Politik

60 Jahre Bundeswehr Gefechte wurden schlimmer, die Angst auch

In ihrer 60-jährigen Geschichte hat sich die Bundeswehr immer wieder neu erfunden. Soldaten aus vier Generationen erzählen, wie sie zur Armee kamen und was die Zeit dort mit ihnen gemacht hat.

Anton Steer war schon bei der Bundeswehr, bevor sie so hieß.

Anton Steer war schon bei der Bundeswehr, bevor sie so hieß.

(Foto: dpa)

Generation Kalter Krieg: Anton Steer, 80, Generalmajor a.D., gehörte zu den ersten 500 Auszubildenden der Bundeswehr. Am 2. Januar 1956 erhält er in Andernach am Rhein eine Ernennungsurkunde, mit der er als Kanonier in die "neuen Streitkräfte" der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wird - den Namen Bundeswehr gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

"Das war ein sehr unzeremonielles Ereignis", erinnert sich Steer. Drei Wochen später begegnet er in Andernach Bundeskanzler Konrad Adenauer, der lange für die Wiederbewaffnung gekämpft hat. Steer teilt die Auffassung des Regierungschefs. "Ich habe sehr früh gesagt: Ich will unser Land wieder groß und stark sehen. Ich will eine Heimat haben, mit der man geachtet ist." Deshalb unterstützt er die Integration Deutschlands in ein westliches Militärbündnis, die Nato.

Mit seiner Meinung gehört Steer allerdings zu einer Minderheit. Drei Viertel der Deutschen lehnen die Wiederbewaffnung nur zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ab. Auch Steer hat die Grausamkeiten des Krieges erlebt. Als Kind sieht er, wie eine Fliegerbombe einen Sanitätszug trifft. Die Lehre daraus ist auch für ihn: Nie wieder Krieg. "Die Frage ist nur, wie man das "Nie wieder" sicherstellt", sagt er. "Da scheiden sich Geister."

Für Steer ist die Strategie des Kalten Krieges, die Herstellung der Wehrhaftigkeit und Abschreckung des Gegners, der richtige Weg. Drei Jahre bevor er als Generalmajor in den Ruhestand geht, fällt der Eiserne Vorhang. "Ich hatte das Gefühl, eine Lebensaufgabe ist für mich in Erfüllung gegangen."

Mit der Bundeswehr von heute fremdelt er ein wenig. Zwar hält er die Einsatzarmee unter den jetzigen Bedingungen für richtig. "Vom Emotionalen her bin ich aber noch ein Angehöriger der Wehrpflichtarmee", sagt er. Die Wehrpflicht wurde neun Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Truppe ausgesetzt.

Dieter Wussow kam über die NVA zur bundesdeutschen Armee.

Dieter Wussow kam über die NVA zur bundesdeutschen Armee.

(Foto: dpa)

Generation Einheit: Dieter Wussow, 55, Oberstleutnant, wurde von einem Tag auf den anderen Soldat des ehemaligen "Klassenfeindes". Am 2. Oktober 1990 tritt er an seinem Heimatstandort Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern zum letzten Appell der Nationalen Volksarmee an.

"Es war eine seltsame Stimmung, weil man wusste, eine Ära geht zu Ende", erzählt er heute. Tags drauf trägt er eine neue Uniform - die der Bundeswehr, die mehr als drei Jahrzehnte im Kalten Krieg für die NVA der Gegner jenseits des Eisernen Vorhangs war. 89.000 Soldaten der DDR-Streitkräfte werden am Tag der Einheit in die Bundeswehr aufgenommen. Acht Jahre später sind noch 9300 von ihnen übrig, heute sind es nur noch 2200. Der 55-jährige Wussow ist einer von ihnen.

Im Alter von 15 Jahren wird der aus einem kleinen Dorf mit elf Häusern bei Greifswald stammende Bauernsohn von der NVA angeworben. Er ermöglicht sich so eine Ausbildung als Elektronik-Facharbeiter und wird später Fernmelder. Zu Hause kann er zwar Westfernsehen sehen, allerdings werden häufiger US-Serien wie "Dallas" als die Nachrichten eingeschaltet. "Der Mauerfall war für uns überraschend", sagt Wussow. Die folgenden Monate herrscht Chaos in der NVA. "Man wusste nicht so richtig, wo es hingeht. Alle Informationen waren nur vom Hörensagen." Schon zwei Wochen nach dem Einheitstag wird Wussow zu einem Lehrgang nach Hamburg geschickt, lernt die Bundeswehr dort erst so richtig kennen und gewinnt die Erkenntnis: "Ich kann das System mit meinem Gewissen vereinbaren und die grundsätzlichen militärischen Dinge sind auch nicht neu." Die ideologischen Vorgaben zu DDR-Zeiten seien für ihn ohnehin belastend gewesen.

