Politik

"Keine Anschrift, kein Büro" Die Antifa, ein Teil der Zivilgesellschaft?

Teilnehmer der "Welcome to Hell"-Demo gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Im Anschluss an die Demonstration kam es zu schweren Ausschreitungen.

Teilnehmer der "Welcome to Hell"-Demo gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Im Anschluss an die Demonstration kam es zu schweren Ausschreitungen.

(Foto: picture alliance / Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa)

"Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!" - unter diesem Motto führte die KPD Ende der 1920er Jahre den Kampf gegen die erstarkende NSDAP von Adolf Hitler. 1932 gründete sich die "Antifaschistische Aktion", die in verschiedenen Ausprägungen bis heute besteht - und polarisiert, wie der Historiker Richard Rohrmoser in seinem Buch über die "Antifa" schreibt.

Im Interview mit ntv.de erklärt Rohrmoser, warum der einseitige Fokus auf den berühmt-berüchtigten "Schwarzen Block" falsch ist und warum es die Antifa für den Kampf gegen rechts braucht.

ntv.de: Wenn es die autonome Antifa in die Schlagzeilen schafft, dann meist begleitet von martialischen Bildern - denken wir an G20 in Hamburg: schwarz gekleidete Vermummte hinter schwarzen Transparenten, meist brennt irgendetwas, Bengalos oder gleich Barrikaden. Sie zeichnen ein etwas anderes Bild von der Antifa - als wertvollen Teil der Zivilgesellschaft. Wie kommen Sie darauf?

Richard Rohrmoser: In meinem Buch möchte ich die antifaschistische Bewegung differenziert betrachten und auch in gewisser Weise entdämonisieren, weil in den Medien dieses Bild vom Schwarzen Block dominiert.

Richard Rohrmoser ist Zeithistoriker und assoziierter Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität Mannheim. Er beschäftigt sich mit Protestgeschichte, sozialen Bewegungen sowie historischer Friedens- und Konfliktforschung.

Richard Rohrmoser ist Zeithistoriker und assoziierter Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität Mannheim. Er beschäftigt sich mit Protestgeschichte, sozialen Bewegungen sowie historischer Friedens- und Konfliktforschung.

(Foto: privat)

Was ist daran falsch?

Nach meiner Definition besteht die antifaschistische Bewegung aus linken Strömungen, Initiativen, NGOs, Parteien und Gewerkschaften, die oftmals gemeinsame Aktionen, Strukturen und Politikansätze haben. Der gemeinsame Nenner ist das Engagement gegen Faschismus und damit verbundene Tendenzen: Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Sexismus, Geschichtsrevisionismus.

Wen rufe ich denn an, wenn ich die Antifa sprechen will?

Das wird ein schwieriges Unterfangen, denn "die Antifa" existiert so gar nicht. Es gibt daher keine Anschrift, kein Büro oder keine offiziellen Sprecher:innen - sondern viele Gruppen. Ich zähle etwa auch die Amadeu-Antonio-Stiftung dazu, das Anne-Frank-Zentrum oder "Blick nach rechts".

Der große Unterschied ist, dass die "Autonome Antifa", also der Schwarze Block, ausdrücklich auch Gewalt zum Mittel der Wahl zählt. "Antifa heißt Angriff", wird bei Demos skandiert. Herrscht darüber Konsens in der Szene?

Diesen militanten Charakter haben in erster Linie die autonomen Gruppen. Entstanden sind sie Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, weil viele Antifaschistinnen nicht weiter auf den Staat vertrauen wollten, wenn es um die Bekämpfung von rechtsextremen und rassistischen Aktivitäten und Strukturen ging. Sie schrieben sich explizit auf die Fahnen, Neonazis vor Ort und direkt bekämpfen zu wollen. Sie sehen sich auch oftmals nicht zu Unrecht als kollektiver Seismograf von antidemokratischen, antiegalitären, faschistischen und ausgrenzenden Tendenzen in der Gesellschaft. Es sind aber nicht alle autonomen Antifa-Gruppen militant, einige setzen sich für explizit friedliche Protestaktionen im Stile des zivilen Ungehorsams ein.

Sogar der bayerische Verfassungsschutz hat jüngst eingeräumt, dass Antifa-Aktivisten teils besser Bescheid wissen über die rechte Szene als der Staat. Der Attentäter von Henriette Reker zum Beispiel wurde von der Antifa als Rechtsradikaler enttarnt. Wie sieht die Arbeit der Antifa aus?

Darin liegt die große Leistung der antifaschistischen Gruppen in den letzten Dekaden: Sie arbeiten kleinteilig und akribisch, recherchieren die Strukturen der Rechtsextremen digital wie auch analog und sind dadurch oft besser im Bilde als staatliche Behörden. Deswegen haben diese Antifa-Gruppen alles in allem betrachtet für mich durchaus den Charakter einer sozialen Bewegung, weil sie antifaschistische Aufklärungs- und Bildungsarbeit leisten. In der Geschichte waren sie häufig ein Korrektiv für staatliche Defizite, siehe die pogromartigen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und anderswo in den 90er Jahren: Der Staat und die Zivilgesellschaft haben danach resoluter auf rassistische Umtriebe reagiert, weil sie von Antifa-Gruppen dafür sensibilisiert worden sind.

Dieser "Fahndungs-Antifaschismus" ist das eine, welchen Aktionsformen bedient sich die Antifa noch?

Das reicht von antifaschistischer Aufklärungs- und Bildungsarbeit mit Podien, Diskussionen, Infoständen über friedliche Protestaktionen wie Sitzblockaden bis hin zu Sabotage - Graffiti sprayen, Farbbeutel werfen, Türschlösser verkleben, Autoreifen zerstechen, Fensterscheiben zerstören. Und natürlich immer wieder Gewalt gegen den politischen Feind, oder Steinwürfe und Molotow-Cocktails bei Demonstrationen. Das Aktionsfeld ist sehr, sehr breit.

Zu den bekannten Slogans gehört nicht nur "Nazis aufs Maul", sondern auch das Kürzel "ACAB", also "All Cops are Bastards". Wer ist denn der politische Gegner der Antifa: Faschisten, der Staat, oder beide?

In erster Linie richtet sie sich schon gegen Faschistinnen. Allerdings geht damit oft einher, dass sie sich über das Gewaltmonopol des Staates hinwegsetzt.

Was beim Träger des Gewaltmonopols nicht gut ankommt. Immer wieder werden aus Demos heraus Beamte angegriffen. Auf der anderen Seite hat man das Gefühl, die Antifa ist ein regelrechtes Feindbild für die Polizei, die gegen linke Demos härter vorgeht als gegen andere. Lässt sich dieser Konflikt auflösen?

Erst einmal teile ich den Eindruck, dass die Polizei bei linken Kundgebungen konfrontativer agiert. Ich fand es frappierend, dass der ehemalige Innenminister Horst Seehofer sich gegen eine Studie zu rechtsextremen Tendenzen in der Polizei verwahrt hat. Umso erleichterter bin ich, dass seine Nachfolgerin Nancy Faeser diese Untersuchung für sinnvoll erachtet, die vielleicht Aufschluss geben könnte über diesen konfrontativen Ansatz.

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Tatsächlich sind die Fronten sehr verhärtet. Ein Teil der linken Szene hat gar nicht den Anspruch oder den Willen, dass diese Demonstrationen friedlich verlaufen und bleiben. Besonders deutlich wurde das ja etwa bei der großen Anti-G20 Demo 2017 in Hamburg, die unter dem Motto "Welcome to Hell" lief. Das ist eine Gewaltspirale, die sich da in den letzten Dekaden in Gang gesetzt hat, und ich weiß gar nicht, wie sich die wieder auflösen lässt, weil beide Seiten schon mit so einer Erwartungshaltung hereingehen, die dann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird.

Ist die Gewalt der Grund, warum die Diskussion um die Antifa so erhitzt läuft? Die AfD will sie rundheraus verbieten, die Gewerkschaft der Polizei bezeichnete sie 2020 in der eigenen Zeitschrift als "Kriminelle".

Der Punkt ist sicher maßgeblich. Ganz grundsätzlich bietet die Antifa auch eine enorme Projektionsfläche für viele ideologische und gesinnungspolitische Kämpfe: Man kann Linke mit Verweis auf die eskalierenden Aktionen der Antifa in die Ecke des sogenannten Linksextremismus rücken und damit substanziell diskreditieren. Gleichzeitig sind viele Antifa-Gruppen in geradezu apodiktischer Weise von ihren Positionen und den daraus resultierenden Aktionen überzeugt und reagieren gereizt auf Kritik.

Kann es sein, dass sie auch als Projektionsfläche taugt, weil man so wenig über die Antifa weiß? Es gibt ein unter Linken beliebtes Video, in dem Donald Trump über die Antifa wettert - aber offensichtlich nichtmal den Namen richtig aussprechen kann.

Eine Journalistin der "Zeit" hat die antifaschistische Bewegung mal besonders schön als die eierlegende Wollmilchsau der Symbolpolitik beschrieben, weil sie für ihre Gegnerinnen diese große Projektionsfläche für sämtliche unliebsame Werte und Ideale bietet. Besonders offenkundig wurde das vor zwei Jahren bei Donald Trump, der versucht hat, "Black Lives Matter" dieses Label "Antifa" zu etikettieren und damit diese friedfertige, breite Bewegung zu diskreditieren, diffamieren und sie letztendlich in die Nähe von Terroristen zu rücken.

Hintergrund

Die "Antifaschistische Aktion" gründete sich offiziell im Juli 1932 auf Initiative der KPD. Schon vorher hatten militante linksradikale Gruppen aus Arbeitern und Gewerkschaftern sich Straßenkämpfe mit SA und SS geliefert. Nach dem Krieg gründeten Verfolgte des NS-Regimes und Holocaust-Überlebende die ersten antifaschistischen Gruppen. In den 80er-Jahren, schreibt Rohrmoser, entstanden die autonomen Antifa-Gruppen, überwiegend dominiert von jungen, weißen Männern im Alter zwischen 16 und 30 Jahren. Sie kokettierten mit dem Bild des schwarzgekleideten, hypermaskulinen Straßenkämpfers und Steinewerfers. Erst in den 90er Jahren diversifizierte sich die Szene, beispielsweise durch die feministische Fantifa oder migrantische Gruppen. In den letzten 20 Jahren kam es zum "cultural turn": Die Antifa wurde Pop, Kleidung spielt eine wichtige Rolle, genau wie Events und Symbolpolitik. "Es ist eine eigenständige Jugend- und Popkultur entstanden", schreibt Rohrmoser.

Dieses Nicht-Wissen treibt mitunter ganz lustige Blüten. Es gibt einen Satire-Twitteraccount der "Antifa GmbH", der mit dem Mythos spielt, der Staat finanziere den Schwarzen Block durch "Demogelder". Aber steckt dahinter nicht ein Problem: Dass die Antifa nämlich komplett klandestin agiert, nicht mit der Presse spricht, sich isoliert?

Ich recherchiere und referiere seit Jahren über die antifaschistische Bewegung, als kritischer Sympathisant. Selbst ich habe Probleme, mit autonomen Gruppen in Kontakt oder ins Gespräch zu kommen. Wenn Antifas nicht auf Podien kommen, weil dort vielleicht Verfassungsschützer sitzen könnten, kann ich das nachvollziehen. Aber dennoch ist die Kommunikationskultur im Sinne einer offenen Gesellschaft, die sie angeblich schaffen wollen, eher defizitär.

Können Sie denn sagen, wie groß die Antifa-Gruppen sind, zahlenmäßig?

Dazu kann ich keine seriöse Auskunft geben. Fakt ist, dass oft schon in Kleinstädten ab 20.000 Einwohnern Gruppen agieren, die sind aber eben keine e.V., sondern sehr fluide und situationsbezogene Zusammenschlüsse.

Wenn die Antifa breite Erfolge hatte, schreiben Sie, dann in Bündnissen. Wie ist das Verhältnis von autonomen Antifas zu "gemäßigten" Antifaschisten?

Die Antifa wäre in der Öffentlichkeit deutlich respektierter, wenn sie öfter diese breiten Bündnisse mit dezidiert friedlichen Bündnissen eingehen würde, wie etwa bei den Demonstrationen, Lichterketten und Sitzblockaden gegen den Aufmarsch von Rechtsextremisten jedes Jahr am 13. Februar in Dresden - und diese Proteste nicht als naiv und wirkungslos abtun würde. Leider schließen die autonomen Gruppen solche Bündnisse aber nur sehr punktuell.

Mit Richard Rohrmoser sprach Christian Bartlau

Quelle: ntv.de

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