Umkehr der Beweislast Gabriel will Schwert schärfen
19.07.2007, 07:43 UhrNach den Pannenserien in den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel haben die zuständigen Minister in Bund und Land eine Änderung des Atomgesetzes gefordert.
Bisher muss der Staat für einen Lizenzentzug dem Betreiber nachweisen, dass er nicht die Zuverlässigkeit besitzt, Nuklearanlagen sicher zu betreiben. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte, er prüfe, "ob nicht eine Umkehr der Beweislast für die Sicherheit eines Atomkraftwerkes der bessere Weg ist", sagte Gabriel. Politische Mehrheiten für eine dafür nötige Änderung des Atomgesetzes seien allerdings nicht leicht zu finden.
Die Chance, unzuverlässigen Betreibern die Lizenz zu entziehen, beurteilt Gabriel als gering: "Das ist nur ein stumpfes Schwert." In der Regel würden die Betreiber Personal auswechseln und damit die Eingriffsmöglichkeiten der Atomaufsicht zunichte machen.
Streit um Laufzeiten-Tricks
Gabriel hatte sich zuvor in Kiel mit der auf schleswig-holsteinischer Seite zuständigen Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) getroffen. Dabei hätten sie auch über eine solche Änderung des Atomgesetzes beraten, sagte Trauernicht. Am 28. Juni waren die Meiler Krümmel und Brunsbüttel nach Pannen vom Netz gegangen. Das AKW Krümmel liefert seitdem keinen Strom.
Gabriel erneuerte seinen Appell an die Atomkonzerne, bei der Übertragung von Laufzeiten einen Kurswechsel zu vollziehen, nämlich "ältere und gefährlichere Kernkraftwerke abzuschalten und auf jüngere und sicherheitsoptimierte Meiler zu übertragen".
Konzerne wollen neue Anlagen schließen
Die Energiekonzerne streben jedoch das Gegenteil an: Sie wollen Laufzeiten von modernen Anlagen auf ältere übertragen, brauchen dazu aber Gabriels Genehmigung.
Umweltstaatssekretär Michael Müller (SPD) hatte den Stromkonzernen im Gespräch mit n-tv.de "Trickserei" vorgeworfen. Ihr Versuch, Restlaufzeiten von neuen auf alte Kraftwerke zu übertragen, sei "sehr durchsichtig, weil mit alten, abgeschriebenen Atomkraftwerken sehr viel mehr Geld zu verdienen ist". Ende des Sommers wollen beide Seiten miteinander sprechen.
Gabriel bringt innere Sicherheit ins Gespräch
Die CDU forderte Gabriel auf, ihre Haltung zur Laufzeit von Atomkraftwerken auch unter dem Aspekt der inneren Sicherheit zu überdenken. "Wenn die terroristische Bedrohung in Deutschland tatsächlich so groß ist, macht es keinen Sinn die Laufzeit gerade von den Reaktoren zu verlängern, die gegen Flugzeugabstürze am wenigsten gesichert sind", sagte er. Außerdem forderte Gabriel neue Sicherheitsmaßnahmen für Kernkraftwerke.
Unter anderem sollen Vorschläge aus Schleswig-Holstein geprüft werden, ob durch Videoaufzeichnungen in den Schaltzentralen der Atommeiler die Gefahr von Kommunikationsproblemen vermindert werden könne, sagte Gabriel. "Es ist sinnvoller, in die Schaltzentralen der Atommeiler als in die Schlafzimmer der Bundesbürger zu schauen", sagte Gabriel im Hinblick auf die laufende Debatte über neue Sicherheitsgesetze.
165 prekäre Sicherheitsmängel in Brunsbüttel
Beim Vattenfall-Atomkraftwerk Brunsbüttel ist nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) mit mehr Sicherheitsmängeln zu rechnen als bekannt. Diese könnten auch Sozialministerin Trauernicht in politische Schwierigkeiten bringen, sagte der Umwelthilfe-Politikleiter Gerd Rosenkranz. Eine seit Mitte letzten Jahres auch Trauernicht bekannte Analyse von Gutachtern habe rund 650 offene Punkte ausgewiesen, "von denen sich 165 als besonders prekär erwiesen".
Trauernicht will heute dem Fachausschuss des Landtages einen umfassenden Bericht zu den Vorgängen in Krümmel vorlegen. Sie wirft darin dem Betreiber Täuschung der Öffentlichkeit vor. So enthielten Presse-Informationen Darstellungen, die Vattenfall zu dem Zeitpunkt als falsch hätten bekannt sein müssen.
Wieder ein Problem
Unterdessen reißen die Meldungen über Probleme im Kernkraftwerk Brunsbüttel nicht ab. Bei einer Überprüfung im Sicherheitssystem wurden Abweichungen an Dübelplatten festgestellt. Bei Dübelplatten, mit denen Rohrleitungen am Bauwerk befestigt werden, seien zu große Bohrungen entdeckt worden. Der Betreiber habe mit Arbeiten an den mangelhaften Platten begonnen und überprüfe weitere Platten. Der Reaktor bleibt solange vom Netz getrennt.
Brunsbüttel war am Mittwochmorgen zum dritten Mal innerhalb von drei Wochen unplanmäßig heruntergefahren worden, weil Auffälligkeiten in Ölleitungen mit einem Ölwechsel behoben werden mussten.
Quelle: ntv.de