Politik

Transnistrien und sein Sheriff Das Land, das es nicht gibt

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Ein Panzer steht als Mahnmal auf dem zentralen Platz Tiraspols, im Hintergrund links der oberste Sowjet des De-facto-Landes.

(Foto: Julian Vetten)

Östlich des Flusses Dnister liegt das letzte Bollwerk des Kommunismus in Europa. Zumindest auf dem Papier, denn offiziell existiert das Land nicht. Es wird von einem Konzern regiert, der unkommunistischer kaum sein könnte.

Dafür, dass es sein Land gar nicht gibt, lässt sich der grimmig dreinschauende Grenzpolizist viel Zeit bei der Kontrolle der ankommenden Autos. Vielleicht denkt er, etwas nachholen zu müssen. Seine ukrainischen Kollegen auf der anderen Seite der Brücke hatten lediglich einen flüchtigen Blick in den Wolga geworfen und das altersschwache Gefährt dann gelangweilt durchgewunken - genau wie alle anderen wartenden Fahrzeuge. Und irgendjemand muss ja hier für Recht und Ordnung sorgen, schließlich gilt es, das letzte Bollwerk des Kommunismus in Europa zu verteidigen. Als es unter der brütend heißen Schwarzmeersonne dann doch irgendwann weitergeht, gewährt ein simpler Papierschnipsel Eintritt in das Land, das trotz objektiver Nichtexistenz an diesem 2. September seinen 28. Geburtstag feiert: Transnistrien.

Das Land, das völkerrechtlich zu Moldawien gehört, bezeichnet sich selbst als "Pridnestrowische Moldauische Republik" - und wird von keinem Land der Welt anerkannt, nicht einmal von seiner Schutzmacht Russland. Gerade einmal 200 Kilometer lang und nur zwei bis zwanzig Kilometer breit ist das Gebiet. Wer einmal zu stark aufs Gas tritt, ist also im Grunde genommen schon wieder über die nächste Grenze. Trotzdem geht von dieser abtrünnigen Region eine eigenartige Faszination aus: Es ist, als sei hier die Zeit stehengeblieben, heißt es von denen, die schon mal da waren, und Transnistrien als "Freilichtmuseum des Kommunismus" bezeichnen.

In der Hauptstadt Tiraspol sieht es auf den ersten Blick tatsächlich so aus, wie man sich eine sowjetische Stadt der ausgehenden 1980er eben so vorstellt: Kinder spielen unter einem echten Mig-19-Kampfjet auf einem öffentlichen Platz Fangen, ein paar Hundert Meter Luftlinie entfernt erinnert ein T-34-Panzer an den Kampf der Roten Armee gegen Hitlerdeutschland im Zweiten Weltkrieg. Und überall, wo man hinschaut: Hammer und Sichel - gefühlt mehr als die Hauptstadt Einwohner hat, rund 150.000 an der Zahl. Die heruntergekommenen Plattenbauten an den Einfallstraßen Tiraspols tun ihr Übriges für den ersten Eindruck.

Ein neuer Sheriff in der Stadt

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Das Weiß-blau-rot des Sheriff-Konzerns ist in Transnistrien häufiger als die Landesflagge zu sehen.

(Foto: flickr)

Der allerdings täuscht, denn kommunistisch ist der Phantomstaat nur noch an oder Oberfläche. Es gibt zwar ein Parlament, den Obersten Sowjet, faktisch ist Transnistrien aber bereits seit langem in der Hand eines einzigen, alles beherrschenden Players mit bezeichnend unkommunistischem Namen: Sheriff.

"Mitte der 90er ging es hier drunter und drüber", erinnert sich Svetlana, die in einem Vorort Tiraspols wohnt, an die Zustände nach dem Fall der Sowjetunion und der darauf folgenden Unabhängigkeitserklärung von Moldawien. Svetlana, Anfang 70, wohnte schon zu Sowjetzeiten in Tiraspol und erlebte den blutigen Bürgerkrieg, der Anfang der 1990er mehr als 1000 Tote auf beiden Seiten des Grenzflusses Dnister forderte, hautnah mit. Nach dem Einschreiten der Überreste der ehemaligen 14. Sowjetarmee fror der Konflikt ein, in der isolierten De-facto-Republik Transnistrien herrschten daraufhin anarchische Zustände. "Und Sheriff, das sind die Typen, die damals aufgeräumt haben", sagt Svetlana.

