Geldzusagen und neuer Botschafter Libyen braucht dringend Hilfe
31.08.2011, 21:02 Uhr
Anti-Gaddafi-Malerei in Tripolis.
(Foto: dpa)
Kurz vor einer internationalen Geberkonferenz für Libyen sagen mehrere Länder den Rebellen die Zahlung von mehreren Milliarden Euro zu. Das Geld stammt teilweise aus eingefrorenen Vermögen des Staates. Die Rebellen suchen derweil weiter nach dem Ex-Machthaber Gaddafi. Deutschland bekommt einen neuen diplomatischen Vertreter aus Libyen.
Eine Woche nach dem Fall von Tripolis suchen nach Rebellenangaben immer mehr engste Gaddafi-Vertraute ihr Heil in der Flucht oder in Verhandlungen. Nachdem die Ehefrau des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi, Safija, mit drei Kindern nach Algerien geflüchtet war, sprach der Sohn Al-Saadi nach Angaben der Rebellen über Sicherheitsgarantien. Der Sender CNN berichtete dagegen, der drittälteste Gaddafi-Sohn habe per Mail mitgeteilt, dass er nicht aufgeben wolle. Am Donnerstag will die Staatengemeinschaft in Paris die Milliardenhilfe für das neue Libyen koordinieren.
In Gaddafis Heimatstadt Sirte an der Mittelmeerküste gab es keine Anzeichen dafür, dass sich die letzten Gaddafi-Getreuen einem Ultimatum der Rebellen beugen. Die NATO will derweil auch nach einem Ende des Militäreinsatzes in Libyen weiter Flagge zeigen. NATO-Soldaten könnten für eine begrenzte Zeit den Luftraum überwachen und Schiffe vor der Küste Libyens kontrollieren. Dies vereinbarten die Vertreter der 28 NATO-Staaten in Brüssel. Eine Entsendung von Bodentruppen kommt dagegen für das Bündnis nicht in Frage.
In Gaddafis Heimatstadt Sirte rückt eine Entscheidungsschlacht näher. Die Bevölkerung in der rund 75.000 Einwohner zählenden Küstenstadt sei gespalten, berichtete der Nachrichtensender Al-Dschasira. Eine Hälfte plädiere für Kampf, die andere Hälfte für Kapitulation. Stammesälteste versuchten, die Gaddafi-Truppen wenigstens davon zu überzeugen, dass im Fall eines Kampfes Frauen und Kinder zuvor die Stadt verlassen könnten. Nach Rebellenangaben kamen seit Beginn des Aufstandes gegen Gaddafis Regime vor sechs Monaten mindestens 50.000 Menschen ums Leben. Eine unabhängige Überprüfung dieser Angaben ist nicht möglich.
Gerüchte um Gaddafi
Eine Woche nach dem Fall der Hauptstadt Tripolis wollen nach Angaben der Aufständischen immer mehr Mitglieder aus dem inneren Zirkel Gaddafis aufgeben. Zu ihnen soll auch Gaddafis 38 Jahre alter Sohn Al-Saadi gehören. Der für Tripolis zuständige Rebellenkommandeur Abdelhakim Belhadsch sagte Al-Dschasira: "Er (Al-Saadi) hat darum gebeten, Teil der Revolution zu werden. Er bat um Garantien, damit er zu seinen Leuten in die Hauptstadt Tripolis zurückkehren kann. Er deutete an, wo er sich versteckt hält."
Die Rebellen haben nach den Worten von Belhadsch auch "unbestätigte Berichte, wo sich Gaddafi aufhält". Arabische Medien spekulierten, dass der 69-Jährige in Bani Walid südlich von Tripolis untergetaucht sei. Die Stadt stehe unter dem Schutz der Warfalla, des größten libyschen Stammes, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Arabija. Dagegen behauptete ein ehemaliger Leibwächter von Gaddafis Sohn Chamis, dass sich der Ex-Diktator in die 770 Kilometer südlich von Tripolis gelegene Garnisonsstadt Sebha abgesetzt habe.
Libysche Rebellen setzen nach Informationen der "Stuttgarter Nachrichten" und der ARD G36-Sturmgewehre aus Deutschland ein. Recherchen hätten ergeben, dass die Waffen bei Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar hergestellt worden seien. Die Geschäftsführung des Herstellers sagte jedoch den "Stuttgarter Nachrichten": "Wir schließen aus, dass diese Waffen von Heckler & Koch nach Libyen geliefert worden sind."
Rebellen wollen keine Militäreinsätze
Der Übergangsrat in Libyen stemmt sich weiter gegen die Stationierung von ausländischen Truppen auf eigenem Boden. Der Vorschlag Frankreichs, eine Beobachtermission mit deutscher Beteiligung nach Libyen zu schicken, hat derzeit wohl wenig Chancen auf Verwirklichung. "In unseren Gesprächen mit dem NTC (Übergangsrat) wird ganz deutlich, dass die Libyer jede Art eines militärischen Einsatzes durch die UN oder andere verhindern möchten", sagte der Libyen-Sondergesandte Ian Martin in New York.

Frauen demonstrieren in Tripolis gegen Gaddafi.
(Foto: AP)
Frankreichs Außenminister Alain Juppé hatte in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für eine Beobachtermission geworben. "Man wird Beobachter nach Libyen entsenden müssen. Es braucht eine Wiederaufbautruppe, aber keine Interventionstruppe." Frankreich "wäre froh darüber", wenn Deutschland sich an einer Beobachtermission beteiligte, sagte Juppé.
Weil die humanitäre Lage in der Hauptstadt Tripolis weiter kritisch ist, hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die internationale Gemeinschaft um schnelle Hilfe gebeten. Nach letzten Schätzungen seien 60 Prozent der Einwohner in der Hauptstadt Tripolis ohne Wasser- und Abwasserversorgung. Es sei unklar, wie lange die Reparatur von Pumpen noch dauern werde, sagte Ban Ki Moon. Die EU rief zur Einhaltung der Menschenrechte auf. Die Respektierung internationalen Rechts sowie der Menschenrechte seien "unbedingt notwendig", sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton.
Hilfszusagen und neuer Botschafter
Gastgeber der Geberkonferenz mit rund 60 Delegationen, an der auch der libysche Übergangsrat und Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnehmen, sind der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron. Im Vorfeld des Treffens forderte Merkel rasche Hilfen für das Land. Es müsse die "sehr schwierige humanitäre Lage" verbessert werden, sagte Merkel der "Berliner Morgenpost". Zunächst müssten Medikamente, Wasser und Lebensmittel nach Libyen gebracht werden. Die Hilfe werde sich zudem auf den Aufbau von Demokratie und Infrastruktur konzentrieren.
Frankreich setzt sich für die Freigabe von 1,5 Milliarden Euro aus gesperrten libyschen Vermögenswerten ein, um den Übergangsrat zu unterstützen. Eine entsprechende Bitte sei dem Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen übermittelt worden, verlautete aus französischen Regierungskreisen. Auch Deutschland hat beim UN-Sanktionsausschuss den Antrag gestellt, einen Teil der in Deutschland eingefrorenen Gaddafi-Gelder freizugeben. Großbritannien gibt unterdessen libysche Banknoten im Wert von 1,1 Milliarden Euro an die Übergangsregierung in Tripolis frei. Italien stockte die zugesagten Gelder aus eingefrorenem Vermögen Gaddafis von 350 Millionen auf 500 Millionen auf.
In Berlin wurde ein neuer Geschäftsträger der libyschen Botschaft akkreditiert. Wie aus dem Auswärtigen Amt verlautete, handelt es sich um Aly Masednah Al-Kothany. Die Funktion des bisherigen libyschen Botschafters Jamal Al-Barag sei damit als beendet anzusehen. Er wurde demnach aufgefordert, Deutschland bis spätestens 15. September zu verlassen.
Die Sanktionen der Europäischen Union gegen Libyen könnten Diplomaten zufolge bereits am Freitag gelockert werden. Konkret gehe es um die Freigabe von Lieferungen in sechs Häfen sowie die Sanktionen gegen mehrere Ölkonzerne und mehr als ein Dutzend anderer Einrichtungen, hieß es. Darauf hätten sich die Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten verständigt. Mit einer endgültigen Vereinbarung sei am Donnerstag zu rechnen.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts