Vor der Reise nach Athen Griechen beschimpfen Merkel
08.10.2012, 15:56 Uhr
Merkel und Hitler: Für manche Griechen passen beide auf ein Plakat.
(Foto: dpa)
Hoffnung auf ein besseres Klima zwischen Berlin und Athen einerseits, Beleidigungen andererseits. Der Besuch von Kanzlerin Merkel löst in Griechenland wütende Proteste aus, die Kanzlerin wird auf Plakaten wüst beleidigt. Die Polizei befürchtet Ausschreitungen und mobilisiert ein Großaufgebot von Sicherheitskräften.
Der bevorstehende Griechenland-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Athen in Alarmbereitschaft versetzt: Scharfschützen auf den Dächern, dazu Froschmänner, 7000 Polizisten, Wasserwerfer sowie abgeriegelte Straßen und Stadtbezirke. Das wird das Bild Athens sein, wenn an diesem Dienstag Merkel in die Hauptstadt des pleitebedrohten Landes kommt. Die Polizei stellte Einheiten zum Schutz der deutschen Botschaft und anderer deutscher Einrichtungen bereit.
Tausende Griechen demonstrierten am Abend in Athen gegen Merkel und gegen die Sparpolitik, zu der sich die Regierung im Gegenzug zu den milliardenschweren internationalen Hilfskrediten verpflichtet hat. Einzelne Demonstranten trugen Plakate mit beleidigenden und diffamierenden Aufschriften. "Tochter Hitlers, raus aus Griechenland und kein Viertes Reich", stand auf einem Plakat. Linke Demonstranten trugen ein großes Transparent mit der deutschen Fahne und einem abgeänderten Vers von Bertolt Brecht: "Angela weine nicht. Da ist nichts im Schrank, was zu holen wäre."
"Mit unserer Präsenz wollen wir unsere Politiker dazu bringen, endlich Nein zum endlosen Sparen zu sagen", sagte eine Demonstrantin. "Die Kapitalisten sollen zahlen", skandierten andere Demonstranten. "Nehmt das Sparprogramm und haut hier ab", riefen die Demonstranten den Abgeordneten zu.
Für Dienstagmittag wurde zu weiteren Protesten aufgerufen – genau zu der Zeit, wenn sich Griechenlands Ministerpräsident Antonis Samaras und Merkel treffen wollen. Zu Kundgebungen riefen Gewerkschaften, Kommunisten und das Bündnis der radikalen Linken (Syriza) auf. Man werde "alles mobilisieren, was man auf die Straße bringen kann", hieß es wiederholt. Vor der deutschen Botschaft will die nationalpopulistische Partei der "Unabhängigen Griechen" demonstrieren.
Merkel steht in Griechenland wegen des von ihr geforderten Sparkurses in der Kritik. Sie wird für Rezession, Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne und Renten mitverantwortlich gemacht. Vor diesem Hintergrund verbrannten rund 300 ältere Menschen am Montag vor der ständigen Vertretung der EU zwei Fahnen der Europäischen Union. "Sie kürzen und kürzen unsere Renten. Wir können uns nichts mehr leisten. Wir werden einfach in den Mülleimer geworfen", sagte einer der Demonstranten. Vorübergehend kam es auch zu Rangeleien mit der Polizei. Nach Informationen der griechischen Presse sollen die Renten in Griechenland zum vierten Mal seit Ausbruch der schweren Finanzkrise im Jahr 2009 gekürzt werden. Das entsprechende neue Sparprogramm wird zurzeit mit den Geldgebern ausgehandelt.
Linke-Chef Bernd Riexinger wird gegen Merkel in Athen demonstrieren und eine Rede halten. "Merkels Besuch in Athen verschärft die inneren Konflikte Griechenlands", sagte er der "Stuttgarter Zeitung." "Ich werden in Athen unsere Solidarität mit den griechischen Arbeitnehmern und Rentnern versichern, die gegen die existenzbedrohenden Kürzungen ihrer Einkommen auf die Straße gehen." Am Dienstag will er in der griechischen Hauptstadt unter anderen den Vorsitzenden des linksradikalen Syriza-Bündnisses, Alexis Tsipras, treffen. Der Besuch war lange vor Ankündigung der Merkel-Reise geplant.
Keine "Mitbringsel"
Merkels Besuch in Athen ist der erste Besuch der Kanzlerin in Griechenland seit dem Ausbruch der Finanzkrise. Auf dem Programm stehen ein Gespräch mit Samaras, Präsident Karolos Papoulias und Vertretern griechischer und deutscher Unternehmen. Dabei wolle sie "mit Nachdruck" darauf hinweisen, "was noch alles zu leisten ist", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Ein "Mitbringsel" der Kanzlerin in Form neuer Hilfszusagen sei nicht zu erwarten. Über die weiteren Schritte werde erst nach Vorlage des Berichts der Troika entschieden.
Merkel verfolge mit dem Besuch in Athen das Ziel, "der griechischen Regierung ihre Unterstützung für den anspruchsvollen Reformkurs auszudrücken", sagte Seibert. Die Kanzlerin erkenne an, dass Griechenland "harte Opfer" erbracht habe, und sie wisse, "dass das Land vor sehr anspruchsvollen und schmerzhaften Aufgaben steht". Der Besuch sei "Teil der engen Zusammenarbeit", die Merkel mit der griechischen Regierung pflege. "Dieser Austausch findet besser nicht nur am Telefon statt", fügte Seibert hinzu.
Die griechische Regierung will die Frist strecken, innerhalb derer die harten Sparmaßnahmen umgesetzt werden müssen. Zudem erhofft sie sich Anerkennung dafür, dass sie trotz zahlreicher Versäumnisse bei der Umsetzung des Sparpakts schon viel geleistet haben. Und vor allem: Die dringend benötigte nächste Hilfstranche von 31,5 Mrd. Euro müsse bald ausgezahlt werden.
"Fingerspitzengefühl ist jetzt gefragt", meinen Diplomaten in Athen. Jedes Wort Merkels könnte von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Landes sein. Von der Kanzlerin werde das politische Kunststück erwartet, sich von einem - wie es die Griechen sehen - Symbol sinnlosen Sparens zur Hoffnungsträgerin für eine bessere Zukunft zu wandeln.
"Alarm für Merkel"
Doch jede Aussage Merkels stehe wohl unter dem Vorbehalt von Reformen und Sparzusagen, so die allgemeine Erwartung. "Wird Merkel zwinkern?" fragte die Zeitung "Ta Nea" in der Erwartung, dass offene Worte am Dienstag Mangelware sein könnten. Dennoch werde man nach dem Besuch wohl wissen, ob Griechenland einen neuen Schub mit mehr Zeit und Finanzunterstützung bekomme, oder in der Sackgasse bleibe.
Die Boulevardmedien sehen den Berliner Besuch als Herausforderung. "Alarm für Merkel", lautete der Tenor in der Zeitung "Ethnos". Die Demonstrationen könnten von Randalierern genutzt werden, um die Hauptstadt ins Chaos zu stürzen, so die Befürchtung. Bereits am Samstag hatte "Ta Nea" eine Karikatur der Kanzlerin veröffentlicht, auf der sie sich mit Helm und Gasmaske gegen Tränen- und Reizgas bei den erwarteten Demonstrationen wappnet.
"Hoffentlich geht alles gut", sagte am Montag ein einfacher Bereitschaftspolizist, der zur Verstärkung aus der Provinz in die Hauptstadt geholt wurde. "Ich habe aber große Angst. Ich muss am Syntagmaplatz vor dem Parlament stehen."
Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa/AFP