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Auf der "Straße des 25. Oktober", der Prachtstraße der Hauptstadt, hat man wie überall in Transnistrien freie Fahrt.

(Foto: Julian Vetten)

Das allerdings ist, wenn überhaupt, die halbe Wahrheit: Sheriff, von zwei ehemaligen KGB-Offizieren gegründet, war in seiner Anfangszeit nichts weiter als eine "Firma" mit mafiösen Strukturen und Geschäftspraktiken unter vielen. Anders als die anderen "Businessmen", wie Gangster im postsowjetischen Raum bis heute genannt werden, zog die Organisation die Bevölkerung allerdings auf ihre Seite, indem sie die Anarchie auf den Straßen bekämpfte. Mit Erfolg: Von einer Revolution alleine kann kein Mensch auf Dauer überleben, Ordnung und Sicherheit war den Tiraspolern wichtiger als die Etablierung eines Rechtsstaats.

In den vergangenen 20 Jahren stampfte Sheriff ein regelrechtes Imperium aus dem Boden. Dem Konzern gehören heute sämtliche Tankstellen Transnistriens, die einzige Supermarktkette des Landes, ein Fernsehsender, der Mobilfunkkonzern, ein Verlag und sogar ein international spielender Fußballclub. Ohne Sheriff geht nichts in Transnistrien, die weiß-blau-roten Farben des Konzerns sind häufiger zu sehen als das Rot-Grün der Landesfahne. Dass der Konzern seine Finger auch im Banken- und Glücksspielgeschäft hat sowie das quasi rechtsfreie Transnistrien zu einem Drehkreuz für Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggel umgebaut haben soll, passt da nur ins Bild.

Massive Abwanderung

Durch seine erdrückende Monopolstellung in allen wichtigen Branchen diktiert Sheriff nicht nur die wirtschaftlichen Geschicke des Landes, auch politisch passiert nichts gegen den Willen des Konzerns. Das liegt unter anderem daran, dass ein Großteil der Abgeordneten bis hin zum Präsidenten früher einmal für Sheriff tätig war: Wadim Krasnoselski, seit Dezember 2016 offiziell politischer Führer der Republik, stand lange Jahre als Sicherheitschef von Sheriff in Lohn und Brot.

So richtig schlecht geht es den Transnistriern zwar nicht unter der Allmacht von Sheriff. Straßen und die allgemeine Versorgungslage sind besser als im ungeliebten Mutterland Moldawien und verhungern muss hier auch niemand. Das hat allerdings vor allem mit dem enorm fruchtbaren Boden östlich des Dnisters zu tun: Die allermeisten Transnistrier sind Selbstversorger - kein Wunder bei einem Durchschnittslohn von 250 Dollar im Monat. Zwar bekommt man Grundnahrungsmittel wie einen Laib Brot schon für 15 Cent. In den Sheriff-Supermärkten erreichen die Preise für viele andere Konsumgüter dafür fast schon deutsches Niveau.

Deshalb und wegen der Isolation des Landes auf kultureller und wirtschaftlicher Ebene kehren die Transnistrier ihrem Land in Scharen den Rücken zu: Experten schätzen, dass sich die Bevölkerung der einstigen sowjetischen Schatzkammer in den vergangenen 20 Jahren fast halbiert hat, auf gerade einmal noch 500.000 Menschen. Auch Svetlanas Kinder sind schon seit langem von Tiraspol nach Nordrhein-Westfalen ausgewandert und kommen nur noch alle Jubeljahre zu Besuch. Für Svetlana käme eine Exodus dafür niemals in Frage: "Was wollt ihr denn im Ausland? Da gibt es doch nur Kriminelle und Vergewaltiger, auf den Straßen ist niemand sicher", sagt die Frau, die ihr Heimatland noch nie verlassen hat. Sie feiert lieber den 28. Geburtstag ihres Staates, den es eigentlich gar nicht gibt.

Quelle: ntv.de

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