Politik

Schicksalswahl am Kap Die jungen Südafrikaner wenden sich von der Demokratie ab

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Auf den ersten Blick sah beim Wahlkampfabschluss des ANC in Soweto alles aus wie immer. Aber die seit 30 Jahren allein regierende Partei schaffte es nicht, das Stadion zu füllen.

Auf den ersten Blick sah beim Wahlkampfabschluss des ANC in Soweto alles aus wie immer. Aber die seit 30 Jahren allein regierende Partei schaffte es nicht, das Stadion zu füllen.

(Foto: picture alliance / newscom)

Eine Mehrheit der jungen Südafrikaner glaubt nicht, dass die Politik Lösungen für ihre Probleme hat. Am Mittwoch wird in Südafrika gewählt. Was geschieht mit einer Demokratie, in der ein bedeutender Teil der Bevölkerung einfach nicht mitmacht?

Fentse Malatji schließt ihren Rucksack. Der Laptop ist eingepackt, dazu ein Akku für das Handy, Snacks und ein besonderes Kartenspiel. Auf jeder Karte ist eine coole Grafik zu sehen und eine Frage. Zum Beispiel: Wann warst du das letzte Mal glücklich? Was wünschst du dir am meisten für die Zukunft? Glaubst du, es ist wichtig zu wählen?

"Wählen gehen oder nicht, das ist ein umstrittenes Thema", sagt Fentse. Die 25-Jährige arbeitet für die NGO Youth Capital, die sich für die Interessen der jungen Südafrikaner einsetzt. Sie weiß: Weniger als die Hälfte der 20- bis 29-Jährigen in Südafrika haben sich überhaupt für die Parlamentswahl registriert, die an diesem Mittwoch stattfindet. Wie viele davon auch tatsächlich wählen, ist ungewiss. Vor fünf Jahren waren es gerade mal 30 Prozent. "Junge Südafrikaner wollen eine Veränderung, sie glauben aber nicht, dass Demokratie der Weg ist", sagt Fentse. "Das bedeutet nicht, dass junge Wähler sich nicht engagieren. Sie finden andere Wege, ihr Leben zu verbessern. Wählen ist nicht ihr Mittel der Wahl."

Ein wahrscheinlicher Koalitionspartner des ANC sind die wirtschaftlich linksradikalen "Economic Freedom Fighters", EFF. Die Partei will weiße Großgrundbesitzer enteignen und würde vermutlich Investoren abschrecken.

Ein wahrscheinlicher Koalitionspartner des ANC sind die wirtschaftlich linksradikalen "Economic Freedom Fighters", EFF. Die Partei will weiße Großgrundbesitzer enteignen und würde vermutlich Investoren abschrecken.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Südafrika ist eine junge Demokratie, in mehr als einer Hinsicht. Das Durchschnittsalter der südafrikanischen Bevölkerung liegt bei gerade mal 28 Jahren. Damit könnte die Stimme der jungen Generation wahlentscheidend für Südafrika sein. Doch eine Mehrheit von ihnen glaubt nicht, dass Politiker Lösungen für ihre Probleme bieten. Vor allem nicht für das größte Problem, die Jugendarbeitslosigkeit: 30 Jahre nach dem Ende des rassistischen Apartheid-Systems sind 70 Prozent der Südafrikaner unter 25 arbeitslos. Die weitere Bilanz dieser Zeit, in der durchgehend der Afrikanische Nationalkongress ANC an der Macht war, ist ebenso katastrophal: In der Regierung grassiert die Korruption, sie hat den Staat regelrecht ausgehöhlt. Die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung lebt in bitterer Armut. Die Polizei steht kriminellen Banden machtlos gegenüber.

"Diese Wahl ist ein Wendepunkt"

Erstmals in der Geschichte des demokratischen Südafrika, so Umfragen, könnte der ANC bei der Wahl unter die 50-Prozent-Marke fallen. Alles andere wäre auch nicht verständlich. Doch was geschieht mit einer Demokratie, in der ein bedeutender Teil der Bevölkerung einfach nicht mitmacht?

"Diese Wahl ist ein Wendepunkt. Da wird viel Energie frei", sagt Morne Mostert, politischer Analyst und Mitglied im Club of Rome. "Südafrika hat freie und faire Wahlen, eine der besten Verfassungen der Welt, Pressefreiheit, eine robuste Justiz, aber diese Eckpfeiler der Demokratie haben das Leben der meisten Südafrikaner kein bisschen verbessert." Mostert spricht von einem "demokratischen Überschuss". Es gäbe mehr Freiheit als Wohlstand - das könne auf lange Sicht nicht funktionieren, vor allem nicht, wenn Politiker ihren Realitätssinn verlieren. "Da hat sich eine Menge Frust aufgestaut." Viele Beobachter warnen vor gewaltsamen Unruhen in Südafrika.

Mostert dagegen sieht die politische Entwicklung hoffnungsvoller. "In Südafrika leben 28 Millionen Bürger ausschließlich von Sozialleistungen. Das sind 45 Prozent der Bevölkerung", sagt er. Aber: "Unsere Bevölkerung ist dynamisch, jung, hat großes Potenzial. Unsere Alphabetisierungsrate steigt, die Verbreitung mobiler Technologien ebenso." Es gebe wirtschaftlich wachsende Zentren wie Kapstadt. "All das sind Zeichen einer möglichen zweiten Demokratiewelle, in der Südafrikas junge Generation eine sehr wichtige Rolle spielen wird."

Der Ausgang der Wahl in Südafrika ist auch für Deutschland von Bedeutung. "Das Land ist in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht auf dem afrikanischen Kontinent ein Gigant", sagt Gregor Jaecke, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung am Kap. "Südafrika ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Afrika, ein Kontinent, der überhaupt für Europa und auch für Deutschland immer wichtiger wird." 600 deutsche Unternehmen haben Niederlassungen in Südafrika, darunter große Automobilhersteller wie Volkswagen. Doch Außenpolitik und -wirkung dieser Wahl interessieren die jungen Südafrikaner kaum. Die große Ausnahme ist der Krieg im Gazastreifen. Die Unterstützung für die Palästinenser ist hier Allgemeingut.

Wahlkampf des ANC lief schleppend

Fentse Malatji sitzt inzwischen mit ihrem Kollegen Sibabalwe Nobandla in einem Taxi. "Wie soll Demokratie funktionieren, wenn so viele nicht an sie glauben?", fragt Sibabalwe. "Dann wäre der dreißigjährige Versuch hier ja eigentlich gescheitert. Ich glaube immer noch, es ist wichtig zu wählen. Aber wir müssen Lösungen finden, wie die Politik wieder für die Menschen arbeitet." Die Handys der beiden jungen Aktivisten bimmeln ständig. Nachrichten von Gleichgesinnten lotsen sie heute auf den Campus der University of Cape Town. Gerade jetzt sei es wichtig, flächendeckend mit jungen Wählern zu sprechen, ihre Bedürfnisse zu dokumentieren, um Konzepte und Programme zu gestalten und Druck auf die neue Regierung auszuüben, sagen beide. Und, ja, auch um Unruhen zu verhindern.

31 Parteien treten für die 400 Sitze des südafrikanischen Parlaments an. Anders als in Deutschland gibt es keine Sperrklausel. Der Wahlkampf des ANC lief eher gequält. Auf der letzten Großveranstaltung am Samstag schaffte es die Regierungspartei nicht, das Fußballstadion in Soweto zu füllen: 25.000 der 90.000 Sitze blieben leer. Wie immer wurden Teilnehmer auf Kosten der Partei in Bussen von weit her herangekarrt. Jeder bekam ein T-Shirt mit einem ANC-Slogan. Noch nie war deren Qualität so minderwertig, behaupten einige Beobachter. Obwohl Präsident Cyril Ramaphosa gebetsmühlenartig wiederholt, der ANC werde am Mittwoch wieder über 50 Prozent der Stimmen bekommen, sagen so gut wie alle Umfragen das Gegenteil.

Koalitionspartner entscheidet über die Richtung des Landes

"Dann wäre der ANC auf einen Koalitionspartner angewiesen", sagt Jaecke. Zum ersten Mal auf nationaler Ebene in der Geschichte des demokratischen Südafrika. Ein wahrscheinlicher Koalitionspartner wären die wirtschaftlich linksradikalen "Economic Freedom Fighters", EFF. Die von dem aus dem ANC rausgeworfenen Vorsitzenden Julius Malema angeführte Partei vereint vornehmlich frustrierte junge Wähler. "Wenn der ANC uns braucht, ist es gut. Wir sind nicht weit auseinander, was die Landfrage betrifft", sagte Malema vor wenigen Tagen. Er besteht auf einer Verstaatlichung von weißen Großgrundbesitzern. Eine Koalition zwischen ANC und EFF würde internationale Investoren abschrecken. Julius Malema musste sich wiederholt wegen offen rassistischer Äußerungen über weiße Südafrikaner vor Gericht verantworten.

"Wenn sich der ANC in Richtung politische Mitte bewegt und beispielsweise mit der größten Oppositionspartei, der Democratic Alliance, eine Koalition eingeht oder mit der sehr stark in der Provinz Natal verankerten Freedom Party, dann gehe ich davon aus, dass es eine Außenpolitik geben wird, die deutlich westlicher ausgerichtet ist, als das bei einer linken oder linkspopulistischen Regierung der Fall sein wird", so Jaecke.

Koalitionen sind eine gefährliche Angelegenheit, wenn Kompromisslosigkeit das politische Klima prägt. In Südafrika halten sie auf regionaler und Provinz-Ebene bisher nur kurz. Ganze Landstriche sind deshalb inzwischen unregierbar. Infrastruktur zerfällt, gewaltsame Proteste vor allem junger Bürger gehören zum Alltag. Und - auch das ist südafrikanische Realität - die Zahl politischer Attentate steigt mit der Zahl der Wahlergebnisse ohne klare Mehrheiten. Das gilt besonders in der Provinz Kwazulu Natal, wo der korrupte Ex-Präsident Jacob Zuma mit seiner neu gegründeten Partei MK antreten wollte. In letzter Minute entschied das Verfassungsgericht, er habe als strafrechtlich Verurteilter kein Recht, als Abgeordneter ins Parlament einzuziehen. Die MK verkündete sofort, die Partei werde trotzdem antreten und nach der Wahl durchsetzen, dass Zuma Präsident wird. Öffentliche Missachtung demokratischer Prozesse ist inzwischen in zahlreichen politischen Parteien Usus.

Vor der Universitätsbibliothek hat Fentse auf einem Tisch das Kartenspiel ausgepackt. "Es ist unser Werkzeug", sagt sie. "Mischen, eine Karte ziehen, schon sind wir mittendrin im Gespräch." Der Zufall diktiert das Thema, die Realität bestimmt den Ausgang. "Ich wähle nicht, was bringt das? Es ändert sich ohnehin nichts", sagt der erste Student. "Wen soll ich wählen? So viele Parteien. Ich glaube deren Versprechen nicht", sagt die zweite. Sie reden über die Schulden ihrer Eltern, die sie als Kinder abbezahlen müssen, die hohen Sprit- und Wohnungspreise, die geringen Chancen, einen Job zu bekommen. Fentse nimmt alles mit ihrem Handy auf.

Quelle: ntv.de, Nicole Macheroux-Denault

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