein international als Kriegsverbrecher bekannter Kriegsherr und Milizenchef, der in der Zwischenzeit einem Mordanschlag in Libyen zum Opfer gefallen ist. Bija kam im Mai 2017 nach Italien auf offizielle Regierungseinladung. Er besuchte das größte Flüchtlingscamp auf Sizilien, das Cara von Mineo, und war zu Gast im Kommando der italienischen Küstenwacht.
Bija gehörte zum Clan von Abu Hamyra, der auch die Öl-Raffinerie und den Hafen von Zawiyah schützte, von dem aus Italien Öl- und Gaslieferungen erhält. Die Aufgabe der Clans ist es, die italienischen Interessen zu schützen: Öl- und Gaslieferungen zu garantieren und die Migrantenzahlen niedrig zu halten. Die Migration ganz zu unterbinden, ist nicht im Interesse der Clans. Einige zehntausend arme Seelen, die in Italien pro Jahr landen, halten den Erpressungsdruck aufrecht, damit das Geld aus Europa weiter an die Clans fließt.
Wie geradezu herzlich die Beziehungen Italiens, ja direkt zwischen der Regierungschefin und den libyschen Miliz-Bossen sind, zeigte sich auch im Sommer 2024. Aus Anlass des Tripolis-Besuches von Giorgia Meloni am 7. Mai 2024 hatte Italien die libyschen Fußballteams nach Italien eingeladen, um dort die Endrunde der libyschen Fußball-Meisterschaft auszuspielen. Einer der Ehrengäste der italienischen Regierung war Abdel Ghani al-Kikli, auch bekannt als Gheniwa, Chef des "Stability Support Apparatus". Das ist eine Miliz, die sich auf das Einfangen von Migranten an Land und auf See spezialisiert hat. Al-Kikli war auch schon Kommandant des berüchtigten Abu Salim-Gefängnisses. Natürlich ermittelt Den Haag auch gegen Al-Kikli wegen zahlreicher Verbrechen.
Spionage-Software eingesetzt, Hersteller distanziert sich
Ein neuer Geheimdienst-Leak zeigt, wie sehr sich Rom um den Schutz seiner Beziehungen nach Libyen bemüht - auch vor den eigenen Landsleuten. 90 Handys italienischer Journalisten und Aktivisten wurden mit der Spionage-Software "Graphite" der israelischen Firma Paragon infiziert. Unter den Spähzielen befinden sich der Direktor des investigativen Online-Newsmagazins "Fanpage" und der Missionschef einer privaten Seenotrettungsorganisation. Auch ein Mann, der Hilfe für Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Sudan organisierte, war betroffen.
Paragon, Weltmarktführer im Ausspionieren von Handys, hat den Vertrag mit Italiens Regierung nach Bekanntwerden des Spionage-Angriffs sofort gekündigt. Das ist die Nachricht hinter der Nachricht: Paragon verkauft die Lizenz zum Ausspionieren privater Handys nur an demokratische Regierungen. Mehr als peinlich, dass Roms Regierung seit Monaten italienische Journalisten und NGO-Aktivisten ausspionieren ließ, aber strafgerichtlich gesuchte "mutmaßliche" Folterer mit dem Luxusflieger nach Hause brachte, um sie vor einem Prozess zu schützen.
Der Strafgerichtshof von Den Haag hat Italiens Regierung nun aufgefordert, die ausgebliebene Überstellung von Almasri nach Den Haag zu erklären. Im Gegenzug hat Roms Regierung einen Appell von 79 Ländern nicht unterschrieben, der US-Präsident Donald Trump um eine Rücknahme der angekündigten Sanktionen gegen den Gerichtshof bittet. Trump reagierte damit auf einen Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant wegen Menschenrechtsverbrechen in Gaza. Die EU-Kommission, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich stellen sich mit dem Brief schützend vor den Internationalen Strafgerichtshof. Italien reihte sich konsequenterweise nicht ein: Entweder für oder gegen das internationale Recht, beides zusammen geht nicht.
Quelle: ntv.de