Viele seiner NVA-Kameraden entscheiden sich anders, andere müssen die Streitkräfte verlassen, weil sie in der DDR für die Staatssicherheit arbeiteten. Wussow zählt zu den wenigen Offizieren, die bei der Bundeswehr Karriere machen. Heute ist er im Verteidigungsministerium in Berlin verantwortlich für die Informationstechnik. Nur ein NVA-Soldat hat es bis heute zum General gebracht.

Johannes Clair kam mit einer Traumatisierung aus Afghanistan zurück.

Johannes Clair kam mit einer Traumatisierung aus Afghanistan zurück.

(Foto: dpa)

Generation Einsatz: Johannes Clair, 30, Oberstabsgefreiter und Veteran, hat im nordafghanischen Kundus gegen die Taliban gekämpft, als dort am gefährlichsten war. Schon als Kind hat er den Wunsch Soldat zu werden.

"Der Gedanke war immer damit verbunden: Ich tue etwas Sinnvolles, ich helfe anderen Menschen." Mit 20 ist es dann soweit. Clair kommt als Wehrdienstleistender zum Bund, verpflichtet sich dann für vier Jahre. Er geht zu den Fallschirmjägern ins niedersächsische Seedorf, einer der härtesten Truppen der Bundeswehr.

Es ist die Zeit, in der es für die deutschen Soldaten in Afghanistan immer gefährlicher wird. Als die Politik noch von "Stabilisierungseinsatz" redet, wähnen sich die Soldaten längst im Krieg. Am Karfreitag 2010 geraten einige von Clairs Seedorfer Kameraden in der Unruheprovinz Kundus in einen Hinterhalt, drei von ihnen werden in einem stundenlangen Gefecht getötet. Clair steht Spalier, als die Gefallenen zu Grabe getragen werden. Wenige Wochen später trifft er selbst in der Kampfzone ein, nimmt an der ersten großen Offensivoperation in der Geschichte der Bundeswehr teil. Auch er gerät in einen Hinterhalt, überlebt nur knapp. "Zu diesem Zeitpunkt habe ich zum ersten Mal meine Angst im Einsatz gespürt. Und die Angst wurde immer schlimmer, während gleichzeitig die Gefechte schlimmer wurden."

Er sei "innerlich völlig zerstört" nach Deutschland zurückgekehrt und habe keine Kaserne mehr von innen sehen wollen, erzählt Clair. Er verlässt die Bundeswehr aber vor allem wegen seiner Freundin, die keinen zweiten Einsatz mitmachen will. Jahre später wird eine Posttraumatische Belastungsstörung bei ihm diagnostiziert, eine Krankheit mit Symptomen wie Angstzuständen und Schlaflosigkeit, die Hunderte Soldaten mit nach Hause tragen. Heute befindet sich Clair in Therapie, sein Studium liegt auf Eis. Verbittert ist der 30-Jährige aber nicht. Er hat ein Buch über seine Einsatzerfahrungen in Afghanistan geschrieben und hält Vorträge darüber. "Ich mache die Bundeswehr nicht für meine Traumatisierung verantwortlich", sagt er. "Aber ich möchte kein Soldat mehr sein."

Michele Schmeil suchte eine Ausbildung, die nicht alltäglich ist.

Michele Schmeil suchte eine Ausbildung, die nicht alltäglich ist.

(Foto: dpa)

Generation Zukunft: Michele Schmeil, 19, Obergefreite, hat am selben Tag Geburtstag wie die Bundeswehr. Als sie am 12. November 1995 in Gera das Licht der Welt erblickt, wird die Bundeswehr 40 Jahre alt. Ihre Familie hat nichts mit Militär am Hut. Auf die Idee Soldatin zu werden kommt sie im Gespräch mit einer Freundin.

"Ich habe eine Ausbildung gesucht, die mich weiterbringt, die aber nichts Alltägliches ist", sagt sie. Nach einigen Recherchen im Internet entscheidet sie sich für den freiwilligen Wehrdienst, der 2011 die Wehrpflicht ablöst. Sicherheitshalber verpflichtet sie sich zunächst nur für sieben Monate auf Probe. Inzwischen arbeitet sie in der Servicestelle für einen Fuhrpark in der Nähe von Magdeburg und hat auf 23 Monate verlängert.

Schmeil hat inzwischen Gefallen an ihrem Job in Uniform gefunden. Nach dem Ende ihrer Dienstzeit will sie sich für vier weitere Jahre verpflichten. Mit Einsätzen der Bundeswehr hat sie bisher nur indirekt zu tun gehabt. Fahrzeuge aus ihrem Fuhrpark werden für den Transport von Betten für Flüchtlingsunterkünfte eingesetzt. Nach Afghanistan, Mali oder ins Kosovo zu gehen, kann sie sich aber durchaus vorstellen. Angst vor Tod oder Verletzung hat sie nicht. "Das kann mir hier in Deutschland genauso passieren." Irgendwann will Schmeil studieren - vielleicht an einer Bundeswehr-Universität. "Ich kann mich aber noch nicht richtig festlegen."

Quelle: ntv.de, Michael Fischer, dpa

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