Politik

"Unerbittliche Diplomatie" Biden zieht vor UN rote Linien neu

Hielt seine erste Rede als US-Präsident vor den UN: Joe Biden.

Hielt seine erste Rede als US-Präsident vor den UN: Joe Biden.

(Foto: AP)

Beim seinem ersten Auftritt vor den Vereinten Nationen macht US-Präsident Biden seine Prinzipien deutlich. Er warnt, rasselt aber nicht mit dem Säbel. Er will führen, aber nicht allein. Und er mahnt, die Menschheit stehe am Wendepunkt. Die Welt müsse sich entscheiden.

Der erfahrene Diplomat, der aus seiner Zeit als Senator und Vizepräsident ohnehin die Telefonnummer der Weltpolitik in der Hosentasche hat, der jeden Konflikt mit Verbindlichkeit und Kompromissen beilegen kann. So präsentiert sich Joe Biden seit seiner Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur in den USA. So verlief seine bisherige Amtszeit. Und so hat er sich nun auch vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York gezeigt.

Der US-Präsident ist am ersten Tag der Generaldebatte an der Reihe. Er spricht ruhig, eindringlich und strukturiert. Wie immer verhaspelt Biden sich ein paar Mal oder nuschelt die Worte mit kaum merklichen Mundbewegungen weg. Nichtsdestotz sind seine Botschaften deutlich. Die Welt befinde sich an einem "Wendepunkt der Geschichte", sagt er: "Unsere Entscheidungen werden viele Generationen nachwirken." Die Herausforderungen könnten nur gemeinsam gelöst werden.

Es geht um die Zukunft in globaler Perspektive: Um Klimawandel, Chancen und Gefahren von Technik und einen möglichen Kampf der Systeme. Für die Menschheit herrsche "Code Red", warnt er, die höchste Alarmstufe. Dieses Jahrzehnt bestimme die Zukunft aller. Es ist nicht so, als führe Biden am Rednerpult der UN etwas komplett Neues aus. Aber er fasst es vielleicht in der umfassendsten außenpolitischen Rede zusammen, die er in seiner Amtszeit bisher gehalten hat.

Bidens Vorgänger Donald Trump hatte vor den Vereinten Nationen sein "America First"-Prinzip vehement vertreten, die Welt aufgeteilt in Freunde und Feinde. Biden ist diplomatischer, unterstreicht aber den internationalen Anspruch: Die Vereinigten Staaten wollten die Welt "in allen großen Herausforderungen unserer Zeit führen". Der globale Wettbewerb finde zwischen Demokratien und Autokratien statt. Aber, betont der Präsident: "Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg oder eine geteilte Welt."

Treuebekenntnis an Verbündete

Biden zeichnet Linien nach oder neu, die Trump verändert hatte. Manche davon sind rot. "Militärische Stärke sollte der letzte Ausweg sein, nicht der erste", sagt Biden. Aber die USA würden weiterhin alle ihre Verbündeten verteidigen. Für den Nahostkonflikt hält er die Zwei-Staaten-Lösung für den besten Ausweg, auch für Israel. Er betont, sein Land sei wieder an die internationalen Verhandlungstische zurückgekehrt: zum Pariser Klimaschutzabkommen, zur Weltgesundheitsorganisation und in die Gespräche, um das Atomabkommen mit dem Iran wiederzubeleben. China erwähnt er nicht, wohl aber den Indo-Pazifik als wichtigste Weltregion für die Zukunft.

Die USA seien bereit, mit jedem über das eine zu verhandeln, auch wenn es unüberbrückbare Differenzen in anderen Themenfeldern gibt. "Unerbittliche Diplomatie statt unerbittlichen Krieg", kündigt er an und spricht vom ersten Moment seit zwei Jahrzehnten, in dem sich die USA nicht mehr im Krieg befänden. Dies soll aber offenbar nicht als Schwäche ausgelegt werden. Denn er betont, wie sein Land gelernt habe, den Terror auf andere Weise zu bekämpfen, erwähnt die Wichtigkeit von regionalen Partnern. Das kann getrost als Hinweis an die Taliban in Afghanistan und mögliche Verbündete in anderen Ländern gewertet werden.

Die Ansprüche Bidens sind ein anspruchsvoller außenpolitischer Spagat. Etwa bei den Menschenrechten. Die seien "in unsere DNA eingeprägt", sagt Biden über die Motivation seines politischen Handelns. Es gehe um menschliche Würde, betont er, erwähnt Frauenrechte, geht ein auf die Notwendigkeit von Infrastruktur und Verkehrswegen in Ländern mit niedrigeren mittleren Einkommen. Er weist darauf hin, wie übermäßiger Reichtum Einzelner die breite Masse benachteilige.

Das alles klingt nachvollziehbar, Bidens Rede ist fast schon meisterhaft geschliffen. Er zeigt Emotionen, große Perspektiven und macht außenpolitische Positionen der USA deutlich.

Scheitern nicht ausgeschlossen

Mehr zum Thema

Kritik dürfte aufkommen, wenn man die einzelnen Punkte der Realität gegenüberstellt. Die Vereinigten Staaten stießen zuletzt etwa die Partner in NATO und EU vor den Kopf, weil sie unzureichend über den Abzug aus Afghanistan informiert wurden. In der vergangenen Woche lösten sie eine diplomatische Krise mit Frankreich aus, weil sie hinter Paris' Rücken monatelang einen U-Boot-Deal mit Australien aushandelten. Die mittelfristige Verlässlichkeit der USA wird seit Trumps diplomatischen Volten ohnehin mehr infrage gestellt. Die Klimakrise etwa bekämpfte Bidens Vorgänger nicht, sondern baute vielmehr Hindernisse für die Kohle- und Ölindustrie ab.

Die USA wollten ihre CO2-Emissionen bis 2030 halbieren und bis 2050 Klimaneutralität erreichen, sagt Biden nun. Dies und die Appelle an andere Nationen, bei der Weltklimakonferenz in Glasgow im November "die höchsten Ziele" einzubringen, klingen zwar nach großer Vision und internationaler Führung. Doch der Präsident hat große Probleme, in den USA im Rahmen seines grünen Infrastrukturpakets die entsprechende Gesetzgebung auf den Weg zu bringen. Seit Monaten ringen die Parteiflügel der Demokraten und die oppositionellen Republikaner darum. Biden warnt auf internationaler Bühne so auch vor seinem eigenen möglichen Scheitern: "Wir nähern uns buchstäblich dem Punkt ohne Wiederkehr."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen